Viele der dienstältesten Nationalräte liebäugeln auch nach 16 Jahren mit erneuter Kandidatur
Polit-Dinos denken nicht ans Aussterben

Sie haben ein Grossteil ihres Lebens im Bundeshaus verbracht – und haben noch lange nicht genug. Viele der amtsältesten Nationalräte wollen bei den Wahlen in zwei Jahren erneut antreten.
Publiziert: 25.10.2017 um 23:30 Uhr
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Aktualisiert: 24.10.2018 um 13:20 Uhr
Toni Brunner, SVP/SG
Foto: 50 Patrick Luethy
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Ruedi Studer und Nico Menzato

Die Legislatur ist zur Hälfte um, in zwei Jahren wählen die Schweizer ein neues Parlament. Damit steigt der Druck auf langjährige Nationalräte, jüngeren Kräften Platz zu machen – und allenfalls mit einem frühzeitigen Rücktritt den Nachrutschenden den wichtigen Bisherigen-Bonus in den Wahlkampf mitzugeben. 

So wie SVP-Nationalrat Hansjörg Walter (66, TG): Nach 18 Jahren im Amt reicht er den Stab Ende November an Diana Gutjahr (33) weiter. Oder EVP-Nationalrätin Maja Ingold (69, ZH), die für Nik Gugger (47) den Sessel räumt. Dem Beispiel der beiden dürfte der eine oder andere in der zweiten Legislaturhälfte noch folgen.

SVP mit vielen alten Schlachtrössern

Doch viele Politdinosaurier hängen an ihren Mandaten und räumen ihren Platz nur ungern, wie eine BLICK-Umfrage bei über zwei Dutzend Nationalräten zeigt, die seit mindestens 2003 im Amt sind. In der Politik punkten die Dinos zwar mit breiter Vernetzung und einem grossen Erfahrungsschatz. Negativ zu Buche schlägt aber, dass sie neue Polittalente ausbremsen und frischen Wind im Bundeshaus verhindern. 

Besonders viele Altgediente gehören zur SVP. Die Aargauer SVP stellt mit Maximilian Reimann (75, seit 1987, zwischendurch als Ständerat), Luzi Stamm (65, seit 1991) und Ulrich Giezendanner (63, seit 1991) die drei dienstältesten Nationalräte überhaupt.

«Natürlich gibt es Druck von Jüngeren, dass wir Ältere Platz machen», sagt Reimann. Jüngstes Beispiel dafür sei die Altersbeschränkung, welche die SVP Aargau beschlossen hat. Nach 16 Jahren im Amt beziehungsweise ab Alter 63 ist Schluss – ausser man nimmt die Hürde einer Zweidrittelsmehrheit.

«Trete erst zurück, wenn Personenfreizügigkeit gebodigt ist» 

Reimann ärgert sich über solche Druckversuche. Früher abtreten will er deshalb auf keinen Fall: «Vorzeitige Rücktritte sind meist parteitaktische Klüngeleien. Da mache ich nicht mit.» Er legt sogar noch einen drauf: «Ich schliesse nicht aus, dass ich 2019 nochmals antrete, denn in einer Volkskammer sollten alle Alterskategorien angemessen vertreten sein.» Das wäre dann seine 9. Wahl!

Auch Stamm zeigt sich resistent: «Ich habe tatsächlich immer gesagt, ich trete erst dann zurück, wenn die Personenfreizügigkeit angepasst oder gebodigt ist. Damit muss ich wohl weitermachen.»

Giezendanner hingegen wird «definitiv per Ende Legislatur zurücktreten. Ich gehe zufrieden.» Er ist nicht das einzige alte SVP-Schlachtross, das dann aufhört: «Ich erfülle voll motiviert meinen Wählerauftrag und dann ist Schluss», sagt Fraktionschef Adrian Amstutz (63, BE).

SVP-Müri will höchster Schweizer werden

Andere wollen 2019 nochmals kandidieren. Ex-Parteichef Toni Brunner (43, SG) macht klar: «Ich trete nochmals an.» Auch eine Ständeratskandidatur ist für ihn eine Option. Auch Felix Müri (59, LU) will es nochmals wissen, wobei er besondere Pläne hegt: «Das Nationalratspräsidium ist ein Traum von mir. Voraussichtlich im Jahr 2020/21 wäre die SVP wieder an der Reihe – und ich möchte mich dafür bewerben.»

Nicht in die Karten blicken lassen sich der aktuelle Nationalratspräsident Jürg Stahl (49, ZH) und Jean-François Rime (67, FR). Walter Wobmann (59, SO) und Pirmin Schwander (55, SZ) wollen die Legislatur beenden – ob sie nochmals antreten, wollen sie erst später entscheiden. 

