Unterlagen nicht erhalten
Hätten die Auslandschweizer die Kampfjets abstürzen lassen?

30'000 Auslandschweizer sollen ihre Abstimmungsunterlagen nicht oder zu spät erhalten haben. Das wirft beim ultraknappen Ja zur Kampfjet-Beschaffung Fragen auf.
Publiziert: 29.09.2020 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2020 um 12:38 Uhr
Gianna Blum

Es war eines der knappsten Resultate in der Schweizer Abstimmungsgeschichte: 8760 Stimmen haben den Ausschlag dafür gegeben, dass die Armee neue Kampfjets kaufen darf. Während sich Verteidigungsministerin Viola Amherd (58, CVP) nun damit herumschlagen muss, dass ein Zufallsergebnis die Existenz der Luftwaffe gesichert hat, wittert die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) Morgenluft und prüft eine Initiative.

Unschön am Ergebnis ist ausserdem, dass nicht alle Schweizer Bürger ihr Stimmrecht ausüben konnten. Auslandschweizer klagen, sie hätten – Corona-bedingt – ihre Abstimmungsunterlagen gar nicht oder zu spät erhalten. Gegenüber «Swissinfo» spricht Katja Walliman-Gates, in Australien lebende Delegierte des Auslandschweizer-Rats, gar von 30'000 Schweizerinnen und Schweizern im Ausland, die nicht mitentscheiden konnten – «konservativ geschätzt».

Auslandschweizer sagten Nein

30'000 Stimmbürger, die daran gehindert wurden, über den Kauf neuer Kampfjets mitzuentscheiden, der mit nicht einmal 9000 Stimmen mehr hauchdünn ins Ja-Lager kippte – ist das rechtens? Und hätten die Stimmen einen Unterschied gemacht?

Knappes Ja zu den Kampfjets: Verteidigungsministerin muss Viola Amherd muss sich nun damit herumschlagen, dass nur ein Zufalls-Ja die Zukunft der Luftwaffe bewahrt hat.
Foto: keystone-sda.ch
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Bei der Auslandschweizerorganisation ASO ist man zurückhaltend. Direktorin Ariane Rustichelli sagt: «Ausser, es geht um internationale oder Migrationsfragen, stimmen Auslandschweizer nicht wesentlich anders ab.»

Allerdings zeigt ein Blick in die Statistik der Kantone, die über ihre Expats Zahlen führen: Die Auslandschweizer, deren Stimmen angekommen sind, hätten die Kampfjets durchfallen lassen. Die Zustimmung liegt bei 46 Prozent.

Schwierige Schätzung

Ob diejenigen, die nicht stimmen konnte, das Resultat auf den Kopf gestellt hätten, bleibt aber offen. Wie viele tatsächlich ihr Abstimmungscouvert nicht bekommen haben, lässt sich kaum klären. Im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz, in Zürich, heisst es, die Unterlagen seien bereits am 17. August versandt worden. Schätzungen, ob alle rechtzeitig angekommen sind, sind nicht möglich. Dazu kommt: Auslandschweizer üben ihr Stimm- und Wahlrecht im Schnitt weniger fleissig aus.

Mehr Klagen als üblich über verspätete Wahlunterlagen sind der ASO nicht aufgefallen. «Dass sogar in den europäischen Nachbarländern die Unterlagen nicht oder zu spät ankommen, war schon vor Corona ein Problem», sagt Rustichelli. Dort sei denn auch die Sorge gross gewesen, gerade bei der Begrenzungs-Initiative der SVP mit ihren Folgen der Personenfreizügigkeit nicht mitreden zu können.

Die in Australien lebende Walliman-Gates, welche die Zahl 30'000 in die Welt gesetzt hat, war am Dienstag für BLICK nicht erreichbar. Ausnahmsweise dürfte das nicht an Corona liegen – sondern vielmehr an der Zeitverschiebung.

Kein Recht auf frühe Zustellung

Obwohl sich Auslandschweizer immer mal wieder darüber beschweren, an der Ausübung ihres Stimm- und Wahlrechts gehindert worden zu sein, hat das Bundesgericht bislang kein Gehör für ihre Klagen gezeigt. Das unterstreicht auch der Fall von alt Ständerat Filippo Lombardi (CVP, 64), selbst Vizepräsident der ASO: Nur um 46 Stimmen verpasste dieser 2019 die Wiederwahl. Er musste den Tessiner Ständeratssitz für den heutigen SVP-Parteipräsidenten Marco Chiesa (45) freiräumen.

Eine Klage eines Tessiner Anwalts scheiterte vor Bundesgericht: Zwar müssen die Gemeinden die Unterlagen früh genug abschicken. Doch ein Recht, diese bis zu einem bestimmten Tag auch im Ausland zu erhalten, gebe es nicht – da die Behörden nicht alle Postzustellungen bis in die hintersten Winkel der Welt kontrollieren können.

So sind laut Rustichelli auch vonseiten der ASO keine weiteren Schritte wie ein Protest wegen des letzten Abstimmungssonntags geplant. Trotzdem hofft sie auf Besserung. «Es ist dringend nötig, dass die Bundeskanzlei jetzt eine Führungsrolle beim E-Voting einnimmt», sagt sie. Denn das erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass auch im Ausland lebende Schweizer Staatsbürger mitreden können.

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