Stadt Zürich stimmt über Grundeinkommen ab
Drei Jahre Lohn, ohne dafür arbeiten zu müssen

In der Stadt Zürich könnten schon bald mehrere Hunderte Personen ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Die Befürworter hoffen, dass das der Debatte schweizweit neuen Schwung verleiht.
Publiziert: 22.08.2022 um 17:03 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 14:50 Uhr
Lea Hartmann

Die Volksinitiative hatte keine Chance. Mit 77 Prozent Nein-Stimmen lehnte die Schweiz 2016 die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ab. Ein Lohn für alle, unabhängig davon, ob und wie viel man arbeitet? Davon wollten die Schweizerinnen und Schweizer nichts wissen.

Für einige Hundert Zürcherinnen und Zürcher könnte der Traum aber dennoch bald wahr werden. Trotz der Schlappe auf nationaler Ebene wollen es die Vorkämpferinnen und Vorkämpfer für ein Grundeinkommen in der grössten Schweizer Stadt noch einmal wissen. Am 25. September stimmt die Stadt darüber ab, ob ein Pilotversuch gestartet werden soll.

Pilotversuch soll mindestens drei Jahre laufen

Die Idee: Mindestens 500 Einwohner sollen mindestens drei Jahre lang ein Grundeinkommen erhalten. Wie hoch das genau ist, müsste erst noch festgelegt werden. Die Initiative schreibt vor, dass das Grundeinkommen mindestens dem sozialen Existenzminimum entspricht. Das sind etwa 2500 Franken, in Zürich könnte es auch etwas mehr sein. Wer Geld verdient, bekommt je nach Einkommen weniger oder kein Geld vom Staat. Das Grundeinkommen soll also kein Zustupf sein, den jede und jeder unabhängig von seinen Einkünften erhält, sondern eine Art finanzielles Sicherheitsnetz.

2016 hat die Schweiz schon einmal übers Grundeinkommen abgestimmt. Für die Kampagne wurden 8 Millionen Fünfräppler auf den Bundesplatz geleert.
Foto: Keystone
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«Wir wollen kein Grundeinkommen einführen, wenn das niemand will. Es geht uns darum, auszuprobieren und Wissen zu sammeln», sagt Silvan Groher (47), Geschäftsführer des Vereins Grundeinkommen. Werden die Menschen faul, wenn sie ein Grundeinkommen erhalten? Wie hoch muss es sein? Und wie viel kostet das die öffentliche Hand? Auf solche und weitere Fragen wolle man Antworten finden.

Für Groher ist klar, dass das heutige Sozialsystem über kurz oder lang grundsätzlich umgebaut werden muss. Ein Grundeinkommen bewege sich zwar in derselben Höhe wie die Sozialhilfe, dennoch seien es zwei ganz unterschiedliche Konzepte. «Die Sozialhilfe greift beispielsweise erst, wenn man sein Erspartes fast vollständig aufgebraucht hat. Ausserdem muss man sie wieder zurückzahlen», erklärt Groher.

Es könnte klappen

Der Verein Grundeinkommen hat auch in den Städten Bern und Luzern Initiativen lanciert. In der Zürcher Gemeinde Rheinau ist ein Grundeinkommen-Experiment 2018 in der Crowdfunding-Phase gescheitert.

Im linken Zürich ist es durchaus möglich, dass das Anliegen eine Mehrheit bekommt. SP, Grüne und die Alternative Liste (AL) empfehlen die Initiative zur Annahme, GLP und Mitte haben Stimmfreigabe beschlossen. Die Bürgerlichen sind dagegen.

Aber auch auf nationaler Ebene ist das Thema noch nicht gegessen. Vor einem Jahr hat ein Komitee um den ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg (78), der schon Mitinitiant der ersten Volksinitiative war, einen zweiten Anlauf für eine Initiative gestartet. Die Befürworter sind der Überzeugung, dass das Nein 2016 keine grundsätzliche Absage zu einem Grundeinkommen in der Schweiz war – sondern der Vorschlag, der damals auf dem Tisch lag, zu wenig ausgegoren war.

Zweiter Anlauf auf nationaler Ebene

Nun, bei der zweiten Initiative, sei beispielsweise festgelegt, wie man das Grundeinkommen finanzieren würde, sagt Raffael Wüthrich (36), Sprecher des Initiativkomitees. Und zwar durch Steuern auf Finanztransaktionen, Umsätze von Technologieunternehmen und Kapitaleinkünfte, also beispielsweise Gewinne aus Dividenden und Börsengeschäften.

Die Unterschriftensammlung lief bisher allerdings harzig. Vor wenigen Wochen stand die Initiative deshalb auf der Kippe, fast hätte das Komitee aufgegeben. Doch statt Forfait will man jetzt nochmals richtig Gas geben.

«Wir haben gemerkt: Das Anliegen stösst bei den Menschen auf extrem viel Wohlwollen, aber zu wenig Menschen wissen, dass es die Initiative gibt», sagt Wüthrich. Zudem sei die Sache einfach zu wichtig, um aufzuhören zu kämpfen. «Die Sammlung darf nicht scheitern, denn sonst würde die ganze Grundeinkommens-Bewegung um Jahre zurückgeworfen.»

Gemeinsame Kampagne

Die Abstimmung in Zürich wird für das nationale Komitee ein wichtiger Richtungsweiser sein. Deshalb spannen die beiden Komitees auch zusammen und werden diese Woche eine gemeinsame Abstimmungskampagne lancieren.

Sagt die Stadt Zürich Ja zum Pilotversuch, könnte dieser eventuell neue Impulse geben für die nationale Debatte. Sonst ist der Traum vom Grundeinkommen wohl ausgeträumt.

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