Aller guten Streiks sind drei
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Frauen wieder auf der Strasse:Aller guten Streiks sind drei

Wenn FLINT will, steht alles still
Aller guten Streiks sind drei

Am 14. Juni 2021 findet der dritte schweizweite feministische Streik statt. An der Situation der Frauen hat sich seit letztem Mal nicht viel verändert - an der Streikbewegung schon.
Publiziert: 06.06.2021 um 11:15 Uhr
Eliane Eisenring

Die Tür zum Büro des Frauenstreik-Kollektivs in Bern steht weit offen. Die Wand schmückt ein Zeitstrahl auf Packpapier – vom ersten Frauenstreik 1991 bis heute. Auf dem Fenstersims liegen violette und pinke Plakate. Sogar die Couch in der Ecke ist lila.

Lirija Sejdi (28) und eine Kollegin halten an diesem Freitagnachmittag die Stellung. Sejdi beantwortet Posts auf Social Media. «Wir erhalten momentan fast täglich Anfragen von Personen, die noch mitmachen und unbedingt etwas beitragen wollen. Viele vergewissern sich, ob in diesem Jahr ein Streik stattfindet, weil sie finden, es müsse unbedingt etwas passieren.»

Auch während der Pandemie erlahmte die Bewegung nie. Monatlich gab es virtuelle Vernetzungssitzungen von Kollektiven und Untergruppen, wie Anna-Béatrice Schmaltz (28) vom Streikkollektiv Zürich sagt. Seit Januar werden an Online-Pinnwänden Ideen für den nächsten Streiktag gesammelt.

Am 14. Juni 2021 findet der dritte schweizweite Frauenstreik statt. Der Zeitstrahl im Büro des Frauenstreik-Kollektivs in Bern zeigt die Entwicklung der Bewegung seit 1991.
Foto: Nathalie Taiana
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Feministische Themen rückten dabei noch mehr in den Vordergrund. Viele werten das positiv. Corona habe noch deutlicher gemacht, wie wertvoll die Arbeit von Frauen in der Pflege, im Haushalt oder in der Kindererziehung sei.

Doch Aude Spang (30), Frauen- und Jugendsekretärin der Unia, relativiert: «Die Gesellschaft hat die sonst unsichtbare Leistung der Frauen gesehen und geklatscht. Das ist schön, hilft aber nicht. Konkret hat sich in diesen Problemfeldern nichts geändert.»

Lohnungleichheit steigt

So bei der Lohnungleichheit: Zahlen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung zeigen, dass von 2016 bis 2018 der unerklärbare Anteil des Lohnunterschieds sogar noch gestiegen ist: von 42,9 auf 44,3 Prozent. Auch der diesjährige 14. Juni wird dies thematisieren. Ab 15.19 Uhr machen die Teilnehmerinnen Feierabend, denn ab diesem Zeitpunkt – fünf Minuten früher als 2019 – arbeiten Frauen gewissermassen gratis.

Da sich seit dem Frauenstreik von 2019 faktisch nichts geändert habe, seien die Forderungen der Feministinnen gleich geblieben, so Spang. Das bedeute aber nicht, dass der damalige Streiktag umsonst war: «Er hat eine grössere Wahrnehmung und eine Veränderung im Bewusstsein geschaffen. Der Streik hat die Frauen ermutigt, sich gegen sexuelle Diskriminierung stärker zu wehren und sie deutlicher anzuprangern.»

Die grundlegenden Forderungen sind die gleichen, doch an Themen kam einiges hinzu. «In Genf haben wir jetzt eine Bäuerinnengruppe, die gegen patriarchale Agrikultur kämpfen will», so Spang. Auch wen der feministische Streik miteinschliesst, ist in diesem Jahr genauer definiert: Die Bewegung verwendet den Begriff Flint – Frauen, Lesben, interbinäre und transsexuelle Personen. Spang: «Die Idee ist, dass alle Geschlechteridentitäten explizit angesprochen sind.»