Amtszeitbeschränkung gegen SP-Seniorinnen 

Neben der SVP zählt die SP am meisten Politdinos. Gleich für mehrere ist wegen einer Amtszeitbeschränkung spätestens 2019 Schluss: Silvia Schenker (63, BS), Margret Kiener Nellen (64, BE) und Carlo Sommaruga (58, GE) wollen die Legislatur aber sicher beenden. Sommaruga hält sich noch eine Option für Bundesbern offen: «Tritt Ständerätin Liliane Maury Pasquier nicht mehr an, würde ich 2019 gerne als Ständerat kandidieren.» 

Auch Evi Allemann (39, BE) müsste 2019 wegen einer Amtszeitbeschränkung abtreten – allerdings dürfte sie schon 2018 den Sprung in die Kantonsregierung schaffen und damit frühzeitig ihrer Nachfolgerin, der heutigen SP-Co-Generalsekretärin Flavia Wasserfallen (38), Platz machen. Im Falle einer Nichtwahl würde sie sich «relativ rasch beruflich neu orientieren», erklärt Allemann. «Dies könnte zur Folge haben, dass ich die Legislatur nicht mehr beenden werde.»

Unsouverän reagiert als einzige Chantal Galladé (44, ZH) auf die Rücktrittsfrage – nämlich gar nicht. Mehrere Anfragen lässt sie tagelang unbeantwortet. Im «Landboten» jedoch hat sie Interesse am Amt der Schulpräsidentin in Winterthur signalisiert. Und betont, dass ein Doppelmandat «keine Option» für sie sei. Die Wahl findet im Frühling 2018 statt. Von einem frühzeitigen Nationalratsrücktritt Galladés würde Ex-Juso-Präsident Fabian Molina (27) profitieren.

Leutengger Oberholzer: «Ich bin gewählt auf vier Jahre»

Kurz angebunden zur Rücktrittsthematik zeigt sich derweil Susanne Leutenegger Oberholzer (69, BL), die – mittlerweile mit insgesamt 22 Jahren die amtsälteste Nationalrätin – parteiintern schon länger unter Druck steht. «Ich bin gewählt auf vier Jahre», sagt sie nur – und lässt alle Optionen offen.

Nicht festlegen will sich auch Bea Heim (71, SO). Eine erneute Kandidatur schliesst sie offenbar nicht aus, wie sie durchblicken lässt. Sibyllinisch meint sie: «Es braucht alle Generationen im Parlament.»

Speziell ist die Situation bei Alexander Tschäppät (65, BE). Er war von 1991 bis 2003 Nationalrat, wurde Stadtpräsident und sitzt seit 2011 wieder im Bundeshaus. Damit hat auch er schon 18 Amtsjahre auf dem Buckel. Ein vorzeitiger Rücktritt sei für ihn trotzdem kein Thema. «Eine solcher hilft nur dem ersten Ersatz. Eine Vakanz hingegen hilft, motivierte neue Kandidaten für eine Liste zu finden», so Tschäppät. «Vielleicht kandidiere ich aber nochmals, das ist völlig offen.»

Mitteparteien mit wenig Sesselkleber

Weniger drängend ist die Überalterungs-Problematik bei den übrigen Parteien. Bei der FDP sind nur gerade drei Nationalräte seit 2003 im Amt: Kurt Fluri (62, SO) macht klar, dass er die Legislatur beenden will. Und: «Im Herbst 2018 werde ich zusammen mit meiner Partei entscheiden, ob ich nochmals kandidiere oder nicht.» Christa Markwalder (42, BE) will sich nicht zum Thema äussern und Walter Müller (69, SG) erst nächstes Jahr entscheiden, wie es weitergeht. 

Bei der CVP sitzt Kathy Riklin (65, ZH, seit 1999) am längsten in der Grossen Kammer. «Kein Kommentar», sagt sie zur Rücktrittsthematik. Schluss ist 2019 hingegen aufgrund einer Amtszeitbeschränkung für Dominique de Buman (61, FR), der Ende November zum Nationalratspräsidenten gewählt wird.

Eine solche würde auch für Jakob Büchler (65, SG) gelten. Mit einer Zweidrittelsmehrheit könnte er aber nochmals nominiert werden. Büchler: «Ich werde nächstes Jahr mit meiner Partei diskutieren, wie es 2019 weitergeht. Die Legislatur möchte ich jedenfalls beenden.»

Nochmals kandieren will Ruth Humbel (60, AG). «Wenn alles rund läuft, könnte ich Ende 2019 für zwei Jahre das Präsidium der Sozial- und Gesundheitskommission übernehmen. Danach würde ich den Platz freimachen für jüngere Kräfte.»

