Bundesrat will Täter-DNA genauer analysieren
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Vertiefte Auswertung:Bundesrat will Täter-DNA genauer analysieren

Vertiefte Auswertung soll künftig erlaubt sein
Keller-Sutter will mit DNA auf Verbrecherjagd

2015 erschütterten zwei schwere Verbrechen in Emmen und Rupperswil die Schweiz. Mit Folgen für die Ermittler: DNA-Profile dürfen künftig besser ausgewertet werden. Verbrecher sollen nicht mehr davonkommen.
Publiziert: 28.08.2019 um 13:16 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2021 um 13:20 Uhr
Bundesrätin Karin Keller-Sutter legt ein neues DNA-Profilgesetz vor.
Foto: Keystone
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Ruedi Studer und Andrea Willimann

2015 erschütterte ein brutaler Vergewaltigungsfall in Emmen LU die Öffentlichkeit. Das Opfer wurde beim Überfall schwer verletzt und ist heute querschnittsgelähmt. Trotz Massen-Gentest bei über 300 Männern wurde der Täter nie gefasst. Im gleichen Jahr schockierte der Vierfachmord von Rupperswil AG die Bevölkerung. Der Täter sitzt mittlerweile hinter Gittern.

In beiden Fällen wurde die gleiche Forderung laut: Bei solchen Verbrechen soll die gefundene DNA breiter analysiert werden, um dem Täter auf die Spur zu kommen. So sollen nicht nur das Geschlecht, sondern auch äusserliche Merkmale wie Haar-, Haut- und Augenfarbe, die Herkunft oder das Alter bestimmt werden dürfen. Die Fachleute sprechen dabei von Phänotypisierung.

Der Luzerner FDP-Nationalrat Albert Vitali (64) hat bereits im Nachgang zur Tat in Emmen einen Vorstoss dazu eingereicht – nur wenige Tage vor dem Mordfall von Rupperswil. Letzterer sorgte endgültig für einen Meinungsumschwung im Parlament, das den Vorstoss diskussionslos guthiess.

Nur bei Verbrechen

Jetzt legt die FDP-Justizministerin Karin Keller-Sutter (55) ein revidiertes DNA-Profilgesetz vor. Die Phänotypisierung soll künftig bei Verbrechen angewendet werden dürfen. Straftaten also, die mit mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden – wie etwa Mord, Vergewaltigung, schwerer Raub oder Geiselnahme. Bei Vergehen hingegen – zum Beispiel Sachbeschädigung – darf sie weiterhin nicht zum Einsatz kommen.

Die Phänotypisierung muss zudem von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Und sie darf nur für die Ermittlungen in einem konkreten aktuellen Fall verwendet werden. Daher wird sie auch nicht in der DNA-Datenbank gespeichert.

«Ein vollständiges Phantombild wird mit diesen Angaben nicht möglich sein»: Keller-Sutter nannte heute vor den Medien in Bern auch die Grenzen dieser DNA-Angaben (siehe dazu Kasten unten). Aber sie könnten ein Täterprofil präzisieren und es der Polizei erleichtern, ihre Fahndung zu fokussieren. Zudem handle es sich um Angaben, die ein Augenzeuge ebenso machen könnte. Auch das neue Gesetz setze den Ermittlern klare Grenzen.

Verwandtenrecherche wird geregelt

Keller-Sutter geht in ihrem neuen Gesetz noch einen Schritt weiter. Sie will nicht nur die Phänotypisierung erlauben, sondern auch die DNA-Verwandtenrecherche explizit regeln.

So kann es vorkommen, dass ein Täter in einer bereits vorhandenen DNA-Datenbank zwar nicht erfasst ist, aber allenfalls ein Verwandter mit einer teilweisen Übereinstimmung. Diese Methode hat die Ermittler erst letztes Jahr in den USA zum berüchtigten «Golden State Killer» geführt, der in den 19070er- und 1980er-Jahren für eine grausame Mord- und Vergewaltigungsserie in Kalifornien verantwortlich war.

Auch beim Rupperswiler Vierfachmord wurde die Methode angewendet, was aber zu Diskussionen führte, weil die Verwandtenrecherche bisher im Gesetz nicht ausdrücklich verankert ist. Mit einer expliziten Regelung will Justizministerin Keller-Sutter nun Klarheit schaffen. Das Bundesstrafgericht hatte bereits im Oktober 2015 entschieden, dass solche Recherchen angeordnet werden können.

Löschregeln vereinfachen

Mit der Revision werden zudem die Löschregeln in der DNA-Datenbank vereinfacht. Nun gehen die Vorschläge bis Ende November in die Vernehmlassung.

Weiter legt Bundesrätin Keller-Sutter eine Botschaft zur Anpassungen in der Strafprozessordnung vor. So soll etwa die Stellung der Opfer in einem Strafverfahren gestärkt werden.

Datenschützer übt Kritik

Kritisch steht der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger den beiden neuen Instrumenten gegenüber. «Das Phänotyping liefert Indizien, aber keine Beweise», mahnt er zur Vorsicht. Gewisse Elemente lieferten zu unpräzise Angaben, etwa bezüglich der Haarfarbe (siehe Box). Die Verwandtenrecherche wiederum schränke das Zeugnisverweigerungsrecht von Verwandten ein.

