Würde die Reform Steuerhinterziehern ein Schlupfloch bieten?
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Ueli Maurer im Interview:Würde Reform Steuerhinterziehern ein Schlupfloch bieten?

Ueli Maurer erklärt, warum die Abschaffung der Verrechnungssteuer mehr Geld in die Staatskasse spülen wird
«Die Gegner haben es nicht begriffen!»

Finanzminister Ueli Maurer wirft den Gegnern der Verrechnungssteuer vor, die Vorlage nicht zu verstehen. Die Schweiz würde mehr Steuern einnehmen. Und die könne die Schweiz gut brauchen – denn das Parlament gebe das Geld mal wieder mit beiden Händen aus.
Publiziert: 09.09.2022 um 00:49 Uhr
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Aktualisiert: 09.09.2022 um 08:30 Uhr
Interview: Sermîn Faki

Blick: Herr Maurer, kurz und knapp: Was ist aus Ihrer Sicht das beste Argument für die Abschaffung der Verrechnungssteuer?
Ueli Maurer: Mit der Abschaffung erhalten wir gleich lange Spiesse wie die ausländischen Finanzplätze und wir holen das Geschäft und damit Steuersubstrat zurück in die Schweiz, was Mehreinnahmen bedeutet.

Am 13. Februar lehnten die Schweizerinnen und Schweizer die Abschaffung der Stempelsteuer deutlich ab. Weil Konzerne und Reiche profitiert hätten, aber nicht die Bevölkerung. Das gilt jetzt auch, oder?
Zumindest wird diese Argumentation gefahren. Und sie ist so falsch wie schon im Februar. Gerade im Bereich Green Bonds, wo die Schweiz eine führende Rolle einnehmen will, haben wir eine Chance verpasst. Man sollte den gleichen Fehler nicht zweimal machen.

In den letzten zwölf Jahren sind, wie Sie sagen, 60 Prozent des Obligationenvolumens ins Ausland, vor allem nach Luxemburg, abgewandert. Aber die Verrechnungssteuer gibt es seit 1944 – wie kann sie der Grund sein, dass jetzt Gelder abfliessen?
Die Internationalisierung der Finanzbranche seit der Finanzkrise vor 15 Jahren hat sicher dazu beigetragen. Aber dass wir keine gleich langen Spiesse haben, schadet uns. Zumal ein Geschäft das nächste nachzieht und die Leute immer effizienter geworden sind: Wenn institutionelle Anleger Obligationenanleihen in Luxemburg emittieren, um die komplizierte Rückforderung der Verrechnungssteuer zu umgehen, zieht das auch andere Aktivitäten dorthin. Viele Schweizer Firmen haben uns wissen lassen, dass sie bei einer Teilabschaffung der Verrechnungssteuer zurück in die Schweiz kommen. Es ist schwer verständlich, wie man dagegen sein kann, dass wir etwas für Arbeitsplätze auf unserem Finanzplatz tun. Aber die Gegner haben es einfach nicht begriffen und argumentieren an der Sache vorbei!

Am 25. September stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Verrechnungssteuer ab.
Foto: keystone-sda.ch
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Der «Spar-Onkel»

Ueli Maurer (71) sagt, er sei gern der «Spar-Onkel». Und das ist er schon lange: Seit 2016 steht der SVP-Bundesrat dem Finanzdepartement vor. Zuvor war er sechs Jahre lang Verteidigungsminister. Maurer ist der amtsälteste unter den amtierenden Bundesräten – und macht nicht den Eindruck, als sei er amtsmüde. Der Zürcher ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Ueli Maurer (71) sagt, er sei gern der «Spar-Onkel». Und das ist er schon lange: Seit 2016 steht der SVP-Bundesrat dem Finanzdepartement vor. Zuvor war er sechs Jahre lang Verteidigungsminister. Maurer ist der amtsälteste unter den amtierenden Bundesräten – und macht nicht den Eindruck, als sei er amtsmüde. Der Zürcher ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.

