«An die Zeit im Spital kann ich mich nicht erinnern»
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St. Galler Regierungspräsident:«An die Zeit im Spital kann ich mich nicht erinnern»

St. Galler Regierungsrat Fredy Fässler erzählt erstmals vom schweren Unfall
«Man konnte erst nicht sagen, ob ich überleben werde»

Schädelbruch! Der St. Galler Regierungspräsident Fredy Fässler hat sich bei einem Sturz daheim schwer verletzt. Im Blick-Interview erzählt der SP-Politiker vom Unfall, der nicht nur seiner Polit-Karriere beinahe ein Ende gesetzt hätte.
Publiziert: 20.05.2023 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 20.05.2023 um 16:05 Uhr
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Lange war unklar, ob Fredy Fässler (64) je ins Amt zurückkehrt. Auch er selbst konnte nur hoffen. Der Regierungspräsident des Kantons St. Gallen ist vergangenen Oktober schwer gestürzt und lag mehrere Wochen im Spital, danach kam er in die Reha. Doch er kämpfte sich zurück. Seit Anfang Mai kann der SP-Politiker wieder die Regierungssitzungen leiten. In seinem Büro in der St. Galler Innenstadt empfing er Blick zu einem sehr persönlichen Interview.

Blick: Herr Fässler, was war Ihre erste Amtshandlung, als Sie nach fast einem halben Jahr Zwangspause wieder zurück ins Büro kamen? Erst einmal die hunderten von ungelesenen Mails checken?
Fredy Fässler:
Damit hatte ich schon zu Hause begonnen. Ich bin auch vorher schon ab und zu ins Büro gegangen, habe etwas aufgeräumt und Regierungsgeschäfte studiert. Aber ich versuche, es vorsichtig anzugehen. Die Neurologin hat mir die dringende Empfehlung gegeben, nicht zu steil einzusteigen. Daran will ich mich halten. Ich muss ja nicht an jede Hundsverlochete.

Wie wurden Sie bei Ihrer Rückkehr empfangen?
Nun, die 2000 Leute, die mit mir arbeiten, hatten natürlich nicht alle in meinem Büro Platz. Aber ein Blumenstrauss erwartete mich. Schon in der Zeit, in der ich weg war, hatte ich viel Post, Blumen und andere Aufmerksamkeiten bekommen – nicht nur von den Mitarbeitenden, sondern auch von Leuten von überall aus der Schweiz, die ich gar nicht persönlich kenne. Das hat mich gerührt und meinen Heilungsprozess, denke ich, stark begünstigt. Meine Mitarbeitenden haben sich tatsächlich danach gesehnt, dass der Chef da ist! Das hätte ich mir durchaus auch anders vorstellen können.

Vergangenen Oktober erlitt der St. Galler Regierungspräsident Fredy Fässler ein Schädel-Hirn-Trauma.
Foto: Philippe Rossier
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Sie wollten mit einem Interview warten, bis Sie sicher sind, dass Sie auch wirklich wieder fit sind. Wie geht es Ihnen heute?
Ich fühle mich gut. Ärztinnen und Ärzte haben drei Stunden lang sämtliche meiner Hirnfunktionen getestet. Das Ergebnis: Alles, was man können sollte, kann ich. Am Anfang, in der Reha, hatte ich noch Respekt vor dem Treppensteigen und generell vor dem Gehen. Aber jetzt fühle ich mich wieder sicher. Einzig auf dem linken Ohr habe ich noch eine Hörstörung.

