Geht es bei Mutterschaft um Papizeit?
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Verwirrung auf dem Stimmzettel:Geht es bei Mutterschaft um Papizeit?

Verwirrung auf dem Stimmzettel für den 27. September
Geht es bei Mutterschaft um Papizeit?

Die Umfragen zeigen: Die Mehrheit der Stimmenden will einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub, der Steuerbonus für reiche Eltern dürfte es schwer haben. Wenn die Bürger ihr Kreuzchen denn auch am richtigen Ort machen. Das ist diesmal aber nicht so einfach.
Publiziert: 16.09.2020 um 15:29 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2020 um 13:40 Uhr
Pascal Tischhauser

Wer nicht überzeugen kann, muss verwirren. Nach diesem Motto scheint der Abstimmungszettel für den 27. September 2020 verfasst worden zu sein. Es genügt nicht, dass die Stimmenden über ganze fünf Eidgenössische Vorlagen befinden müssen. Es lassen sich auch nicht alle Fragen auseinanderhalten.

Klar wird auf dem Abstimmungszettel, dass es um die «Begrenzungsinitiative», um die «Beschaffung neuer Kampfflugzeuge» und das «Jagdgesetz» geht. Aber worum handelt es sich bei der «Steuerlichen Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten»? Ist das jetzt der Vaterschaftsurlaub? Oder muss die oder der Stimmende dafür das «Erwerbsersatzgesetz» annehmen? Da steht ja was von Mutterschaft. Ist das die Papizeit?

Ähm «Kinder ...»?

Was sich hinter den schwer verständlichen Fragen versteckt, steht natürlich im Abstimmungsbüchlein. Dennoch ist die Verwechslungsgefahr gross. Es besteht die Gefahr, dass Stimmende zu rasch das Kreuzchen beim Begriff «Kinder...» machen und dann erst merken, dass sie damit gutverdienenden Eltern ein Steuergeschenk machen, statt frisch gebackenen Vätern Zeit mit ihren Neugeborenen zu ermöglichen.

Die dritte und vierte Abstimmungsfrage ist verwirrlich.
Foto: Blick
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Das stört auch Parlamentarier. GLP-Präsident und Nationalrat Jürg Grossen (51) sagt, selbst er habe genau hinschauen müssen, um herauszufinden, um welche Vorlage es sich wo handelt. Dabei sei er ja mit im Ratssaal gewesen, als die Vorlagen diskutiert wurden. Wie schwer müssen sich hier also Bürger tun, die sich nicht beruflich mit diesen Abstimmungsfragen auseinandersetzen?

Unverständlichkeit ist immer wieder Thema

Abstimmungsfragen führen immer wieder zu Kritik. So reichte 2016 ein grüner Thurgauer Kantonsrat eine Abstimmungsbeschwerde ein, weil für ihn aus dem Stimmzettel nicht hervorging, dass es dabei um die zweite Gotthard-Röhre geht.

Und dass Zürichs Stimmberechtigte über den «Beschluss des Kantonsrates über die Behandlung der Einmaleinlage und der Arbeitgeber-Beiträge zur Sanierung der Versicherungskasse für das Staatspersonal beim mittelfristigen Ausgleich» abzustimmen hatten, führte 2012 ebenso zu heftigen Reaktionen.

Gar bis vor Bundesgericht ging ein Stimmbürger 2003, als Zürich über das «Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (Änderung)» abstimmte. Damals habe der Kantonsrat bloss die Formularpflicht bei Mieterwechseln abschaffen wollen. Der Bürger bemängelte, dass dies aber aus dem Titel keineswegs ersichtlich war. «Wer Ja sagte, stimmte gegen das Formular, das dem Nachmieter die Mietsumme des Vorgängers mitteilte», heisst es im Zeitungsartikel.

Das Gericht ermahnte die Zürcher Behörden, das Problem an die Hand zu nehmen. Und tatsächlich: In Zürich werden nun in Klammern Themenangaben zu Gesetzes- und Verfassungsänderungen gegeben. Etwa: «Verfassung des Kantons Zürich (Änderung vom 23. April 2012; Abschaffung des konstruktiven Referendums)».

Jetzt nimmt sich das Parlament dem Thema an

Eine solche Regelung wäre auch auf Bundesebene wünschenswert. Vor allem aber sollten die Titel von Vorlagen und die Abstimmungsfragen dazu eindeutig sein. Grossen hat deshalb eben den Vorstoss «Titel von Gesetzen müssen mit dem Inhalt übereinstimmen» eingereicht. Darin fordert der Grünliberale, die Gesetzesregelungen so anzupassen, dass beim Vorliegen eines definitiven Gesetzestextes überprüft werden muss, ob der Titel der Endfassung noch zum Inhalt der Vorlage passt. Sei dies nicht der Fall, sei der Titel vor der Schlussabstimmung abzuändern. Grossens Vorstoss haben Parlamentarier aus allen Parteien mitunterschrieben.

Und SP-Vizefraktionschefin und Nationalrätin Nadine Masshardt (35) hat in der Staatspolitischen Kommission den Antrag gestellt, die «Unverfälschte Stimmabgabe» bei Abstimmungsvorlagen zu thematisieren. Auslöser ist auch bei ihr «die Diskussionen um die teils irreführenden beziehungsweise unklaren Titel der nationalen Abstimmungen vom 27. September.» Diese zeige, dass Handlungsbedarf bestehe.

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