Turbinen erzeugen Überschuss
Schweiz exportiert gesparten Strom

Wir sollen möglichst viel Strom sparen, während die Energiefirmen Energie gegen gutes Geld nach Deutschland exportierten. Macht das Sinn?
Publiziert: 05.09.2022 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.09.2022 um 07:43 Uhr
Pascal Tischhauser und Aline Leutwiler

Es klingt paradox: Der Bundesrat ruft Bevölkerung und Betriebe dazu auf, Energie zu sparen – und die Stromfirmen verkaufen die von uns eingesparten Kilowattstunden zu Höchstpreisen ins Ausland.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn die Schweiz produziert im Sommer seit Jahren mehr Strom, als sie benötigt. Im Winter muss sie aber importieren. Das ändert sich auch nicht gleich, wenn wir nun anfangen, unseren Stromverbrauch zu senken, wie das der Bundesrat in der am Mittwoch präsentierten Energiesparkampagne propagiert.

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Kein Speicherplatz

Wichtig ist dabei zu wissen, dass wir die Energie gar nicht speichern können in der Schweiz. In unseren Stauseen hat es schlicht nicht genügend Platz für das gesamte Wasser, das bis im Winter noch in die Seen fliessen dürfte. Viele Stauseen sind bereits gut gefüllt.

Der Bundesrat ruft die Bevölkerung zum Stromsparen auf. Im Bild Energieministerin Simonetta Sommaruga.
Foto: Thomas Meier
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Beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) unter der Leitung von Michael Frank (58) heisst es dazu: «Schauen Sie sich die Situation beim Aletschgletscher an.» Diesen Sommer schmelze er so stark, dass der «Gebidem-Stausee gar nicht mehr alles Schmelzwasser aufnehmen kann», sagt ein Sprecher. Obwohl die Turbinen auf maximaler Leistung laufen würden, sei es gar nicht möglich, das ganze Potenzial der gesamten Wassermenge auszunutzen.

Gasvorräte schonen

Mit Blick auf diese Situation, aber auch auf die Flusskraftwerke und Solaranlagen, die derzeit laufend Strom liefern, könne man laut dem VSE nachvollziehen, «dass es durchaus Sinn macht, überschüssigen Strom ins Ausland zu verkaufen».

Mit dem Stromverkauf ins Ausland schont die Schweiz laut dem Verband auch die europäischen Gasspeicher. Denn weil derzeit mehr als die Hälfte der französischen Atomkraftwerke stillstehen, wird in Deutschland aktuell besonders viel Gas verstromt.

«Jede Kilowattstunde, die wir jetzt aus der Schweiz nach Deutschland liefern, senkt die Menge an Gas, die dort verstromt werden muss. Der derzeitige Stromexport hilft also mit Blick auf die kritische Winterversorgung», so der VSE.

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Kassen klingeln

Aufgeschreckt hatte eine Meldung der «Handelszeitung». Sie berichtete, dass die Schweizer Energiefirmen derzeit ein gutes Geschäft machten mit dem Strom, den wir auf Druck des Bundesrats einsparen.

Und tatsächlich werden derzeit Rekordpreise für Strom geboten, und jede Kilowattstunde, die ins Ausland verkauft werden kann, lässt die Kassen der Energieversorger klingeln.

Der VSE schränkt aber ein: «Man muss wissen, dass der überwiegende Teil der Energie, die in unseren Speicherseen steckt, schon vor längerer Zeit verkauft worden ist – und das zu sehr viel tieferen Marktpreisen.»

Einsparung ist noch gering

Zudem fangen wir in der Schweiz erst an, genauer auf unseren Energieverbrauch zu achten. Gemäss dem Verband dürfte die Strommenge, die Privathaushalte und Unternehmen einsparen, derzeit noch gering sein.

Das Bundesamt für Energie betont denn auch, es gehe bei der Sparkampagne auch darum, die Schweizerinnen und Schweizer frühzeitig auf den Sparkurs einzuschwören, damit das nicht mehr nötig ist, wenn es wirklich knapp wird. «Das braucht eine gewisse Vorlaufzeit», erklärt Sprecherin Marianne Zünd in der «Handelszeitung». «Allenfalls kaufen sich nun einige noch einen Wasserspar-Duschkopf oder Steckerleisten oder Deckel für die Töpfe, oder sie schauen in der Gebrauchsanleitung der Waschmaschine nach, wie das Eco-Programm eingeschaltet werden muss.»

Im März und April wirds heikel

Auch wenn die Elektrizitätsunternehmen jetzt einen Teil des Stroms teuer nach Deutschland verkaufen, beteuert der VSE: «Energie, die wir jetzt nicht verschwenden, schont die Wasser- und Gasspeicher und dient uns im Hinblick auf die kritische Winterversorgung.» Darum sei es so wichtig, «dass die Energiesparkampagne ein Erfolg wird und wir alle – Branche, Unternehmen und Private – dazu beitragen».

Wie Energieministerin Simonetta Sommaruga (62) sagt, ist die Gefahr im März und April 2023 besonders gross, dass es zu einem Engpass beim Strom kommt. Bis es wieder länger hell ist, es also wieder mehr Solarstrom gibt, muss die Schweiz im Winter Elektrizität importieren. Wenn dann auch in den Nachbarländern der Strom immer knapper wird, könnte das schwierig werden.

Hoffnung macht hier die Meldung, dass Frankreich bis zum Winter wieder alle Atomkraftwerke hochfahren will.

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