Der Hooligan-Schreck

Fredy Fässler (64) ist seit 2012 Regierungsrat im Kanton St. Gallen. Der SP-Politiker stand von 2020 bis zu seinem Unfall im Oktober 2022 der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren vor und hatte in dieser Funktion unter anderem für Schlagzeilen gesorgt, weil er eine härtere Gangart gegen Fussballchaoten forderte. Auf die Erneuerungswahlen im Frühling 2024 hin hat er seinen Rücktritt aus der St. Galler Regierung angekündigt. Fässler ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Fredy Fässler (64) ist seit 2012 Regierungsrat im Kanton St. Gallen. Der SP-Politiker stand von 2020 bis zu seinem Unfall im Oktober 2022 der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren vor und hatte in dieser Funktion unter anderem für Schlagzeilen gesorgt, weil er eine härtere Gangart gegen Fussballchaoten forderte. Auf die Erneuerungswahlen im Frühling 2024 hin hat er seinen Rücktritt aus der St. Galler Regierung angekündigt. Fässler ist verheiratet und hat zwei Töchter.

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Sie sind Anfang Oktober gestürzt, erlitten ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Erinnern Sie sich, was genau passiert ist?
Es war am 6. Oktober, in den Herbstferien. Ich habe mich am Nachmittag eine halbe Stunde hingelegt. Ab dem Moment, in dem ich aus dem Bett aufstand, habe ich keine Erinnerung mehr. Die Ärzte im Notfall sagten, es gäbe eigentlich nur eine Erklärung: Ich müsse ohnmächtig geworden und mit voller Kraft auf den Hinterkopf gefallen sein. Dabei erlitt ich einen Schädelbruch.

Wer hat Sie gefunden?
Zum Glück war meine Frau im Nebenzimmer und hörte es tschädärä. Sie glaubte, ein Schrank sei umgefallen. Dann sah sie mich am Boden liegen. Ich röchelte, aus dem linken Ohr spritzte Blut. Es sah sehr bedrohlich aus. Als ich ins Spital eingeliefert wurde, konnte man nicht sagen, ob ich überleben werde. Zum Glück hat sich mein Zustand dann schnell verbessert.

Wann kamen Sie wieder zu Bewusstsein?
Meine Frau sagt, ich sei schnell wieder da gewesen – noch bevor die Ambulanz kam. Aber ich selbst habe keinerlei Erinnerung an das Kippen und die Fahrt ins Spital. Ich kann mich auch überhaupt nicht an die Zeit im Spital erinnern. Erst in der Reha in Walzenhausen, also etwa fünf Wochen später, setzt die Erinnerung wieder ein.

Was war die Diagnose?
Ich weiss bis heute nicht, warum ich bewusstlos wurde. Ich wurde auf alles, was infrage kommen könnte, getestet – gefunden haben die Ärzte nichts.

Beunruhigt Sie diese Ungewissheit?
Ja, ich würde es schon gern wissen. Einerseits, weil es wieder passieren könnte – auch wenn die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch sein soll. Aber vor allem auch, weil derzeit noch im Raum steht, ob es sich allenfalls um eine relativ seltene Erbkrankheit handeln könnte. Da laufen jetzt noch Tests.

Was ist ein Schädel-Hirn-Trauma?

In der Schweiz erleiden pro Jahr gemäss Universität Zürich 3000 bis 5000 Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma. Dabei handelt es sich um eine Verletzung (Trauma) des Schädelknochens – verbunden mit einer Funktionsstörung des Gehirns.

Die Kopfverletzung wird durch eine äussere Einwirkung verursacht. Entweder durch einen Sturz oder einen Schlag gegen den Kopf. Allerdings führt nicht jede Kopfverletzung zu einem Schädel-Hirn-Trauma. So kann das Gehirngewebe selbst nach mehrfachen Schädelbrüchen unverletzt sein. Umgekehrt können schwere Hirnverletzungen auch ohne Brüche der Schädelknochen auftreten.

Eine Unterscheidung zwischen einem reinen Bruch eines Schädelknochens und einer Gehirnverletzung kann nur eine Ärztin oder ein Arzt im Spital vornehmen. Ein Schädel-Hirn-Trauma kann schnell lebensbedrohlich werden oder schwere Folgen nach sich ziehen. Eine rasche Abklärung und Behandlung ist daher wichtig.

