Zu Besuch im Berndeutsch-Kurs für Romands
Welsch ein Chrampf!

Um die Deutschschweizer besser zu verstehen, lernen immer mehr Welsche Dialekt. In der Waadt könnte Schweizerdeutsch in der Schule gar bald Pflichtstoff werden. Blick war zu Besuch im Berndeutsch-Kurs.
Publiziert: 12.02.2024 um 01:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2024 um 15:20 Uhr

«Mon dieu, ist das schwierig!», entfährt es Claudine Roubaty (67). Sie seufzt. Vorn an der Tafel versucht Lehrerin Salem Erni (38) ihren Schülerinnen und Schülern gerade die zahlreichen Bedeutungen des berndeutschen Verbs «möge» zu erklären. Nicht nur Claudine – man duzt sich im Schweizerdeutsch-Kurs – steht die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. «I ma di guet» oder «Die Wort hei ne möge»: Dass ein und dasselbe Wort einmal etwas Positives, in anderem Kontext aber etwas Negatives bedeutet, sorgt für ungläubiges Erstaunen.

Schweizerdeutsch immer gefragter

Es ist früher Dienstagabend, wir befinden uns in einem etwas in die Jahre gekommenen Unterrichtsraum der Klubschule Migros in der Freiburger Innenstadt. Ein pensionierter Richter, eine Biochemikerin, ein Verkäufer im Aussendienst und eine Handvoll weiterer Frauen und Männer treffen sich hier einmal pro Woche, um Berndeutsch zu büffeln. Die Kursteilnehmenden, vorwiegend im Pensionsalter, sind bis auf eine Ausnahme französischer Muttersprache. Seit rund anderthalb Jahren verfolgen sie gemeinsam das Ziel, zusätzlich zu den guten Deutschkenntnissen Dialekt zu lernen.

Schweizerdeutsch-Kurse wie diesen bietet die Klubschule auch in Westschweizer Städten weiter entfernt vom Röstigraben an. Sie seien ein «Nischenprodukt im vielfältigen Angebot der Klubschule», sagt Sprecherin Ariane Lang. Aber die Nachfrage steigt. Das stellt auch Bettina Bucher Martin, Geschäftsführerin der Sprachschule Allemand-plus in Lausanne, fest. Man habe das Angebot an Dialektkursen in den vergangenen Jahren deutlich erweitert, sagt sie. Besonders Zürichdeutsch sei sehr gefragt. Ihre Kunden seien beispielsweise Personen, die in der Deutschschweiz studieren oder für einen Kaderjob dorthin zügeln und sich schneller integrieren wollen.

Die Freiburgerin Claudine Roubaty lernt Schweizerdeutsch. Kein leichtes Unterfangen.
Foto: Philippe Rossier
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Wird Dialekt Pflichtstoff?

Im Kanton Waadt könnte Schweizerdeutsch für Schülerinnen und Schüler schon bald Pflichtstoff werden. Das Kantonsparlament hat der Regierung vergangenen November den Auftrag gegeben, zu prüfen, Dialektunterricht an Schulen obligatorisch zu machen.

«Es geht nicht darum, Schweizerdeutsch auf Kosten von Deutsch zu unterrichten», stellt Grünen-Grossrat David Raedler (36), der den Vorstoss eingereicht hat, klar. Vielmehr fordere er, dass in den Deutschunterricht künftig auch ein bisschen Schweizerdeutsch integriert wird. «Es ist unerlässlich, dass die Romands zumindest Schweizerdeutsch verstehen, um sich nicht nur in der Berufswelt, sondern auch hinsichtlich des kulturellen und sozialen Lebens integrieren zu können», findet er.

Bisher gibt es für Schüler und Schülerinnen nur freiwillige Angebote, auch in anderen französisch- oder zweisprachigen Kantonen. In Neuenburg bieten Schulen seit wenigen Jahren, ebenfalls angestossen von einem Grünen-Kantonsrat, gegen Ende der obligatorischen Schulzeit sogenannte Sensibilisierungskurse fürs Schweizerdeutsche an. In Genf gibt es solche Kurse seit 2012. Daneben bieten Schulen Austauschprogramme an, um mit den Deutsch beziehungsweise eben Schweizerdeutsch sprechenden Mitbürgerinnen und -bürgern in Kontakt zu kommen.

Ein «Chrampf», der Spass macht

Die Schweizerdeutsch-Schülerinnen und -Schüler aus Freiburg können der Forderung nach einem obligatorischen Schweizerdeutsch-Unterricht viel abgewinnen. «Für den Zusammenhalt des Landes wäre das sicher zu begrüssen», sagt Claudine. Obwohl sich Deutschschweizer meist bemühen würden, mit Romands Hochdeutsch zu sprechen, hat Annelyse Bays (67) die Erfahrung gemacht: «Spätestens nach fünf Minuten wechseln sie auf Schweizerdeutsch.»

Die Teilnehmenden haben ganz unterschiedliche Beweggründe, weshalb sie Schweizerdeutsch lernen. Yoann arbeitet für ein Unternehmen mit Hauptsitz in der Ostschweiz, Annelyse will «fit im Kopf bleiben», der gebürtige Deutsche Joachim Schmidt (68) nennt familiäre Gründe. Und Claudine findet Schweizerdeutsch einfach eine sehr unterhaltsame Sprache.

So wird im Unterricht denn auch nicht nur geseufzt, sondern vor allem viel gelacht. Lehrerin und Teilnehmenden bereitet der Unterricht sichtlich Spass, trotz der schwierigen Materie. An diesem Abend mühen sich die Teilnehmenden mit der Wortkombination «unuffälligi Brülle» ab – oder eben Berndeutsch ausgesprochen: «unuffäuigi Briue». Die hilflosen Ausspracheversuche der Schülerinnen und Schüler sehen anfänglich mehr nach Mundakrobatik denn nach Sprechen aus.

Kopfzerbrechen bereitet einigen Teilnehmenden auch das Aussprechen und Unterscheiden von «ds Buech», «dr Buuch» oder «d Bueche». «Le beurre, c'est ça?», fragt Schüler Yoann Mercier (33) verwirrt. Nein, das heisst «Anke», klärt die Kursleiterin lachend auf. Aber das wäre noch mal ein anderes Thema.

Auch für die Lehrerin eine Herausforderung

Salem Erni hat früher Deutsch und Englisch unterrichtet. Wie man Dialekt doziert, hat sie sich selbst beigebracht. Als Grundlage dient ein Lehrbuch, das nun aufgeschlagen vor ihr und den Schülerinnen und Schülern liegt.

Diese lernen im Kurs auch, Texte, die auf Schweizerdeutsch verfasst sind, zu lesen. Ein sehr schwieriges Unterfangen, schliesslich gibt es keine verbindlichen Rechtschreibregeln. «Das Schriftliche bereitet den Lernenden die grösste Mühe», sagt Erni. Auch für die engagierte Sprachlehrerin ist der Unterricht eine Herausforderung. Die Kursleiterin ringt ab und zu nach Erklärungen – weil es für manche Dialektbesonderheiten nicht wirklich eine gibt. Sagt man halt einfach so.

In Freiburg neigt sich die Lektion nach knapp 90 Minuten dem Ende zu. Passend zum Thema – die verschiedenen Bedeutungen des Verbs «möge» – fragt Erni in die Runde: «Mögeter no?» Sie kann die Antwort an den Mienen ihrer Schülerinnen und Schüler ablesen. Einen Trost aber gebe es, findet Joachim nach der Lektion schmunzelnd: dass auch Zürcherinnen und Zürcher Mühe hätten, «Briue» auszusprechen.

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