Zürcher zittern vor Türken-Besuch, der Bundesrat sieht keine Gefahr – und hilft sogar bei der Suche nach einem neuen Ort
Wo möchten Sie denn gern auftreten, Herr Minister?

Das Hotel Hilton hat gestern den Auftritt des türkischen Aussenministers aus Sicherheitsgründen abgesagt. Auch die Zürcher Regierung möchte aus «allergrösster Sicherheitsbedenken» den Besuch absagen - der Bund sieht das anders.
Publiziert: 09.03.2017 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 08:15 Uhr
Simon Marti, Nico Menzato, Benedikt Theiler, Cinzia Venafro

 Kommt er oder kommt er nicht? Dies ist die grosse Frage, nachdem das Hotel Hilton in Opfikon ZH gestern Morgen den geplanten Auftritt des türkischen Aussenministers Mevlüt Cavusoglu aus Sicherheitsgründen abgesagt hat. Im Umfeld der Propagandaveranstaltung ist mit massiven Protesten zu rechnen.

Aus Sicht der offiziellen Schweiz bleibt der Besuch des türkischen Aussenministers aber möglich. Der Auftritt in Zürich stelle «momentan keine besonders erhöhte Bedrohung der inneren Sicherheit dar», verkündete das Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) von Didier Burkhalter gestern Abend. Eine EDA-Vertreterin hatte sich zuvor mit dem türkischen Botschafter getroffen.

Eine Ohrfeige für die Zürcher Regierung! Sie hatte den Bundesrat am Mittwoch gebeten, die Visite abzusagen. Wegen «allergrösster Sicherheitsbedenken». Selbst mit einem beträchtlichen Polizeiaufgebot könne nicht gewährleistet werden, dass die Veranstaltung unter Einhaltung von Ruhe und Ordnung über die Bühne gehen könne.

Das Hilton in Zürich-Opfikon will ihn nicht: Wo tritt Aussenminister Mevlüt Cavusoglu jetzt auf?
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Jetzt zeigen sich die Zürcher konsterniert. «Wir hätten einen anderen Entscheid besser gefunden», sagt Urs Grob, Kommunikationsbeauftragter der Zürcher Sicherheitsdirektion. «Wir haben schwerwiegende Sicherheitsbedenken!»

Besonders im Hinblick auf «die äusserst kontroversen Diskussionen um Auftritte türkischer Repräsentanten in Deutschland rechnet die Sicherheitsdirektion von Mario Fehr in jedem Fall mit massiven Kundgebungen rund um den Veranstaltungsort», sagt Grob.

«Die Bitte der Zürcher Regierung, der Bundesrat solle den Besuch absagen, ist eine Katastrophe», sagt dagegen FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann. Damit giesse der Regierungsrat Öl ins Feuer. Für Portmann ist klar: «Das Ergebnis ist ein grosser diplomatischer Schaden und kratzt am Image der freiheitlichen Schweiz.»

Die Schweiz habe eine lange Tradition solcher Auftritte, so Portmann weiter. Auch Schweizer Politiker machten im Ausland nach internationalem Recht ganz legal Wahl- und Abstimmungskampf unter Exil-Schweizern.

Polizeikorps gerüstet?

Auch Markus Mohler, Experte für Sicherheits- und Polizeirecht, sagt, ein Verbot sei mit der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit abzuwägen. «Deshalb hat der Bundesrat bislang auch meist nur Auftritte von Hasspredigern verboten – und nicht jene von ausländischen Regierungs- oder Parlamentsmitgliedern.» Ein Verbot des Auftritts des türkischen Aussenministers hätte wohl aussenpolitische Konsequenzen.

Mohler hält die Argumentation der Zürcher Regierung für gewagt. Kantone könnten öffentliche Veranstaltungen einzig aus Sicherheitsgründen absagen. «Das Argument der Sicherheit darf aber nicht vorgeschoben werden. Beim Kanton Zürich mit seinem grossen Polizeikorps dürfte es eher schwierig werden, so zu argumentieren.»

In der Tat ist Zürich gut gerüstet: Für ein Sicherheitsdispositiv bei Hochrisiko-Veranstaltungen hat der Kanton mit Abstand am meisten Polizisten. Bei einer Veranstaltung wie dem Besuch des türkischen Aussenministers kann der Zürcher Regierungsrat mit Kantons- und Stadtpolizei auf zwei der drei grössten Polizeikorps der Schweiz zurückgreifen.

Laut Statistik der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten verfügt der Kanton über 4035 Korpsangehörige. In Bern sind es 1983 Polizisten, in Appenzell-Innerrhoden 23. Gesamtschweizerisch gibt es rund 18 500 Korps-Polizisten.

Rückendeckung erhält die Zürcher Regierung von Peter Reinhard, Präsident des Verbands der Kantonspolizei Zürich. «Diese Veranstaltung ist eine Gefahr für Polizisten und Demonstranten», so der EVP-Kantonsrat. «Klar, Sie können schon 500 Polizisten mit Schlagstöcken und Taser vor den Veranstaltungsort stellen.» Aber das Aggressionspotenzial dort sei riesig, «da muss nur einer anfangen zu spinnen, und dann gibt es Verletzte». Ohnehin habe die Veranstaltung nichts in der Schweiz zu suchen, sagt Reinhard. «Man macht doch nicht bei uns Abstimmungskampf für das Ausland.»

EDA würde bei Suche nach Veranstaltungsort helfen

Aber wo wird der türkische Aussenminister auftreten, falls er kommt? Das ursprünglich gebuchte Hotel Hilton wurde nach eigener Aussage getäuscht: «Beim Erhalt der Buchung und Bestätigung hatten wir keinerlei Informationen betreffend Zweck der Veranstaltung beziehungsweise darüber, wer daran teilnehmen wird», so Manager Patrick Bonnaure.

Zu Hilfe eilt nun ausgerechnet das EDA. «Es liegt in der Verantwortung der Türkei, einen neuen Veranstaltungsort zu finden», sagt EDA-Sprecher Jean-Marc Crevoisier. «Wenn es von ihrer Seite aber gewünscht wird, stehen wir der Türkei bei der Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit unterstützend zur Seite.» Es liege im Interesse beider Länder, dass die Veranstaltung an einem Ort stattfinde, «an welchem die Sicherheit gewährleistet werden kann». Der Besuch des türkischen Aussenministers werde ja «nur wenige Stunden dauern».

Ein Verbot konnten die Zürcher gestern trotzdem durchsetzen: Die Stadt entzog einem umstrittenen Türken-Anlass die Bewilligung. Hursit Yildirim, Vizepräsident der Istanbuler Sektion der Regierungspartei AKP, hätte heute Abend in Zürich-Affoltern sprechen wollen.

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