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Überbrückungsrente-Kompromiss
Wie der Gewerkschafts-Chef die FDP zurück ins Boot holte

Noch im Winter hatten die Freisinnigen den bundesrätlichen Vorschlag zerpflückt. Nun stellen sie sich hinter den neuen Kompromiss – dank Gewerkschafter Pierre-Yves Maillard.
Publiziert: 23.02.2020 um 13:29 Uhr
Camilla Alabor

Von einer gemütlichen Rückkehr ins Bundeshaus keine Spur: Nach 14 Jahren an der Spitze der Waadtländer Regierung kehrte Pierre-Yves Maillard (51) im Dezember letzten Jahres ins Bundeshaus zurück – und zögerte keine Sekunde. Kaum hatte der Gewerkschaftsboss und SP-Nationalrat vernommen, dass der Ständerat die Überbrückungsrente deutlich gekürzt hatte, suchte er das Gespräch mit Ruedi Noser (58). Mit jenem FDP-Ständerat also, der die bundesrätliche Vorlage zurückgestutzt und dabei die Unterstützung seiner bürgerlichen Ratskollegen gefunden hatte.

Maillard versuchte Nosers Überlegungen nachzuvollziehen. Und zu ergründen, welche Punkte in der bundesrätlichen Vorlage tatsächlich noch nicht ganz ausgereift waren. In den nächsten Wochen folgten: unzählige Gespräche, Telefonate, Mails, SMS. Mit bürgerlichen Politikern, Arbeitgebern, Bundesrätin Keller-Sutter (56, FDP), Bundesrat Berset (47, SP) sowie dem links-grünen Lager.

Gewerkschafter und zugleich Pragmatiker

Die Vermittlerrolle schien Maillard wie auf den Leib geschneidert: Als Gewerkschaftschef vertritt er die eine Hälfte der Sozialpartner, welche die Überbrückungsleistung (ÜL) zusammen aufgegleist hatten. Als ehemaliger Regierungsrat ist er zugleich Pragmatiker und gewohnt, über die Parteigrenzen hinweg Lösungen zu finden: Während seiner langjährigen Amtszeit arbeitete er neue Vorlagen regelmässig im Gespann mit FDP-Regierungsrat Pascal Broulis aus. Darunter auch die «rente-pont» für ältere Arbeitslose: exakt jene Vorlage, die auf nationaler Ebene als Vorbild für die Überbrückungsleistung diente.

In der Wintersession hatte der Ständerat den bundesrätlichen Vorschlag zur Überbrückungsrente zerpflückt.
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Eine nicht unwichtige Rolle spielte auch FDP-Nationalrat Philippe Nantermod (35): Würden die Freisinnigen auf der abgespeckten Version beharren, würde es für den Bundesrat schwierig, die Notrente als effektives Instrument gegen unliebsame Nebenwirkungen der Personenfreizügigkeit zu verkaufen.

Mit dem Sohn auf dem Arm

Und so traf sich Maillard, kaum war die Weihnachtspause vorüber, am 6. Januar mit Nantermod in Lausanne VD auf einen Kaffee, im Gepäck bereits ein ganzes Bündel an Vorschlägen. Weitere Telefonate folgten, wobei Nantermod teils mit Maillard das Knäuel der Überbrückungsrente zu entwirren und gleichzeitig seinen achtmonatigen Sohn zu beruhigen versuchte. Nationale Politik vom Wohnzimmer aus, gewissermassen.

Für die Lösungsfindung mag es geholfen haben, dass er als Romand weniger Vorbehalte gegen staatliche Leistungen habe als seine Deutschschweizer Parteikollegen, meint Nantermod. Entscheidend war aber, dass es der Walliser am Ende schaffte, auch seine Parteikollegen in der Gesundheitskommission vom neuen Kompromiss zu überzeugen.

Selbst die Grünliberalen sind dabei

Zwei Wochen vor der entscheidenden Kommissionssitzung vom vergangenen Freitag hatten Maillard und Nantermod zudem den CVP-Vertreter Christian Lohr (57) und die GLP-Nationalrätin Melanie Mettler (42) an Bord geholt. Besonders die Grünliberalen hatten sich in der Vernehmlassung skeptisch zur Vorlage geäussert: Eine Überbrückungsleistung, die faktisch einer Frühpensionierung entspreche, sei der falsche Weg und widerspreche diametral dem Ziel der Vorlage; nämlich der Rückkehr von älteren Arbeitslosen in die Erwerbstätigkeit.

Hinter dem Kompromiss, den die Gesundheitskommission des Nationalrats vorgestern Freitag präsentiert hat, können nun aber auch die Grünliberalen stehen – ebenso wie sämtliche anderen Parteien mit Ausnahme der SVP. Diese lehnt die Notrente weiterhin strikte ab.

Keine Rentenkürzungen

Die aktuelle Lösung sieht unter anderem vor, dass auch Personen, die vor 58 ihre Stelle verlieren, ab dem 60. Lebensjahr Anspruch auf die ÜL haben. Dies, sofern sie ab 50 während mindestens fünf Jahren gearbeitet haben und insgesamt mindestens 20 Jahre AHV-Beiträge einbezahlt haben. Im Gegensatz zum Ständerat wollen die Nationalräte zudem verhindern, dass alle ÜL-Bezüger faktisch zur Frühpensionierung gezwungen werden, was Rentenkürzungen zur Folge hätte.

Auf der anderen Seite wurden die Vermögensfreibeträge für Alleinstehende auf 50’000 Franken beziehungsweise für Ehepaare auf 100’000 Franken gesenkt. Unter dem Strich führt der neue Vorschlag voraussichtlich zu Kosten von 270 Millionen Franken pro Jahr, gegenüber 70 Millionen in der Version des Ständerats und 230 Millionen in der Version des Bundesrats.

Ständerat mischelt nochmals mit

Schon am 4. März kommt die Vorlage in den Nationalrat. Angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse in der Kommission ist davon auszugehen, dass die grosse Kammer den Vorschlag akzeptieren wird. Eine Woche später ist der Ständerat an der Reihe, dessen Mitglieder womöglich noch die eine oder andere Änderung vornehmen werden.

So will Ständerat Ruedi Noser genau hinschauen, wenn es darum geht, wem die Überbrückungsleistung nun alles zusteht. Grundsätzlich sieht er sich aber in seinem Vorschlag, den bundesrätlichen Vorschlag nicht einfach durchzuwinken, bestätigt: «Die aktuelle Vorlage nimmt viele Punkte auf, die wir bemängelt hatten.»

Angesichts der vielen Differenzen mag Noser auch keine Prognose wagen, ob das Geschäft tatsächlich in der Frühlingssession schon unter Dach und Fach kommt – so, wie das der Bundesrat gerne hätte, um die Überbrückungsleistung als Argument gegen die SVP-Kündigungs-Initiative anführen zu können. «Ein Geschäft, das pro Jahr 300 Millionen Franken kostet, muss man sorgfältig beraten», sagt Noser, «Qualität kommt vor Hetze.»

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