Studie der Fachhochschule Bern
Darum haben nicht mehr ukrainische Flüchtlinge einen Job

Menschen, die aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet sind, erhalten den Schutzstatus S. Das heisst, sie dürfen hier arbeiten. Doch erst jede und jeder Siebte hat bisher einen Job gefunden. Hier die Gründe.
Publiziert: 27.01.2023 um 00:28 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2023 um 08:21 Uhr
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

IT-Spezialisten, Pflegepersonal, Ingenieure – in vielen Branchen fehlt in der Schweiz derzeit spezialisiertes Personal. Die Situation dürfte sich weiter zuspitzen. Aushelfen könnten Ukrainerinnen und Ukrainer mit Schutzstatus S, die wegen des Krieges in ihrer Heimat in die Schweiz geflüchtet sind. Sie sind hoch motiviert, gut ausgebildet und lernen die Schweizer Landessprachen rasch. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Berner Fachhochschule (BFH).

Sie wurde im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) erstellt und hatte zum Ziel, das Arbeitsmarktpotenzial von Ukrainerinnen und Ukrainern mit Schutzstatus S zu untersuchen. Die Analyse stützt sich auf Selbsteinschätzungen von rund 2000 Personen, die zwischen Ende September und Mitte Oktober 2022 daran teilgenommen haben.

70 Prozent mit Hochschulabschluss

40 Prozent gaben in der Befragung an, gute Englischkenntnisse zu haben. Über 80 Prozent hatten gar einen Sprachkurs begonnen oder bereits abgeschlossen. Gemäss ihren eigenen Angaben verfügen die meisten Ukrainer auch über eine gute Ausbildung.

Diese Ukrainerin war eine der ersten Personen in der Schweiz mit Schutzstatus S. Sie fand Arbeit in der Küche eines Restaurants.
Foto: keystone-sda.ch
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Insgesamt haben 95 Prozent einen nachobligatorischen Abschluss. 70 Prozent der Befragten besitzen einen Hochschulabschluss. Am besten vertreten sind die Berufsfelder Wirtschaft, Verwaltung und Recht, Ingenieurwesen, verarbeitendes Gewerbe und Bau. Zudem finden sich unter den Befragten auch Personen mit Berufserfahrung im Gesundheitswesen und in der Pädagogik. Berufe also, die im Schweizer Arbeitsmarkt von Nutzen wären.

Trotz dieser Befunde lag die Erwerbstätigenquote von Personen mit Schutzstatus S Mitte Januar gemäss SEM bei bloss 14,5 Prozent. Warum also finden gut ausgebildete und arbeitswillige Geflüchtete in der Schweiz nicht schneller einen Job?

Fehlende Sprachkenntnisse als Haupthindernis

Der Luzerner Sozialdirektor Guido Graf (64) sprach bereits Anfang des Jahres im Blick-Interview über mögliche Gründe. Er sagte: «Viele können weder Deutsch noch Englisch, und auch das Ausbildungsniveau ist tiefer als erwartet. Ärztinnen und IT-Spezialisten – wie gedacht – sind kaum darunter.»

Das bestätigt auch eine Blick-Umfrage bei den Kantonen. Als Haupthindernis für die berufliche Integration von Personen mit Schutzstatus S werden oft (noch) fehlende Kenntnisse einer Landessprache genannt. Arbeitsstellen, die mit Englisch sprechenden Stellensuchenden besetzt werden könnten, seien eher auf hochspezialisierte Fachpersonen beschränkt.

Zudem zeige sich, dass es nicht viele Personen mit Schutzstatus S gebe, die eine Ausbildung in Informations- und Kommunikationsberufen hätten und die man entsprechend schnell dort einsetzen könne. Eine nachobligatorische Ausbildung bedeute darum auch nicht in jedem Fall, dass die Personen auch hochqualifizierte Fachkräfte seien, die vom Schweizer Arbeitsmarkt gesucht würden. Ebenso entsprächen die Ausbildungsinhalte nicht immer den verlangten Erfordernissen. Gerade Berufsfelder wie etwa Pädagogik, Wirtschaft, Verwaltung und Recht setzten oft spezifische Kenntnisse voraus.

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Viele Frauen mit Kindern

Konkret heisst das: Eine ukrainische Buchhalterin etwa muss nebst einer Landessprache auch neue Software und alle Besonderheiten der schweizerischen Sozial- und Steuerversicherung lernen, bevor sie einen entsprechenden Job findet. Oder ein Ingenieur wird nicht eingestellt, ohne die Standards des Schweizerischen Ingenieurs- und Architekturvereins (SIA) zu kennen. All das dauert.

Kommt hinzu: Zahlreiche Geflüchtete sind Frauen, die mit ihren Kindern eingereist sind – die meisten ohne ihre Ehemänner. Viele dieser Frauen müssen sich hauptsächlich um die Betreuung der Kinder kümmern.

Zudem ist auch die Lebenssituation in der Schweiz unklar: Für viele geflüchtete Personen bestehe die Erwartung und Hoffnung, bald wieder in die Ukraine zurückkehren zu können. Viele der Betroffenen hätten sich aus diesem Grund noch nicht verbindlich auf eine Integrationsperspektive einlassen können, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. Darum brauche auch die Umorientierung zur Integration in der Schweiz ihre Zeit.

Die meisten Kantone halten zudem fest, dass sie – nebst Sprachkursen – Personen mit Schutzstatus S gezielt mit Schulungsmassnahmen oder Weiterbildungskursen unterstützen, wenn sich Arbeitgebende melden, die Personal suchen.

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