«Völlig chancenlos in der Deutschschweiz»
Zürich erwägt Stimmrecht für Ausländer - das ist die Diskussion

Acht Kantone und 600 Gemeinden kennen bereits das Stimmrecht für Ausländer. Jetzt fordert auch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch das Ausländerstimmrecht. Doch was für Befürworter «weder revolutionär noch exotisch» ist, ist für andere ein rotes Tuch.
Publiziert: 19.07.2019 um 08:24 Uhr
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Aktualisiert: 01.03.2021 um 15:41 Uhr

Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (59, SP) hat die Diskussion um ein Stimmrecht für Ausländer neu entfacht. Sie fordert, dass Ausländer im Kanton Zürich in Gemeinden abstimmen dürfen. Schon nach den Sommerferien will sie einen entsprechenden Antrag im Zürcher Stadtrat machen, der laut Mauch «weder revolutionär noch exotisch» sei.

Mauch facht eine heftige Debatte an. In Zürich ist fast die Hälfte der aktiven Bevölkerung von der direkten Demokratie ausgeschlossen. Denn grundsätzlich gilt: Wer viele Jahre lang dort wohnt, Steuern zahlt und oftmals auch eingeheiratet und integriert ist, aber keinen Schweizer Pass besitzt, darf weder wählen noch abstimmen. Das will die Zürcher Stadtpräsidentin auf Gemeindeebene ändern, wie sie dem «Tages-Anzeiger» sagte.

Für SVP wären viele Ausländer nicht abstimmungsfähig

Ganz und gar nicht gut findet Mauchs Vorstoss Mauro Tuena (47), Präsident der Stadtzürcher SVP. Das kantonale Zürcher Stimmvolk habe das Anliegen bereits vor sechs Jahren mit 75 Prozent wuchtig verworfen.

Zürich gibt sich gern progressiv, doch im Unterschied zu welschen Kantonen kennt der Wirtschaftsmotor und das grösste Ballungsgebiet der Schweiz kein Stimmrecht für Ausländer.
Foto: Switzerland Tourism
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Seine Sorge sei nicht die Angst vor SVP-Stimmenverlusten, sagte Tuena dem Newsportal «Nau.ch»: «Viele, die hierherkommen, können kaum ein deutsches Wort. Die Sorge ist vielmehr, dass Leute abstimmen gehen, die keine Ahnung haben. Die nicht verstehen, worüber sie abstimmen.»

«Völlig chancenlos in der Deutschschweiz»

Ins gleiche Horn blasen Parteikollegen und Kantonsräte René Isler (60) und Martin Hübscher (50). Isler hält Mauchs Vorschlag für «völlige Chabis». Hübscher bemängelt gegenüber dem Winterthurer Regionalsender «Tele Top», dass Mauch Ausländern schon nach zwei Jahren das Stimmrecht geben will. Oft verlassen sie die Schweiz schon nach kurzer Zeit wieder, sagt Hübscher: «Ist es richtig, dass diese mitbestimmen, für die Zukunft der anderen?»

Im Gespräch mit «SRF» gibt auch der Politikwissenschaftler Oliver Strijbis dem Anliegen kaum Chancen: «Das ist im Moment politisch völlig chancenlos, insbesondere in der Deutschschweiz.»

Die FDP beschreibt ihre Haltung zum Thema kritisch, aber offen. Die CVP zögert, mehr Widerstand herrscht in den Reihen der EVP und EDU, zumal Bürgerrechte auch Pflichten erfordern, wie die Wehrpflicht.

Auch «Frage des Wettbewerbs»

Klar hinter Mauchs Vorstoss stellen sich SP, GLP, Grüne und AL, darunter Esther Guyer (68), Fraktionschefin der Grünen im Zürcher Kantonsrat, die jedoch mit «harten Diskussionen» rechne, wie sie gegenüber «Tele Top» sagte.

Michael Zeugin (41), Fraktionspräsident der Grünliberalen im Zürcher Kantonsrat, erachtet das Ausländerstimmrecht gegenüber «Tele Top» als «wichtigen Schritt für Integration» und auch als «Wettbewerbsfrage für den Kanton». Es gelte, «für die oft sehr gut ausgebildeten Ausländer attraktiv zu bleiben». (kes)

Es gibt auch Ausnahmen

Doch Mauch hat Recht, wenn sie das Anliegen als «nicht revolutionär» bezeichnet. Denn acht Kantone und ganze 600 Gemeinden der Schweiz kennen ein solches Stimmrecht bereits. Die Kantone Freiburg, Waadt, Neuenburg, Jura und beschränkt auch Genf gewähren Ausländern das Stimm- und Wahlrecht auf Gemeindeebene.

Die Kantonsverfassung von Graubünden, Appenzell Ausserrhoden und Basel-Stadt erlaubt das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer. Allerdings haben es dort nicht alle Gemeinden eingeführt. In Graubünden gewähren unter anderem bereits die Gemeinden Arosa, Scuol, Vals, Sumvitg, Fideris und Albula Ausländern das Stimmrecht.

Geht es nach Gemeindepräsident Christian Jott Jenny (40), soll auch St. Moritz dazukommen. Voraussichtlich im nächsten Jahr entscheidet die Dorfbevölkerung an der Urne.

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