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Moment: Sie behaupten einfach, dass es Arbeitsplätze und Mehreinnahmen geben wird. Doch nicht einmal die Bankiervereinigung kann sagen, wie viel Umsatz erwartet wird oder wie viele Arbeitsplätze entstehen könnten.
Es gibt Studien von BAK Economics, die zeigen, dass sich die Abschaffung der Verrechnungssteuer lohnt – für die Firmen, für die öffentliche Hand, für alle. Das sind zwar Schätzungen und keine exakte Wissenschaft, und es ist auch schwierig, genaue Prognosen zu den Arbeitsplätzen zu stellen. Aber wir stellen fest: Wenn das Obligationengeschäft zurück in die Schweiz kommt, zieht das noch mehr Vorteile mit sich.

Genau das wird kritisiert: Befürworter – auch der Bundesrat – würden die Steuerausfälle kleinrechnen und die möglichen zusätzlichen Einnahmen überschätzen.
Erstens: Wir haben auch Worst-Case-Szenarien berechnet. Diese zeigen ebenfalls positive Auswirkungen. Zweitens: Normalerweise wollen wir alles in der Schweiz machen. Wir kaufen regional ein, sind stolz auf unsere Produkte. Doch beim Finanzplatz haben wir fast noch Freude, wenn etwas, was wir anbieten könnten, nach Luxemburg geht. Viel dümmer kann man nicht sein! Nochmals: Es gibt keine objektiven Gründe, die gegen die Abschaffung sprechen. Die Gegner verirren sich in Klassenkampf-Rhetorik. Es haben alle mal ein Brett vor dem Kopf, aber in dem Fall ist der Augenabstand praktisch null.

Aus Sicht der Gegner würde die Schweiz mit der Annahme zum Paradies für Steuerhinterzieher.
Wer Steuern hinterziehen und sich damit strafbar machen will, kann das anders viel einfacher machen! Wer das mit Obligationen versucht, ist dumm.

Der Bundesrat hatte ursprünglich ebenfalls Mechanismen wie eine Meldepflicht vorgeschlagen, um Hinterziehung zu verhindern, dann aber darauf verzichtet. Hätte man so nicht dem Argument der Linken den Wind aus den Segeln nehmen können?
Hier zeigt sich das unterschiedliche Staatsverständnis. Für mich ist die Privatsphäre das höchste Gut. Der Staat hat diese zu schützen – im Arztgeheimnis, im Anwaltsgeheimnis und eben auch im Steuergeheimnis. Eine Meldepflicht, wie man sie einmal geprüft hatte, würde dem widersprechen. Bei den Linken ist das Misstrauen in den Bürger gross. Sie wollen, dass der Staat alles kontrolliert. Wir aber vertrauen darauf, dass unsere Bürger immer ehrlich sind, und das sind sie auch.

SP-Badran und SVP-Matter streiten über Reform der Verrechnungssteuer
20:25
Die ganze Folge:SP-Badran und SVP-Matter streiten über Verrechnungssteuer

Die Abschaffung der Verrechnungssteuer erstaunt umso mehr, als Sie selbst vor schwierigen Jahren warnen – 2026 fehlen offenbar 7,4 Milliarden Franken.
Diese Summe setzt sich vor allem aus all den neuen Ausgaben zusammen, die das Parlament verlangt. Gerade deshalb wäre aber die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer hilfreich, weil dies Mehreinnahmen generiert.

Wie sieht es auf der Einnahmenseite aus?
Aufgrund der Konjunkturprognosen müssen wir davon ausgehen, dass die Steuereinnahmen nicht mehr so schnell wachsen wie in den letzten Jahren. Aber ich rechne auch nicht mit grossen Einbussen. Insbesondere die Grossunternehmen, die zwei Drittel aller Gewinnsteuern zahlen, sind gut aufgestellt. Das Problem stellt sich vor allem auf der Kostenseite, weil das Parlament Ausgaben beschlossen hat, die nicht finanzierbar sind.

Und jetzt kommt noch die Energiekrise dazu. Können wir uns diese Kosten leisten?
Im Energiebereich haben wir keine Beiträge beschlossen. Beim Rettungsschirm für die Axpo – ich gehe davon aus, dass andere Unternehmen folgen könnten – handelt es sich um Darlehen. Und die Axpo verdient so viel Geld, dass sie dieses zurückzahlen wird.

In anderen Ländern gibt es Zuschüsse an die Bevölkerung, um die hohen Energiekosten abzufedern. Wieso will der Bundesrat davon nichts wissen?
Wir haben keine gesetzliche Grundlage dafür. Die gestiegenen Kosten müssten wohl mindestens teilweise durch Teuerungszulagen abgegolten werden und nicht durch den Staat. Das sehen noch nicht alle gleich, das müssen wir noch diskutieren im Parlament.

