US-Forscherin über Männer, die keine Gefühle zeigen
«Diese Lebensweise tötet»

Unsere Gesellschaft bevorteilt Männer – dennoch leiden sie unter dem Patriarchat. Schon als kleine Buben lernten sie, einen Teil von sich aufzugeben, sagt US-Forscherin Carol Gilligan.
Publiziert: 07.02.2021 um 13:35 Uhr
|
Aktualisiert: 07.02.2021 um 17:05 Uhr
Interview: Camilla Alabor

Seit die Schweizerinnen vor 50 Jahren das Stimmrecht erhalten haben, hat sich in Sachen Gleichberechtigung viel getan. Frauen müssen sich nicht länger rechtfertigen, wenn sie ein Unternehmen leiten oder Spitzenforschung machen. Männer haben die Möglichkeit, sich nicht nur um ihre Karriere, sondern auch um ihren Nachwuchs zu kümmern.

Etwas aber hat sich kaum verändert: das patriarchale System, in dem wir leben. Die Strukturen, die uns die Gesellschaft vorgibt. Psychologie-Professorin Carol Gilligan erklärt, welche ­negativen Effekte diese ­haben und weshalb sie für die Zukunft trotzdem optimistisch ist.

50 Jahre Schneckentempo – der EqualVoice-Talk

Die Einführung des Frauenstimmrechts ist 50 Jahre her. Wo stehen wir heute in Sachen Gleichberechtigung? Darüber diskutiert BLICK am Sonntag, 7. Februar, um 18 Uhr mit Gästen und Publikum auf der neuen Chat-App Clubouse.

Die Debatte wird von Sermîn Faki, Ressortleiterin Politik, moderiert.

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  • Michael Moersch, Chief Digital Officer Ringier Axel Springer Schweiz
  • Nina Siegrist, Co-Chefredaktorin «Schweizer Illustrierte»
  • Katia Murmann, Chefredaktorin Digital Blick-Gruppe
  • Annabella Bassler, Ringier-Finanzchefin
  • Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe
  • Thomas Benkö, stv. Chefredaktor Blick.ch
  • Sophie Achermann, Geschäftsführerin alliance F

Alle sind herzlich eingeladen, auf Clubhouse mitzumachen. Diskutieren Sie mit!

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Wenn Sie die App wollen, aber noch keinen Einladungslink haben: Fragen Sie Kollegen*innen auf Social Media! BLICK hat momentan leider keine Invites mehr zu vergeben.

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Was meinen Sie, wenn Sie sagen: «Wir leben in einem patriarchalen System?»
Carol Gilligan: Das Patri­archat teilt sämtliche menschlichen Eigenschaften in «männlich» und «weiblich» auf und stellt die vermeintlich männlichen Eigenschaften über die weiblichen. Das bekann­teste Beispiel ist der – völlig künstliche – Gegensatz von Vernunft und Gefühl, wobei Vernunft als männlich wahrgenommen wird und Gefühle als weiblich. Diese Unterscheidung macht überhaupt keinen Sinn.

Wir leben in einem partriarchalen System, sagt Psychologie-Professorin Carol Gilligan.
Foto: Sasha Arutyunova/The New York Ti/Redux/laif
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Wirklich?
Natürlich nicht! Rationale Überlegungen und Gefühle lassen sich nicht trennen, das haben die Neurowissenschaften längst bewiesen. Noch viel absurder ist die Idee, die eine Eigenschaft sei männlich und die andere weiblich. Es sind schlicht menschliche Qualitäten, die wir alle besitzen, unabhängig vom Geschlecht. Das Patriarchat aber basiert auf diesem binären Denken. Es ist ein System der Herrschaft – und damit das Gegenteil von Demokratie, in der jede Stimme gleichwertig ist.

Sie haben beobachtet, wie schmerzvoll selbst für kleine Jungs die Einführung in unser patriarchales System ist. Können Sie das ausführen?
Wenn Buben vier oder fünf Jahre alt sind, sind sie empathisch und sensibel; ihre emotionale Intelligenz ist beeindruckend. In der Studie, die meine damalige Studentin Judy Chu machte, gab es diesen Buben, der seine Mutter fragte: «Mama, warum lachst du, wenn du traurig bist?» Er hat also gemerkt, dass das Lachen seiner Mutter lediglich ihre Traurigkeit überdeckte, er hat ihre versteckten Gefühle gelesen. Sobald die Jungs aber älter werden, beginnen sie, ihr Mitgefühl zu verstecken.

Warum?
Weil sie merken, dass sie auf dem Schulhof als «schwul» oder «mädchenhaft» gelten, wenn sie Gefühle zeigen oder nett sind. Also tun sie so, als ob sie keine Gefühle hätten. Unser patriarchales System bringt sie dazu, ­einen Teil von sich selber aufzugeben. Denn natürlich haben sie diese Gefühle weiterhin, sie unterdrücken sie einfach.

