Studie von Avenir Suisse birgt Zündstoff
Schweizer Sicherheitspolitik ist von gestern!

Avenir Suisse geht mit der Schweizer Sicherheitspolitik hart ins Gericht. Denkmuster seien veraltet, Investitionen zu wenig vorausschauend. Mit einer Studie schlägt die liberale Denkfabrik eine Neuausrichtung vor. Auch die Schweizer Neutralität soll überdacht werden.
Publiziert: 25.03.2022 um 05:58 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2022 um 09:54 Uhr

Es herrscht Krieg in Europa. Seit Russland Ende Februar die Ukraine angegriffen hat, ist die Schweizer Politik in Aktivismus verfallen – immer streng nach eigenem Parteiprogramm.

So kämpft Links-Grün weiter gegen den neuen Kampfjet und russisches Öl. Die SVP schiesst gegen Sanktionen und will per Initiative eine allumfassende Neutralität schaffen. Und parteiübergreifend fordern Bürgerliche satte zwei Milliarden Franken mehr für die Armee – ohne aber konkret zu sagen, wohin die Mittel fliessen sollen.

«Ehrlicher als bisher in den Spiegel schauen»

Für die liberale Denkfabrik Avenir Suisse ist das vor allem «Symbolpolitik». Und ein grundlegendes Problem. In einer 72-seitigen Studie geht der Thintank hart ins Gericht mit der Schweizer Sicherheitspolitik.

Kaum hatte der Ukraine-Krieg begonnen, forderten die Bürgerlichen im Parlament deutlich mehr Mittel für die Armee, ohne zu sagen, wofür genau.
Foto: Keystone
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Deutlich wird Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder (54) bereits in seinem Vorwort. Ihm fehlt eine fundierte Auslegeordnung über die tatsächlichen Bedrohungen von heute und morgen. Die Schweiz müsse «ehrlicher als bisher in den Spiegel schauen» und sich von alten Denkmustern lösen. Ihm fehlt der Blick aufs grosse Ganze. Mit der am Donnerstag vorgestellten Sicherheitsstudie will Avenir Suisse einen Teil dazu beitragen.

Die Kritik richtet sich letztlich auch gegen den Bundesrat und das Verteidigungsdepartement VBS. Für Avenir Suisse richten diese die Verteidigungspolitik noch immer zu sehr rückwärtsgewandt aus. Angesprochen wird etwa die geplante materielle Kompletterneuerung der Armee, bei der ein Grossteil der Neuinvestitionen für konventionelle Mittel angedacht ist – wie neue Kampfjets oder bodengestützte Luftverteidigungssysteme.

Laptop statt Panzer

Für die Studienverfasser hingegen ist klar: «Ein konventioneller Konflikt auf Schweizer Boden ist weiterhin wenig plausibel.» Als Land inmitten von Europa profitiere die Schweiz vom Schutzschirm der Nato und den sicherheitspolitischen Bemühungen der EU. So sei auch weiterhin nicht damit zu rechnen, dass die Schweiz territorial vom Ukraine-Krieg betroffen sein wird.

Statt neue Panzer zu beschaffen, müsse sich die Schweiz vielmehr auf tatsächlich realistische Risiken ausrichten. Im Auge hat Avenir Suisse etwa Cyber-Attacken, Pandemien, Strom-Mangellagen, einen Ausfall des Mobilfunknetzes oder terroristische (Drohnen-)Angriffe. Alles Risiken, die auch regelmässig vom Bund selber genannt werden. Doch die Studie bilanziert: «Auf viele dieser Gefährdungen ist die Schweiz derzeit ungenügend vorbereitet.»

Zur Ausrichtung der künftigen Sicherheitspolitik hat Avenir Suisse daher fünf Thesen erarbeitet:

1. Die Schweiz müsse sich bei ihren Investitionen in die Armee «konsequenter an den wahrscheinlichen Bedrohungsbildern orientieren». Leichte und mobile Mittel, um unkonventionellen Bedrohungen zu begegnen, dürfen nicht vernachlässigt werden. Avenir Suisse verweist dabei etwa auf Grossbritannien, das eine Schwerpunktverschiebung plane von robusten Mitteln wie schweren Panzern zu Technologien wie Cyber-Abwehr und Drohnen mit künstlicher Intelligenz.

2. Die Kampfjets F-35 sind für Einsätze in einem militärischen Verbund konzipiert. Erst dann können sie ihre volle Wirkung entfalten. Daher liege es nahe, sich wie etwa das neutrale Schweden oder Finnland an Nato-Übungen zu beteiligen. Dazu seien aber erst neutralitätspolitische Fragen zu klären.

3. Die Cyber-Sicherheit muss weiter erhöht werden – mit den entsprechenden Mitteln. Bisher aber sei entgegen der neuen Bedrohungen ein Grossteil der Armee-Neuinvestitionen für konventionelle Mittel angedacht. «Für die Stärkung der Cyberverteidigung ist dagegen nur ein vergleichsweise kleiner Anteil des Budgets vorgesehen.»

4. Gerade bei der Landesverteidigung soll die Schweiz ihre strikte Neutralität überdenken. So könnte man allfällige Schwächen etwa bei den mechanisierten Verbänden durch verstärkte Kooperationen kompensieren.

5. Und die Armee soll mit offenen Karten spielen: Sie müsse gegenüber dem Parlament mehr Transparenz in der Lagebeurteilung schaffen und Bedrohungsszenarien so detailliert wie möglich darlegen.

Damit bleiben für Avenir Suisse vor allem zwei Fazite: Die Verteidigung im Ernstfall ist im Verbund am effizientesten, weshalb die Fähigkeiten vorab eingeübt und aufgebaut werden müssen. Und die Mittel müssen vermehrt aufgrund tatsächlicher Risiken und Bedrohungen investiert werden. So könne die Schweiz auch in einer unsichereren Zukunft einen effektiven Schutz ihrer Einwohnerinnen und Einwohner gewährleisten. (dba)

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