Steinbrück schreibt Buch über das «Elend der Sozialdemokratie»
So stellt sich «Peitschen-Peer» den neuen Sozi vor

Ein grosses Mitteilungsbedürfnis hatte der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück schon immer. Nun hat er sein Wunschbild eines Sozialdemokraten zu Papier gebracht, mit dem die Partei nach Merkel wieder gross auftrumpfen könnte.
Publiziert: 15.04.2018 um 21:37 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:25 Uhr
René Lüchinger

Für Schweizer ist er nur der «Peitschen-Peer», der auf dem Höhepunkt des Streits um Steueroasen die Kavallerie in unser Land schicken wollte. Für Teile der deutschen Sozialdemokratie gilt Peer Steinbrück, ehemaliger SPD-Kanzlerkandidat und Herausforderer von Angela Merkel, «heute als toxisch», wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» urteilt.

Jetzt hat dieser Peer Steinbrück ein Buch über «das Elend der Sozialdemokratie» geschrieben und sich bei der Titelgebung an einem gleichnamigen, dreissig Jahre alten Aufsatz des grossen Liberalen Ralf Dahrendorf orientiert. Schweizer wie Deutsche können diese «Anmerkungen eines Genossen» als Prosa eines Gescheiterten abtun. Oder aber die Genossen dies- und jenseits des Rheins nehmen die Worte Steinbrücks so, wie sie gemeint sind – als Weckruf eines Parteigängers, der sich sorgt, die Sozialdemokratie könnte im beginnenden 21. Jahrhundert ihren Status als links der Mitte einigende Volkspartei verlieren.

Auch aus Schweizer Perspektive spannend

Eine Perspektive, die bei allen länderspezifischen Unterschieden auch Schweizer Genossen keineswegs kalt lassen dürfte. Beide Sozialdemokratien leiden schliesslich seit Jahrzehnten an chronischem Wählerschwund – die SPD liegt noch bei einem Wähleranteil von etwas über einem Fünftel, die SP in der Schweiz liegt bereits bei unter 19 Prozent. In beiden Ländern sind zudem auf der rechten Seite politische Opponenten erstarkt, die auch traditionelle sozialdemokratische Wähler mitunter anzusprechen vermögen – die SVP in der Schweiz und die AfD in Deutschland.

Peer Steinbrück geht unter die Buchautoren.
Foto: Maria Schiffer

Zunächst einmal warnt der angriffige Steinbrück seine Genossen davor, die seltsam erstarrte Kanzlerin Angela Merkel einfach auszusitzen und zu glauben, sie könnten dann – wie schon öfter in der Nachkriegszeit – den Stab von einer abgewirtschafteten CDU übernehmen und einem Paternoster gleich in der Gunst der Wähler nach oben fahren. Er spricht stattdessen von einer «verloren gegangenen Mission», von einer tiefer liegenden Malaise der Partei.

Steinbrück stellt Kanzlerin Merkel kein gutes Zeugnis aus.
Foto: Reuters

Die traditionellen Arbeiterschichten existieren auch in Deutschland längst nicht mehr – der SPD-Wähler ist heute «älter denn je», es dominieren Beamte, Lehrer, Akademiker mit einem «häufig rudimentären Verständnis der Ökonomie»: in der SPD suchen sie «Schutz vor dem beschleunigten Tempo des Wandels». Darüber hinaus gilt aber auch: «Die Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft» habe dazu geführt, dass sich der klassische SPD-Wähler inzwischen in anderen Parteien besser aufgehoben fühle. 

Sozialdemokraten müssen sich neu erfinden

Vieles aus dieser Analyse lässt sich auf die Genossen in der Schweiz übertragen. Die Partei, die im vergangenen Jahrhundert wie keine zweite für Wohlfahrtstaat und soziale Marktwirtschaft eingetreten war und damit eine allgemeine «Sozialdemokratisierung» der Gesellschaft angeschoben hatte, muss sich nun im 21. Jahrhundert neu erfinden – für einen «neuen dritten Weg», wie Steinbrück das nennt.

Der Wunschzettel des Genossen sieht so aus: Europäisch und patriotisch müsse die Partei sein, gewillt den globalisierten Kapitalismus zu zähmen und für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft einzutreten, den technologischen Fortschritt zu fördern, seine Folgen, wo sozial nötig und ethisch geboten, aber unter Kontrolle zu bringen. Die Partei «sollte für Weltoffenheit und Liberalität einstehen und in der Debatte über eine zivile Bürgergesellschaft Wortführer sein», schreibt Steinbrück, «zugleich aber gegen soziale Regellosigkeit vorgehen und dem Rechtsstaat die Mittel zur Gewährleistung der inneren Sicherheit zur Verfügung stellen».

Steinbrück prognostiziert «Zeter und Mordio»

So vernünftig und weltoffen, so patriotisch und pragmatisch reden gewöhnlich nur Politiker, die es gewohnt sind, auch die grössten Widersprüche rhetorisch weichzuspülen. Ob es diesen schönen neuen Sozialdemokraten im realen Leben, in Deutschland oder der Schweiz in genügend grosser Population geben kann, um die ehrwürdige Sozialdemokratie als Volkspartei überleben zu lassen, weiss aber nicht einmal der schlaue Peer Steinbrück.

Er prognostiziert aber, dass dem eine «personelle Runderneuerung» vorangehen muss, die «absehbar zu Zeter und Mordio» führen wird. Dann wären die Politiker wieder wie immer: Wenn es um ihre Pfründe geht, kennen sie kein Pardon und manch ein Wähler wird sich angesichts des absehbaren Postenschachers vielleicht lieber der Partei der Nichtwähler anschliessen. Das Elend der Sozialdemokraten geht also, wie es scheint, auch im neuen Jahrtausend munter weiter.

Peer Steinbrück: «Das Elend der Sozialdemokratie. Anmerkungen eines Genossen», Verlag C.H. Beck. 

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