Verrechnungssteuer-Befürworter passen heimlich Argumente an
Das stille Ende des KMU-Märchens

Bislang priesen Befürworter die Reform der Verrechnungssteuer als goldene Gelegenheit für KMU. Nun ist dieses Argument von ihrer Homepage verschwunden.
Publiziert: 21.08.2022 um 09:35 Uhr
Simon Marti

Mit einem Mega-Poster an der Zürcher Hardbrücke lancierte Swissholdings den Abstimmungskampf über die Reform der Verrechnungssteuer. Man habe sich die grösste Plakatfläche der Schweiz gesichert, liess der Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne diese Woche wissen.

Weil aber weder grossformatige Propaganda noch Mitgefühl mit Multis einen Abstimmungserfolg garantieren, setzt das Ja-Komitee auf eine breit angelegte Überzeugungs-Strategie: Die Verrechungssteuer auf Obligationen führe dazu, dass Unternehmen diese Art der Finanzierung im Ausland tätigten statt hierzulande. Gelinge es, diesen Standortnachteil zu beseitigen, fänden solche Geschäfte künftig in der Schweiz statt. Ein Verzicht auf diese Steuer führe deshalb unter dem Strich sogar zu einem Plus in der Staatskasse.

KMU finanzieren sich nicht über Obligationen

Inzwischen allerdings haben die Befürworter der Reform ihre Argumentation in einem zentralen Punkt still und heimlich angepasst. Ursprünglich behaupteten sie, auch kleine und mittlere Unternehmen könnten von der Abschaffung der Verrechnungssteuer profitieren. Im Argumentarium auf der Homepage der Befürworter, betrieben vom Wirtschaftsverband Economiesuisse, stand prominent: «KMU erhalten Zugang zu günstigen Finanzierungen», sofern das Volk die Reform Ende September annimmt.

KMU profitieren von der Reform, sagen Befürworter.
Foto: Keystone
1/5

Ein zentraler Hinweis, schliesslich zählt die Schweiz rund 600 000 solcher Betriebe. Folglich verwies das Ja-Lager auch das Parlament darauf.

Das Problem: Schweizer KMU finanzieren sich nicht über Obligationen. Nicht nur die Gegner der Vorlage sehen es so, sondern auch das Staatssekretariat für Wirtschaft kam in einer Untersuchung von 2017 zu diesem Schluss.

Am Ende sollen alle profitieren

Schliesslich war es den Befürwortern der Reform offenbar doch nicht mehr ganz wohl dabei, als Kämpfer für die KMU auf Stimmenfang zu gehen: Das Argument ist inzwischen von der Homepage des Ja-Lagers verschwunden.

Auf die Frage, ob kleinere Firmen nun Nutzniesser der Reform seien oder nicht, antwortet das Pro-Komitee abenteuerlich: Die Reform der Verrechnungssteuer reduziere die Zinskosten, heisst es zunächst. In der Schweiz würden davon insbesondere Unternehmen des Service public profitieren, die ihre Investitionen durch Obligationen finanzieren: «Dazu zählen beispielsweise die Appenzeller Bahnen oder die Luzerner Kantonsspital AG.»

Weiter heisst es: «Das sind typische KMU, die der öffentlichen Hand, also allen Schweizerinnen und Schweizern, gehören.» Damit gelangen die Befürworter der Reform zu ihrer Pointe: Sinken die Zinskosten für Service-public-Unternehmen, bleibe ihnen mehr Geld für Investitionen übrig, wovon wiederum KMU und Gewerbe profitieren. Am Ende sollen dann doch irgendwie alle etwas von der Abschaffung der Verrechnungssteuer haben.

Nur Grosskonzerne haben etwas davon

«Seit 20 Jahren wiederholen die Bürgerlichen denselben Trick und geben Steuerreformen für etwas aus, was sie nicht sind», sagt SP-Nationalrätin Samira Marti. «Spätestens nach der Unternehmenssteuerreform II ist aber allen klar geworden, dass die Effekte solcher Vorlagen komplett anders ausfallen, als jeweils von der Konzernlobby behauptet wird.»

Es seien lediglich einige wenige Grosskonzerne, die durch diese Reform neue Sonderrechte erhalten, sagt Marti. «Denn der grösste Teil der Steuerausfälle fliesst ins Ausland an Grossanleger ab.» Laut einer neuen GFS-Umfrage ist der Ausgang der Abstimmung völlig offen.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?