Virologe und Taskforce-Mitglied Volker Thiel (54) zur Delta-Variante und einer vierten Welle
«Mit dem Reisen bringen wir das Virus mit nach Hause»

Für Virologe und Taskforce-Mitglied Volker Thiel ist klar, dass die Delta-Variante zu einer vierten Welle führen wird. Doch sie wird weniger tödlich als die zweite sein.
Publiziert: 25.06.2021 um 19:37 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2021 um 06:26 Uhr
Gianna Blum

Die Nachricht geht um die Welt – und sie macht Sorgen: In Israel steigen die Corona-Fallzahlen wieder, und laut Schätzungen sind 40 bis 50 Prozent der Infizierten bereits geimpft. Grund ist die Virusvariante mit dem Namen Delta.

Überrascht ist Volker Thiel (54), Experte für Coronaviren, deswegen aber nicht. «Dass auch Geimpfte sich anstecken können, ist eigentlich nicht erstaunlich», sagt der Professor für Virologie an der Universität Bern und Mitglied der wissenschaftlichen Taskforce des Bundes.

Man müsse aber zwischen der Infektion selbst und den Folgen unterscheiden, betont er. «Die Impfung verhindert schwere Verläufe und Todesfälle relativ gut», sagt Thiel. Man kann sich also noch anstecken, doch die Folgen sind weniger schwerwiegend.

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Foto: AFP
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Ein Piks nützt noch nicht viel

Ob die Delta-Variante grundsätzlich gefährlicher ist als die altbekannten Virusvarianten, könne man derzeit nicht sagen, so Thiel, denn die Daten sind wegen den vielen geimpften Risikogruppen nicht vergleichbar. Vermutlich sei Delta aber etwas ansteckender. Und: Die Impfung schützt erst nach dem zweiten Piks so richtig. «Bei nur einer Dosis liegt der Impfschutz bei etwa 30 Prozent», erklärt Thiel, was tiefer sei als bei den bisherigen Varianten.

In der Schweiz lassen sich laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) bereits etwa zehn Prozent der Coronafälle auf die Delta-Variante zurückführen. Bis die neue Variante dominierend wird, ist es laut Thiel nur noch eine Frage von Wochen. «Spätestens im Spätsommer wird es so weit sein», sagt er.

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Im Herbst steigen die Zahlen

Selbst wenn nun sämtliche Reisen von und nach Grossbritannien oder Indien verboten würden, könne das die Ausbreitung bestenfalls etwas verzögern. Thiel ist sich zudem sicher, dass die Fallzahlen mittelfristig wieder steigen werden. «Reisen wird genauso ein Problem sein wie letztes Jahr. Wir bringen das Virus mit nach Hause.» Ähnlich wie im letzten Sommer werde man bei zunächst niedrigen Fallzahlen einen Anstieg im Alltag lange nicht bemerken. Erst im Herbst dürften sich die Folgen zeigen.

«Die vierte Welle kommt sehr wahrscheinlich, die Frage ist aber, wie steil sie wird», sagt Thiel. Angesichts des Impffortschritts sei es unwahrscheinlich, dass die Spitäler noch einmal überfüllt werden und es wieder so viele Todesfälle gebe. Umso wichtiger sei es nun, möglichst schnell alle, die das wollen, zu impfen. «Diese Gelegenheit müssen wir unbedingt nutzen.»

Ganz verschwinden werde Corona wohl nie, sagt der Experte. Möglicherweise werde es aber ein Virus, das vor allem bei Menschen ohne oder mit niedrigem Immunschutz gefährlich werden kann.

«Impfung besser als die Alternative»

«Jeder muss sich bewusst sein, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man sich ansteckt, ohne Impfung gross ist», so Thiel. Diese Risikoabschätzung müsse jeder und jede für sich selbst machen. «Aber für die allermeisten ist eine Impfung auf jeden Fall besser als die Alternative.»

Immerhin: Dass die nächste Virusvariante sich von der Impfung gar nicht mehr beeindrucken lässt, hält der Experte für unwahrscheinlich. Möglich sei zwar eine reduzierte Wirksamkeit, «aber ich glaube nicht, dass wir wieder bei null anfangen müssen».


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