Das Selbstverständnis der Bewegung hat sich laut Spang ebenfalls entwickelt: «2019 war alles neu, wir mussten bei null anfangen. Jetzt ist die Bewegung strukturierter und hat eine klare politische Identität.» Anna-Béatrice Schmaltz bestätigt: «Wir haben heute ein gewisses Erfahrungswissen. Das können wir an Leute weitergeben, die neu dazustossen.»

Der dritte Schweizweite Frauenstreik

Der 14. Juni 2021 steht im Zeichen dreier Jubiläen: 50 Jahre Stimmrecht für Schweizerinnen, 40 Jahre Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung und 30 Jahre seit dem ersten schweizweiten Frauenstreik. Hunderttausende Frauen nahmen 1991 unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still» an dem Protest teil. Diesem ging eine lange Planungsphase voraus. Christiane Brunner, Sekretärin des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbands (Smuv), unterbreitete die Idee schliesslich dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Auch der zweite Frauenstreik vor zwei Jahren wurde mit dem SGB zusammen beschlossen, nämlich an dessen Frauenkongress im Januar 2018. In den folgenden eineinhalb Jahren formierten sich Streikkomitees und Untergruppen mit unterschiedlichen Anliegen. Ursprünglich ging es dabei nur um den 14. Juni 2019. Danach mussten sich die Streikkomitees entscheiden, wie es weitergehen sollte. Heute, genau zwei Jahre später, ist klar: Die Bewegung ist hier, um zu bleiben.

Der 14. Juni 2021 steht im Zeichen dreier Jubiläen: 50 Jahre Stimmrecht für Schweizerinnen, 40 Jahre Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung und 30 Jahre seit dem ersten schweizweiten Frauenstreik. Hunderttausende Frauen nahmen 1991 unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still» an dem Protest teil. Diesem ging eine lange Planungsphase voraus. Christiane Brunner, Sekretärin des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbands (Smuv), unterbreitete die Idee schliesslich dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB). Auch der zweite Frauenstreik vor zwei Jahren wurde mit dem SGB zusammen beschlossen, nämlich an dessen Frauenkongress im Januar 2018. In den folgenden eineinhalb Jahren formierten sich Streikkomitees und Untergruppen mit unterschiedlichen Anliegen. Ursprünglich ging es dabei nur um den 14. Juni 2019. Danach mussten sich die Streikkomitees entscheiden, wie es weitergehen sollte. Heute, genau zwei Jahre später, ist klar: Die Bewegung ist hier, um zu bleiben.

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Kampfbereit, trotz Corona

Die gesammelten Erfahrungen hätten geholfen, trotz Corona einiges auf die Beine zu stellen. Schweizweit sind unterschiedliche Aktionen geplant, drei Programmpunkte sind überall gleich: ein solidarisches Mittags-Picknick, der Feierabend um 15.19 Uhr und der Beginn der Demonstrationen um 18 Uhr. Solche nationalen Momente seien wichtig, erklärt Schmaltz. «Sie sind ein Sinnbild für den landesweiten Austausch und Zusammenhalt.»

Daneben gibt es in Luzern ein feministisches Zmorge, in Bern Infoveranstaltungen zum Thema «Frauen in der Wissenschaft», in Zug einen Postenlauf an der Seepromenade, an einigen Orten Rückwärtsspaziergänge gegen die gleichstellungspolitische Rückständigkeit.

Spang sagt, sie spüre bei den Frauen eine grosse Wut, grösser noch als 2019. Wie viele am Streiktag tatsächlich teilnähmen, sei aber schwer zu sagen. Wie wird die Polizei reagieren? Dazu kämen Sorgen wegen der Pandemie, die auch die Mobilisierungsarbeit erschwert hätten. Die Zahl der Teilnehmerinnen sei aber nicht das Wichtigste: «Die Hauptsache ist, dass wir mit unseren Anliegen präsent bleiben und diese Bewusstseinsveränderung bewirken.»

Schmaltz wünscht sich vor allem, dass die Forderungen der Bewegung weitherum Gehör finden und ernst genommen werden. Und für Lirija Sejdi ist der Austausch zentral: «Damit wir uns gegenseitig zeigen können, dass wir nicht allein sind, dass wir zusammen kämpfen.»

Wie auch immer der 14. Juni aussehen wird, er wird sicher kreativ.

Und laut. Und lila.

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