Erneut antreten und seine Partei in die Wahlen führen dürfte CVP-Chef Gerhard Pfister (55, ZG), auch wenn er jetzt mit Understatement meint, dass er dies zusammen mit seiner Partei «zum gegebenen Zeitpunkt» entscheiden werde. Verhindern könnte dies eigentlich nur eine allfällige Wahl Pfisters in den Bundesrat bei der Leuthard-Nachfolge.

Weltweit erster grüner Parlamentarier macht weiter

Nur wenige alte Schlachtrösser zählt das Öko-Lager aus Grünen und Grünliberalen. Für Ex-GLP-Parteichef Martin Bäumle (53, ZH) steht fest: «Ich trete 2019 nochmals an.» Die dienstälteste Grüne Maya Graf (55, BL, seit 2001) lässt sich alle Optionen offen. Allerdings dürfte sie die Legislatur beenden und wohl nochmals kandidieren. Sollte nämlich SP-Ständerat Claude Janiak (68) zurücktreten, steht sie in den Startlöchern. «In diesem Fall interessiere ich mich für eine Ständeratskandidatur.»

Wie Graf hat auch Daniel Brélaz (67, VD) insgesamt 16 Amtsjahre auf dem Buckel. 1979 zog er als erster Grüner weltweit in ein nationales Parlament ein. Er unterbrach seine Nationalratskarriere aber zweimal und sitzt seit 2015 wieder in Bern. Er sagt klar: «Ich werde nochmals kandidieren, wenn meine Partei damit einverstanden ist.»

Die meisten Möchtegern-Nationalräte auf den ersten Ersatzplätzen können also nicht darauf hoffen, frühzeitig ins Bundeshaus einzuziehen und bei den nächsten Wahlen vom Bisherigen-Bonus zu profitieren. Im Gegenteil: Viele werden auf Jahre hinaus im Schatten der bekannten Polit-Dinos ein Lokalpolitiker-Leben fristen.

Anderes als das Alter zählt

Kommentar von Politikredaktor Ruedi Studer

Rund 30 Nationalrätinnen und Nationalräte sitzen derzeit schon 14 Jahre oder länger im Bundeshaus. Viele von ihnen liebäugeln mit einer erneuten Kandidatur.

Klar sorgt das in vielen Kantonalparteien für Ärger. Gerade in kleineren Kantonen, wo die einzelnen Parteien nur über ein, zwei, drei Sitze verfügen. Denn für neue Polittalente ist die Tür nach Bundesbern damit nicht selten über Jahre blockiert. Ganze Politikergenerationen
fallen ausser Rang und Traktanden.

So behelfen sich manche Kantonalparteien mit Altersguillotinen und Amtszeitbeschränkungen aus der Bredouille, um unangenehme Konflikte zu vermeiden. Dieser Ansatz ist falsch. Nationalräte wie die gefürchtete SP-Frau Susanne Leutenegger Oberholzer (BL), der gewinnende SVP-Bauer Toni Brunner (SG) oder der gewiefte CVP-Chef Gerhard Pfister (ZG) politisieren noch immer mit heiligem Eifer, als wäre es ihr erster Tag im Parlament.

Andere Politiker hingegen wirken schon nach Monaten amtsmüde, überfordert, schlicht fehl am Platz. Damit ist klar: Entscheidend für ein Mandat sind weder das biologische noch das Dienstalter. Entscheidend sind Motivation, Kompetenz und Engagement – und der Wählerwille!

Kommentar von Politikredaktor Ruedi Studer

Rund 30 Nationalrätinnen und Nationalräte sitzen derzeit schon 14 Jahre oder länger im Bundeshaus. Viele von ihnen liebäugeln mit einer erneuten Kandidatur.

Klar sorgt das in vielen Kantonalparteien für Ärger. Gerade in kleineren Kantonen, wo die einzelnen Parteien nur über ein, zwei, drei Sitze verfügen. Denn für neue Polittalente ist die Tür nach Bundesbern damit nicht selten über Jahre blockiert. Ganze Politikergenerationen
fallen ausser Rang und Traktanden.

So behelfen sich manche Kantonalparteien mit Altersguillotinen und Amtszeitbeschränkungen aus der Bredouille, um unangenehme Konflikte zu vermeiden. Dieser Ansatz ist falsch. Nationalräte wie die gefürchtete SP-Frau Susanne Leutenegger Oberholzer (BL), der gewinnende SVP-Bauer Toni Brunner (SG) oder der gewiefte CVP-Chef Gerhard Pfister (ZG) politisieren noch immer mit heiligem Eifer, als wäre es ihr erster Tag im Parlament.

Andere Politiker hingegen wirken schon nach Monaten amtsmüde, überfordert, schlicht fehl am Platz. Damit ist klar: Entscheidend für ein Mandat sind weder das biologische noch das Dienstalter. Entscheidend sind Motivation, Kompetenz und Engagement – und der Wählerwille!

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