Streit um Kosten und Logistik
Hausärzte impfen immer weniger

Im Kampf gegen die Pandemie sollten sie eigentlich eine zentrale Rolle einnehmen. Doch nun haben die Allgemeinmediziner genug. Hunderte Praxen stoppten die Immunisierung.
Publiziert: 08.08.2021 um 09:07 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2021 um 11:16 Uhr
Sven Zaugg

Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker: Dieser Spruch aus der Arzneimittelwerbung hat derzeit höchste Aktualität.

Die Vorbehalte gegen die Corona-Impfung sind gross. Die Schweiz liegt mit einer Impfquote von unter 50 Prozent auf dem letzten Platz in Westeuropa. Viele warten noch zu, weil sie sich schlecht informiert fühlen oder vor Nebenwirkungen und Langzeitfolgen fürchten. Deshalb spielen Hausärzte eine wichtige Rolle. Sie wissen, wie die Vakzine im Körper wirken und was man beachten muss. Sie kennen das Dossier sowie den gesundheitlichen Zustand ihrer Patienten und fungieren nicht selten als Vertrauenspersonen.

Impfzentren nach wie vor bevorzugt

Für Felix Huber, Präsident des Ärztenetzwerks Medix, ist die Arztpraxis «der optimale Ort», um Zauderer aufzuklären: «In der Hausarztsprechstunde fragen wir jeden Patienten, ob er oder sie gegen Covid geimpft ist. Fast immer kommen Skeptiker dann im vertrauensvollen persönlichen Gespräch zum Schluss, dass der Nutzen der Impfung die Risiken bei weitem überwiegt.»

Im Kampf gegen die Pandemie sollten sie eigentlich eine zentrale Rolle einnehmen. Doch nun haben die Allgemeinmediziner genug. Hunderte Praxen stoppten die Immunisierung.
Foto: imago images/Wilhelm Mierendorf
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Huber, selbst Hausarzt, plädiert dafür, dass «möglichst direkt aus der Sprechstunde geimpft werden soll». Doch das Angebot solcher Sprechstunden ist dünn gesät: In den Kantonen Solothurn, St. Gallen und Bern beispielsweise werden seit Beginn der Pandemie nur ausgewählte Praxen mit dem Impfstoff beliefert. Viele gehen leer aus, in Genf setzt man ausschliesslich auf Impfzentren. Doch diese werden jetzt landesweit heruntergefahren, weil die Nachfrage zurückgeht.

Hinzu kommt der Streit um die Kosten und komplexe Lieferketten, die den Allgemeinmedizinern die Lust am Piksen verdorben hat. So beliefert die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich nur noch Praxen, die mindestens 400 Impfdosen pro Monat bestellen. Huber: «Das können wir nie und nimmer verimpfen.»

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Lieferanten bieten keine Einzeldosen an

Hunderte Arztpraxen haben im Kanton Zürich darum die Verimpfung der Corona-Vakzine ausgesetzt. Hubers Forderung: «Wir brauchen so bald als möglich Covid-Einzelimpfdosen, um sofort impfen zu können.»

Der Kanton Zürich zeigt Verständnis für die Ärzte, weist aber darauf hin, dass die Lieferanten keine Einzeldosen anbieten. Deshalb sehe man davon ab, kleine Praxen mit geringen Bestellmengen zu bedienen.

Bund hält an ursprünglichen Lieferorten fest

Es ginge aber auch anders, glaubt Hausarzt Huber: «Grundsätzlich wäre es möglich Flacons mit zehn Impfdosen mit privaten Logistikunternehmen einzeln zu liefern, beispielsweise via Galenica oder der Apotheke zur Rose.» Bei jedem anderen Medikament ist dies gängige Praxis. Auch der Kanton Zürich würde es begrüssen, «wenn die Lieferung von Einzeldosen bald über die normalen Kanäle möglich wäre».

Doch der Bund hält eisern daran fest, die Lieferungen über die Armee- und Kantonsapotheke abzuwickeln. Er beruft sich dabei auf das Epidemiengesetz. Marktabklärungen hätten gezeigt, dass «das zivile Potenzial nicht vorhanden sei». Dem widerspricht die Ärzteschaft.

Ärztepauschale könnte zum Streitpunkt werden

Zusätzlich tobt im Hintergrund ein hässlicher Tarif-Streit. Die Pauschale von 24.50 Franken pro verabreichter Dosis, welche die Hausärzte derzeit für die Corona-Impfung erhalten, ist ihnen zu wenig. Sie deckt bestenfalls, so argumentieren sie, die Fixkosten – nicht aber Arbeitszeit und Beratung. Laut Charlotte Schweizer vom Ärzteverband FMH ist die Verabreichung einer Impfdosis erst bei einem Betrag von 56 Franken kostendeckend.

Die Ärztepauschale ist das Resultat eines Deals zwischen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) und den Kassen – mit dem Segen des BAG. Ab Oktober sollen die Ärzte noch weniger erhalten: 16.50 Franken pro Schuss.

Hausärzte spielen zentrale Rolle

Sogar GDK-Generalsekretär Michael Jordi spricht von einer «schlechten Entwicklung». «Die Hausärzte spielen eine zentrale Rolle in der Impfkampagne, und gleichzeitig drücken die Kassen stetig die Vergütungstarife.»

Einmal mehr sind es bürokratische Hürden und der Streit um Kosten, welche die Impfkampagne bremsen. Die Betonung der zentralen Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie, die den Hausärzte auch von Bundesrat Alain Berset zugesprochen wird, wird so zum reinen Lippenbekenntnis.

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