Zürich benachteiligt EU-Prostituierte
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Verstoss gegen Abkommen?Zürich benachteiligt EU-Prostituierte

Verstösst der Kanton gegen das Freizügigkeitsabkommen?
Zürich benachteiligt EU-Prostituierte

Angeblich zum Schutz der öffentlichen Gesundheit verweigert der Kanton Zürich Prostituierten aus der EU seit kurzem die Aufenthaltsbewilligung. Das ist rechtlich mehr als heikel.
Publiziert: 29.09.2020 um 23:15 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2020 um 06:57 Uhr
Lea Hartmann

Ab Donnerstag müssen Prostituierte im Kanton Zürich die Kontaktdaten ihrer Freier erheben. Das hat der Kanton Zürich vergangene Woche an einer Medienkonferenz bekannt gegeben. Über eine zweite Corona-Massnahme im Rotlichtmilieu, die für viele Prostituierte weit grössere Konsequenzen hat, schwieg sich die Regierung aus: Der Kanton stellt Prostituierten aus dem EU-Raum seit neustem keine Aufenthaltsbewilligungen mehr aus.

Möglicher Verstoss gegen EU-Abkommen

Unter Fachleuten bestehen grosse Zweifel, ob der Bewilligungsstopp rechtlich zulässig ist. Sie sehen im Alleingang Zürichs einen möglichen Verstoss gegen das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Das ist aktuell besonders heikel, will die Schweiz mit Brüssel doch Klärungen beim Rahmenabkommen herbeiführen.

Urs Hofmann (63), Präsident der Konferenz der kantonalen Polizei- und Justizdirektoren, sagt, es sei ihm «nicht klar, auf welche Rechtsgrundlagen der Kanton Zürich die Verweigerung von Aufenthaltsbewilligungen für diese Ausländer-Kategorie abstützt». Schliesslich habe der Bund in den Covid-Verordnungen sämtliche Restriktionen für EU/Efta-Angehörige aufgehoben.

Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr bestätigt, dass der Kanton ausländischen Prostituierten keine Aufenthaltsbewilligung mehr erteilt.
Foto: Keystone
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Der Aargauer Regierungsrat betont, ein Bewilligungsstopp für Prostituierte sei in seinem Kanton nie ein Thema gewesen. Auch in den nebst Zürich besonders stark von Corona betroffenen Kantonen Waadt, Genf und Bern gelten keine Sonderregeln für Prostituierte.

Sicherheitsdirektor Fehr mauert

Erst am Montag hat Sicherheitsdirektor Mario Fehr (62) vor dem Kantonsrat die Praxisänderung bestätigt, über die das Zürcher Radio 1 letzte Woche berichtete. Mit Verweis auf einen hängigen Vorstoss im Parlament weigerte sich der Kanton zuvor, etwas dazu zu sagen. Dabei ging es bei diesem Vorstoss, der Fragen zu Corona-Massnahmen im Milieu stellte, gar nicht um Aufenthaltsbewilligungen.

Und auch jetzt mauert das Sicherheitsdepartement. Auf konkrete Fragen von BLICK hin verweist es auf den Regierungsratsbeschluss. Daraus geht bloss hervor, dass Zürich Prostituierten «aus Gründen der öffentlichen Gesundheit» eine Aufenthaltsbewilligung verweigert.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigt, dass aus diesem Grund im Einzelfall Bewilligungen abgewiesen werden können. Die Massnahme müsse aber «unter Berücksichtigung der besonderen Situation und in Abwägung der privaten Interessen» verhältnismässig sein.

«Begründete Gefahr einer zweiten Welle»

BLICK liegt das Schreiben des Zürcher Migrationsamts an eine betroffene Frau vor. Darin verweist das Amt auf die angeblich «begründete Gefahr einer sogenannten zweiten Welle». Deshalb sei es notwendig, «die Zulassung zur Erwerbstätigkeit für Berufe mit engem Körperkontakt temporär auszusetzen». Damit werde sichergestellt, dass die Kapazitäten der Schweiz zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie aufrechterhalten werden könnten.

Das Schreiben ist auf den 18. September datiert. Offiziell beschlossen hat der Regierungsrat den Bewilligungsstopp erst fünf Tage danach.

Landmann reicht Rekurs ein

Milieu-Anwalt Valentin Landmann (70), der die betroffene Prostituierte vertritt, gerät ob der Begründung der Behörde in Rage. «Es gibt keinen einzigen bestätigten Fall einer Corona-Ansteckung in der Erotikclub-Szene», sagt der SVP-Kantonsrat. Das Schutzkonzept für die Branche sei vom Bundesamt für Gesundheit abgesegnet worden. Er geht deshalb rechtlich gegen die Praxisänderung des Migrationsamts vor.

Auch das Netzwerk Procore sieht im Bewilligungsstopp eine unzulässige Diskriminierung der Prostituierten. Co-Geschäftsleiterin Rebecca Angelini (41) warnt, dass Sexarbeiterinnen in die Illegalität abrutschten, wenn keine Bewilligungen mehr erteilt würden. «Und in der Illegalität ist die Gefahr von Ansteckungen noch viel grösser.»

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