Wie weiter mit der EU?
Der Herbst könnte für die Schweizer Forschung entscheidend werden

In Brüssel gehen viele Diplomaten und EU-Beamte in die Sommerpause. Damit wird auch das Schweiz-EU-Dossier eine Weile ruhen. Die zweite Hälfte des Jahres könnte jedoch vor allem für die Schweizer Forschung entscheidend werden.
Publiziert: 24.07.2022 um 14:45 Uhr

Immer mehr Stimmen aus der EU-Politik fordern eine Assoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe». So etwa setzten sich kürzlich der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck wie auch Aussenministerin Annalena Baerbock beim für das Schweiz-Dossier zuständige EU-Kommissionsvizepräsident Maro Sefcovic für eine Aufnahme von Verhandlungen mit der Schweiz zum Horizon-Paket ein.

Mitte Juli warb auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für eine Assoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm.

«Ich hatte den Eindruck, dass der forschungspolitische Aspekt voll angekommen ist bei der Präsidentin», sagte er zur Nachrichtenagentur DPA. Die EU könne sich nicht leisten, die Schweiz auszuschliessen. Zudem hat nach Ansicht Kretschmanns die Schweizer Assoziierung an «Horizon Europe» nichts mit dem EU-Binnenmarkt zu tun.

Schnelle Lösung gefordert

Ebenfalls Mitte Juli wandten sich sieben Regionen aus allen vier Nachbarländern der Schweiz sowie das Fürstentum Liechtenstein und die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) in einem öffentlichen Schreiben an Bundespräsident Ignazio Cassis und an EU-Kommissionsvizepräsident Sefcovic.

Die Verflechtung der Grenzgebiete habe wesentlich zu deren Wohlstand beigetragen. Damit das so bleibe, brauche es «stabile Rahmenbedingungen». Hierbei nannten die Regionen auch die Forschungszusammenarbeit Schweiz-EU.

Auch die Abgeordnete des EU-Parlaments plädierten in einem Mitte Juni publizierten, parteiübergreifenden Brief an Bundespräsident Cassis und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen für «gute Arbeitsbeziehungen» Schweiz-EU. Sie fordern darin eine «schnelle Lösung» im Bereich Forschung.

Deutschland setzte sich für Schweiz ein

Beim einem Treffen der für die Schweiz zuständige Arbeitsgruppe der EU-Staaten bedauerten Anfang Juli zudem sechs Staaten die politische Verknüpfung der Forschungskooperation Schweiz-EU mit dem Zugang zum EU-Binnenmarkt.

Dabei handelt es sich um Deutschland, Griechenland, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich sowie Zypern, wie ein EU-Diplomat der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte.

Ausserdem baten die sechs Staaten um ein Gespräch mit Vertretern der Generaldirektion «Forschung und Innovation» der EU-Kommission, um sich über die Auswirkungen der Nicht-Assoziierung der Schweiz an «Horizon Europe» informieren zu lassen.

Das Aus des EU-Rahmenabkommens hat die Schweiz von wichtigen internationalen Forschungsprogrammen wie Horizon ausgeschlossen.
Foto: Keystone
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Wie weiter mit Erasmus plus?

Bald schon dürfte sich also zeigen, ob all diese Interventionen und Bemühungen Wirkung zeigen. Denn die Tschechische EU-Ratspräsidentschaft hat sich auf ihre Fahnen geschrieben, bis Ende Jahr EU-Ratsschlussfolgerungen zur Schweiz zu verabschieden.

Darin ziehen die EU-Staaten Bilanz über ihr Verhältnis zur Schweiz. Die letzten Ratsschlussfolgerungen stammten von 2019. Darin hiessen die Mitgliedstaaten die politische Verknüpfung aller Dossiers mit der institutionellen Frage explizit gut.


Die Frage stellt sich nun, ob die EU-Staaten daran festhalten oder sich für eine Entkoppelung der EU-Programme - dazu zählt neben dem Horizon-Paket etwa auch das Mobilitätsprogramm «Erasmus plus» - von den restlichen Dossiers aussprechen. Der definitive Entscheid, ob mit der Schweiz über «Horizon Europe» verhandelt werden soll, obliegt jedoch der EU-Kommission.

Bern seinerseits will nicht ewig auf einen Entscheid aus Brüssel warten: Falls die Schweiz nicht bald voll assoziiert werde, wolle der Bundesrat 2023 prüfen, ob sich eine Vollassoziierung überhaupt noch lohne, sagte Martina Hirayama, Direktorin des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), Anfang Mai vor den Medien.

So oder so: In der zweite Hälfte 2022 könnten also wichtige Weichen für die Schweizer Forschung gestellt werden. (SDA)

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