Trotz Hunderter Toter – verschleiert besucht Diplomatin einen Frauen-Schrein
Schweizer Botschafterin tritt im Iran mit Kopftuch auf

Legitimiert die Schweizer Botschafterin Nadine Olivieri Lozano die Gewalt an den Protestierenden im Iran? Weil die Mullahs mit einem Kopftuch-Auftritt der Diplomatin Propaganda machen, kritisieren Regimegegner die Schweizer Vertreterin in Teheran.
Publiziert: 22.02.2023 um 19:31 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2023 um 12:15 Uhr
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Ausgerechnet! Das iranische Regime geht seit Monaten mit ganzer Härte gegen die Proteste vor, die seit dem Tod von Mahsa Jina Amini (†22) am 16. September kaum abebben. Die junge Frau war drei Tage zuvor festgenommen worden, weil sie kein Kopftuch trug.

Und jetzt verschleiert sich die Schweizer Vertreterin in Teheran. Unsere Botschafterin Nadine Olivieri Lozano macht Schlagzeilen, weil sie am Mittwoch mit Kopftuch den heiligen Schrein der Fatima Masuma in der iranischen Stadt Qom besuchte.

Feigenblatt fürs Regime

Weil die Diplomatin verschleiert einen Frauen-Schrein besucht, legitimiert sie in den Augen der Regime-Kritiker das brutale Vorgehen des Mullah-Regimes: «Dass die Schweizer Botschafterin diesen Schrein besucht, ist einfach schockierend», sagt die in der Schweiz lebende Saghi Gholipour zu Blick. «Dass sie in einem Tschador auftritt, während Tausende Frauen dafür kämpfen, das Kopftuch ablegen zu dürfen», mache es noch schlimmer.

Die Schweizer Botschafterin Nadine Olivieri Lozano besuchte mit Kopftuch einen Schrein im iranischen Qom.
Foto: Screenshot Instagram
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Eine grössere Legitimation könne sich das Regime kaum wünschen: «Mitten in der iranischen revolutionären Bewegung ‹Frauen – Leben – Freiheit› besucht die höchste Schweizer Vertreterin eines der wichtigen religiösen Denkmäler des Irans in der Heiligen Stadt Qom.» Die Mullahs benutzten sie jetzt im Land wie auch international als Feigenblatt für ihr Regime, «das immer noch täglich foltert und tötet», sagt die Vertreterin Free Iran Switzerland, die Anti-Iran-Demonstrationen in der Schweiz organisiert hat.

«Protokoll eingehalten»

Tatsächlich finden sich Beispiele in den sozialen Medien dafür, dass Herrscher Teherans mit dem Auftritt der Schweizer Botschafterin Propaganda betreiben. Dennoch verteidigt das Aussendepartement (EDA) den Auftritt. Und es geht nicht auf den Vorwurf ein, dass dieser das Vorgehen des Regimes legitimieren würde.

«Der Besuch der Schweizer Botschafterin in Qom galt einer akademischen Institution, die im Bereich des interreligiösen Dialogs tätig ist und ihren Studierenden die Teilnahme an interreligiösen Seminaren in der Schweiz ermöglicht», sagt Pierre-Alain Eltschinger vom EDA. In diesem Zusammenhang habe ein kurzer Besuch einer wichtigen religiösen Stätte stattgefunden. «Beim Besuch der religiösen Stätte wurde das dort geltende Bekleidungsprotokoll für Frauen eingehalten», so der EDA-Sprecher.

«Klar Stellung genommen»

Und: «Der interreligiöse Dialog ist im aktuellen Kontext von grosser Bedeutung.» Die Schweiz nutze alle vorhandenen Kanäle, um den Dialog zu fördern, so auch zwischen Staaten im Rahmen ihrer Guten Dienste.

Weiter erklärt sich das EDA: «Gleichzeitig nimmt die Schweiz wiederholt und klar zu den Menschenrechtsverletzungen im Iran Stellung.» Sie habe in den vergangenen Monaten die Anwendung von Gewalt gegen die Demonstrierenden auf verschiedenen Ebenen mehrfach und unmissverständlich verurteilt. Ausserdem habe sie die iranischen Behörden dazu aufgerufen, den Weg der Deeskalation zu wählen und den Dialog mit den Demonstrierenden zu suchen.

«Was ist nur los mit der offiziellen Schweiz?»

Die Protestbewegung in der Schweiz dürfte das kaum ruhigstellen: «Ich frage mich: Was ist los mit der offiziellen Schweiz?», so Gholipour. «Schon die Glückwünsche von Bundespräsident Alain Berset vergangene Woche waren absolut daneben!» Berset hatte dem Iran zum Jahrestag der Revolution gratuliert – aller Brutalität des Regimes zum Trotz.

Eine kopftuchtragende Schweizerin hat schon einmal für Schlagzeilen gesorgt. 2008 besuchte die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (77) den Iran und trug dort ein – allerdings locker umgeschlagenes – Kopftuch. In der Schweiz wurde sie harsch kritisiert, ihr wurde vorgeworfen, sich vom Regime instrumentalisieren zu lassen. Calmy-Rey wies das zurück wie heute das EDA. Sie habe die Position der Schweiz zum Thema Menschenrechte verteidigt.

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