Der Finanzminister fordert die Unternehmen also auf, die Löhne zu erhöhen?
Es geht um Teuerungszulagen und nicht um Lohnerhöhungen.

Kommen wir zurück zum Wunschzettel des Parlaments ...
Um es ganz deutlich zu sagen: Klimaschutz, Armeeaufrüstung, Eigenmietwert, Heiratsstrafe – all das muss entweder gegenfinanziert oder angepasst werden. Wir können nicht einfach zwei zusätzliche Milliarden Prämienverbilligungen sprechen, ohne zu sagen, woher das Geld kommen soll. Wir reden bei dieser Summe von 0,6 oder 0,8 Prozent Mehrwertsteuererhöhung – und ob das das richtige soziale Instrument ist, muss man diskutieren. Es ist alles «nice to have», aber in der Summe ist es nicht tragbar.

Stimmt es, dass der Bundesrat die auf 2024 geplante Abschaffung der Industriezölle verschieben will, weil die 500 Millionen Mindereinnahmen nicht verkraftbar wären?
Beschlossen ist noch nichts, und der Bundesrat hat sich dies auch noch nicht überlegt. Es handelt sich um einen – von vielen – Vorschlägen der Finanzverwaltung, wie man mit eventuellen Budget-Engpässen umgehen könnte. Viel Spielraum besteht aber nicht. Denn die Industriezölle sind Teil eines Digitalisierungsprojekts. Und wenn man das verschiebt, wird es später teurer.

Sie gelten als jemand, der sehr schwarzmalerisch budgetiert.
Das hat nichts mit Schwarzmalerei zu tun! Ich zeige einfach Fakten auf, wie es meine Aufgabe ist. Aber ich gelte gern als Sparonkel: Es ist meine Überzeugung, dass man nicht mehr Geld ausgeben darf, als man einnimmt.

Na, dann hoffen wir mal, dass die von Ihnen vorhergesagten Mehreinnahmen bei der Abschaffung der Verrechnungssteuer auch eher konservativ kalkuliert wurden.
Selbst wenn es nicht aufgehen würde, reden wir von 0,2 Promille vom ganzen Bundesbudget. Das Risiko ist also gering. Doch die Chance, dass es Mehreinnahmen gibt, ist gross – sonst würde ich das doch nicht vorschlagen! Es ist wirklich nur ein Reförmli, das aber ein wichtiges Signal für den Finanzplatz aussendet.

Zurück zum Budget: Wenn es nach Ihnen persönlich geht: Was sollten wir uns sparen?
Wir haben kein Geld für Giesskannen-Lösungen. Die Prämienentlastungs-Initiative ist so eine Giesskanne, ebenso wie Kita-Subventionen für alle. Wir sollten die Mittel gezielt für jene Menschen einsetzen, deren Einkommen nicht reicht. Im Energiebereich müssen wir das Netto-null-Ziel ergänzen. Die Energiestrategie konzentriert sich auf Nachhaltigkeit und berücksichtigt zu wenig, dass wir auch genügend und bezahlbare Energie brauchen. Das holt uns jetzt ein. Es ist eben nicht nur der Ukraine-Krieg, sondern auch eine Energiestrategie, die auf der Zeitachse nicht aufgeht. Das müssen wir ergänzen.

Und wie?
Wir bleiben auf Atomkraft aus Frankreich und Gas aus Russland oder anderen Ländern angewiesen, bis wir die erneuerbaren Energien ausreichend ausgebaut haben. Die Sanktionen verschärfen die Situation zusätzlich.

Sie kritisieren also den Bundesratsentscheid, sich den EU-Sanktionen anzuschliessen?
Nein, ich stehe nach wie vor hinter den Sanktionen. Ausserdem würde sich für die Schweiz gar nichts ändern, wenn wir die Sanktionen nicht übernommen hätten. Es zeigt, dass man versuchen muss, möglichst schnell zu einem Waffenstillstand zu kommen.

Sind warme Stuben bei uns wichtiger als die Selbstbestimmung der Ukraine?
Es ist kein Entweder-oder. Doch wenn Menschenleben geopfert werden in einem Krieg, dessen Sinn schwer einzusehen ist, ist es doch gut, wenn man das stoppen könnte.

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