Grundsätzlich sollten diese Mittel nur als letzter Ausweg zum Einsatz kommen, betont Losbiger. Zudem möchte er sie auf schwere Verbrechen gegen Leib und Leben, gegen die Freiheit oder gegen die sexuelle Integrität eingeschränkt sehen.

Mit der geplanten Regelung könnten sie aber etwa auch auf Vermögensdelikte angewendet werden. Das geht Lobsiger entschieden zu weit: «Aus kriminologischer Sicht macht das überhaupt keinen Sinn.»

Der Datenschützer stellt sich auch dagegen, dass ein Staatsanwalt die neuen Mittel anordnen kann. Dafür müsse ein Zwangsmassnahmengericht zuständig sein.

Blonde machen es den DNA-Ermittlern schwer

Aus einer DNA-Spur lassen sich nebst dem Geschlecht mit «gewisser Wahrscheinlichkeit» äusserliche Merkmal herauslesen. Sie zeigen je nach Haar- oder Augenfarbe nur Tendenzen. Das Bundesamt für Polizei (fedpol) betont deshalb, dass diese sogenannte Phänotypisierung vor allem dazu da ist, die Ermittlungen «besser zu fokussieren».

Eher sicher sind die Angaben aus dem DNA-Profil für Menschen mit blauen oder dunkelbraunen Augen (90- bis 95-prozentige Wahrscheinlichkeit), schwarzen Haaren (87 Prozent) und weisser Hautfarbe (98 Prozent). Mit einer DNA-Analyse lässt sich das Alter eines Täters bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen, sofern dieser etwa in der Altersgruppe der 20- bis 60-jährigen angehört.

Entsprechend kann es bei jüngeren oder älteren Menschen zu grösseren Abweichungen kommen. Eher durch den Raster fallen auch blonde, grauäugige oder grünäugige Menschen. Bei blonden Haaren liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Angabe aus dem DNA-Profil stimmt, noch bei zirka 69 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass bei einem Teil der Blonden während der Pubertät eine Veränderung der Haarfarbe zu Dunkelblond oder Braun kommt. (awi)

  • Wahrscheinlichkeit bei Haarfarben: Blond: 69 Prozent, Braun: 78, Rot: 80, Schwarz: 87
  • Wahrscheinlichkeit bei Augenfarben: Blau und Dunkelbraun: 90 bis 95 Prozent, Grün oder graumeliert: schwierig bestimmbar
  • Wahrscheinlichkeit Hautfarbe: Weiss: 98 Prozent, Schwarz: 95, Mischformen: 84

Aus einer DNA-Spur lassen sich nebst dem Geschlecht mit «gewisser Wahrscheinlichkeit» äusserliche Merkmal herauslesen. Sie zeigen je nach Haar- oder Augenfarbe nur Tendenzen. Das Bundesamt für Polizei (fedpol) betont deshalb, dass diese sogenannte Phänotypisierung vor allem dazu da ist, die Ermittlungen «besser zu fokussieren».

Eher sicher sind die Angaben aus dem DNA-Profil für Menschen mit blauen oder dunkelbraunen Augen (90- bis 95-prozentige Wahrscheinlichkeit), schwarzen Haaren (87 Prozent) und weisser Hautfarbe (98 Prozent). Mit einer DNA-Analyse lässt sich das Alter eines Täters bis auf vier oder fünf Jahre genau bestimmen, sofern dieser etwa in der Altersgruppe der 20- bis 60-jährigen angehört.

Entsprechend kann es bei jüngeren oder älteren Menschen zu grösseren Abweichungen kommen. Eher durch den Raster fallen auch blonde, grauäugige oder grünäugige Menschen. Bei blonden Haaren liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Angabe aus dem DNA-Profil stimmt, noch bei zirka 69 Prozent. Das hat auch damit zu tun, dass bei einem Teil der Blonden während der Pubertät eine Veränderung der Haarfarbe zu Dunkelblond oder Braun kommt. (awi)

  • Wahrscheinlichkeit bei Haarfarben: Blond: 69 Prozent, Braun: 78, Rot: 80, Schwarz: 87
  • Wahrscheinlichkeit bei Augenfarben: Blau und Dunkelbraun: 90 bis 95 Prozent, Grün oder graumeliert: schwierig bestimmbar
  • Wahrscheinlichkeit Hautfarbe: Weiss: 98 Prozent, Schwarz: 95, Mischformen: 84
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FDP-Vitali will vorwärts machen

Erfreut über die Vorlage zeigt sich FDP-Mann Albert Vitali. «Simonetta Sommaruga hat das Geschäft als Justizministerin ruhen lassen statt vorwärts zu machen», sagt er zu BLICK. Und lobt seine eigene Bundesrätin: «Karin Keller-Sutter hat es aus der hintersten Schublade geholt und rasch Nägel mit Köpfen gemacht.»

Was die Vorbehalte des Datenschützers angeht, meint Vitali: «Natürlich kann man noch über gewisse Einschränkungen diskutieren. Doch der Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden.» Zudem könne etwa auch ein Vermögensdelikt schwerwiegend sein.

«Das Gesetz darf jetzt nicht unnötig verzögert werden. Das sind wir dem Opfer schuldig», so Vitali. Für ihn bleibt zudem die Hoffnung, dass mit dem Gesetz die entscheidenden Puzzleteile zur Aufklärung des Emmen-Falls gefunden werden könnten.

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