Etwas Ähnliches wiederhole sich bei Teenagern, sagen Sie: Im Alter von 12 oder 13 Jahren knüpften Jungs enge Freundschaften, nur um sie einige Jahre später wieder aufzugeben.
Genau, das war das Ergebnis der Untersuchung von Niobe Way, «When Boys Become Boys». In diesem Alter hatten Jungs oft sehr enge Freunde, mit denen sie ihre grössten Geheimnisse teilen. Und wenn man sie fragte, sagten sie: «Natürlich braucht man einen besten Freund, sonst drehst du durch!» Dennoch hatten am Ende der Highschool drei Viertel von ihnen keinen besten Freund mehr.

Warum?
Sie sagten: «Ich lerne jetzt, ein Mann zu sein; ich muss meine Geheimnisse niemandem erzählen.» Die­selben Jungs, die ein paar ­Jahre zuvor gesagt hatten: «Ohne besten Freund wirst du verrückt.»

Wie geht das denn zu­sammen, dass Teenager enge Beziehungen knüpfen, wenn sie doch schon als Buben gelernt haben, keine Gefühle zu zeigen?
Das hat wohl mit Hormonen zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass wir zu ­jenem Zeitpunkt beginnen, uns als Person in Beziehung zu anderen wahrzunehmen. Wir werden uns selbst als Subjekt bewusst und haben ein enormes Bedürfnis nach Austausch.

Was haben Männer ­davon, wenn sie diese engen ­Beziehungen zu ­ihren Freunden aufgeben?
Sie werden Teil jener Gruppe, die in unserer Gesellschaft als die Mächtigeren angesehen werden. Obwohl sie dabei eine Lebensweise übernehmen, die ihrer ­Gesundheit schadet; ja, sie tötet. Keine engen ­Beziehungen zu haben, ist gleich schädlich wie Rauchen! Und es führt zu ­Gewalt.

Das müssen Sie erklären.
Wie löst man Probleme in Beziehungen, wenn man nicht über die eigenen Gefühle sprechen kann? Die Alternative zum Gespräch ist Gewalt.

Nun ist es ja nicht so, dass alle Männer dieses Klischeebild erfüllen, im Gegenteil. Wie erklären Sie sich denn, dass ganz viele Männer mit ihren Freunden durchaus über ihre Gefühle sprechen und auch kein Problem damit haben, mal zu weinen?
Ich spreche nicht von den Männern, sondern vom ­Patriarchat als System. Es gibt immer solche, die sich dem System widersetzen.

Wie?
Indem sie eine Bezugs­person haben, die ihnen hilft, ihre Menschlichkeit zu bewahren. Jemand, der sagt: «Es ist okay, zu weinen.» Oder: «Du musst nicht immer gewinnen.»

Gerade die jüngere Generation stellt dieses binäre System, in dem alles weiblich oder männlich sein muss, zunehmend infrage. Ein Fortschritt?
Absolut. Die Jungen halten oft den Finger auf den wunden Punkt einer Gesellschaft. Sie haben absolut recht, wenn sie sagen, dass dieses System ein Problem ist. Das ist auch der Grund, warum junge Menschen transgender werden: weil sie mit dem patriarchalen Verständnis von männlich und weiblich nichts anfangen können.

Sie sagen also, die Jungen stellen das Patriarchat zunehmend infrage. Gilt das auch für die Gesellschaft als Ganzes?
Ja. Was wir derzeit sehen, ist ein Kampf zwischen Demokratie und dem Patriarchat, und der Ausgang ist völlig offen. Die Männlichkeit eines Barack Obama oder Joe Biden sind das ­genaue Gegenteil der Männlichkeit eines Donald Trump. Obama ist ein nicht patriarchaler Mann: Er hat eine Frau geheiratet, die ihm ebenbürtig ist, die sagt, was sie denkt. Während ­Biden ein sehr empathischer Mensch ist, der über seine Gefühle spricht – und eine Frau geheiratet hat, die auch als First Lady weiterhin arbeiten wird.

Carol Gilligan

Carol Gilligan (84) wurde 1982 durch ihr Buch «In a Different Voice» bekannt. Darin kritisierte die Professorin für Psychologie an der New York University die – damals weitverbreitete – Ansicht, Frauen seien moralisch unterentwickelt. Die US-Amerikanerin zeigte auf, dass Frauen in Fragen der Ethik einfach andere Gewichtungen vornehmen als Männer. Indem sie die Praxis hinterfragte, männliche Verhaltensweisen zur Norm zu erklären, bewirkte Gilligan einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Fragen zu Feminismus, Gender und Gerechtigkeit beschäftigen sie bis heute.

Carol Gilligan (84) wurde 1982 durch ihr Buch «In a Different Voice» bekannt. Darin kritisierte die Professorin für Psychologie an der New York University die – damals weitverbreitete – Ansicht, Frauen seien moralisch unterentwickelt. Die US-Amerikanerin zeigte auf, dass Frauen in Fragen der Ethik einfach andere Gewichtungen vornehmen als Männer. Indem sie die Praxis hinterfragte, männliche Verhaltensweisen zur Norm zu erklären, bewirkte Gilligan einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft. Fragen zu Feminismus, Gender und Gerechtigkeit beschäftigen sie bis heute.

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