In der Schweiz erleiden pro Jahr gemäss Universität Zürich 3000 bis 5000 Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma. Dabei handelt es sich um eine Verletzung (Trauma) des Schädelknochens – verbunden mit einer Funktionsstörung des Gehirns.

Die Kopfverletzung wird durch eine äussere Einwirkung verursacht. Entweder durch einen Sturz oder einen Schlag gegen den Kopf. Allerdings führt nicht jede Kopfverletzung zu einem Schädel-Hirn-Trauma. So kann das Gehirngewebe selbst nach mehrfachen Schädelbrüchen unverletzt sein. Umgekehrt können schwere Hirnverletzungen auch ohne Brüche der Schädelknochen auftreten.

Eine Unterscheidung zwischen einem reinen Bruch eines Schädelknochens und einer Gehirnverletzung kann nur eine Ärztin oder ein Arzt im Spital vornehmen. Ein Schädel-Hirn-Trauma kann schnell lebensbedrohlich werden oder schwere Folgen nach sich ziehen. Eine rasche Abklärung und Behandlung ist daher wichtig.

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Haben Sie immer daran geglaubt, wieder ins Amt zurückkehren zu können?
Es war von Anfang an mein Ziel. In der Reha ist mir so bewusst geworden wie nie zuvor, welche massgebende Bedeutung das Amt als Regierungsrat für mich hat. Die Möglichkeit, dass ich vielleicht nicht zurückkehren kann, hat mich sehr beschäftigt. Es gab Leute, die sagten, dass ich damit rechnen müsse, zwei Jahre daheim zu sein. Zum Glück verlief der Heilungsprozess dann viel schneller als erwartet.

Nun aber haben Sie vor Kurzem bekannt gegeben, dass Sie nächsten Frühling bei den Wahlen nicht mehr antreten. Welche Rolle spielte da der Unfall?
Es war sicher ein Faktor. Durch den Unfall war ich gezwungen, mich etwas früher, als ich das geplant hatte, mit der Frage auseinanderzusetzen. Ich bin zum Schluss gekommen, dass ein Rücktritt wohl am vernünftigsten ist.

Das Risiko besteht, dass die SP wegen Ihres Rücktritts einen der beiden Regierungssitze abgeben muss. Das, nachdem man eben erst einen der beiden St. Galler Ständeratssitze an die SVP verloren hat. Ist Ihnen das egal?
Nein, überhaupt nicht. Es stimmt: Sicher ist es nicht, dass wir den Sitz halten können. Aber die SP muss in den meisten Kantonen um die Vertretung in der Regierung kämpfen. Selbstverständlich stand ich in Kontakt mit der Partei. Ich bin froh, dass sie mich in dieser Hinsicht überhaupt nicht unter Druck gesetzt hat.

Bei Ihrem Rücktritt nächstes Jahr werden Sie zwölf Jahre Regierungsrat hinter sich haben. Was werden Sie am meisten vermissen?
Das werde ich dann merken, wenn es soweit ist. Fest steht: Das Amt ist faszinierend und es ist ein absolutes Privileg, hier arbeiten zu dürfen. Ich war vorher Anwalt, die Wahl hat mir einen Berufswechsel mitten im Leben ermöglicht.

Was wird Ihnen ganz bestimmt nicht fehlen?
Da gibt es relativ wenig. Aber auf die Beschimpfungen, die ich ab und an per Mail erhalte, kann ich gut verzichten.

Haben Sie schon eine Idee, wie es nach der Pensionierung weitergeht?
Ich habe jetzt schon Anfragen bekommen von Anwaltskanzleien, die mich gern bei sich hätten. Ausserdem neigen überschuldete Vereine ja manchmal dazu, pensionierte Regierungsrätinnen und Regierungsräte zu sich zu holen … Aber vielleicht gehe ich auch mit meiner Frau reisen oder mehr Velofahren. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen: Vor Mai 2024 sage ich nirgends zu.

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