«Wer Gewinne gemacht hat, soll grösseren Beitrag leisten»
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SP-Präsident Christian Levrat:«Wer Gewinne gemacht hat, soll grösseren Beitrag leisten»

SP-Präsident Levrat über die Finanzierung der Corona-Schulden
«Wer Gewinne gemacht hat, soll grösseren Beitrag leisten»

Christian Levrat will die Solidarität, die sich in der Krise gezeigt hat, in den Alltag hinüber retten. Dazu erwägt der SP-Chef die Lancierung einer Initiative.
Publiziert: 23.05.2020 um 23:47 Uhr
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Aktualisiert: 24.05.2020 um 08:52 Uhr
Interview: Camilla Alabor und Simon Marti

SonntagsBlick: Herr Levrat, die erste Corona-Welle ist vorbei, die Fallzahlen flachen ab. Welches Fazit ziehen Sie aus dem Lockdown?
Christian Levrat: Die wichtigste Lehre aus der Krise ist: Wir haben das Virus dank der Solidarität ­unserer Gesellschaft – vorläufig – besiegt. Ich bin stolz auf die Be­wohnerinnen und Bewohner unseres Landes.

Wie meinen Sie das?
Wir sind eines der wenigen Länder, denen es gelungen ist, die Krise ohne drastische Verbote zu bewältigen. Schauen Sie nur nach Frankreich: Dort waren die Polizei und die Armee auf der Strasse, um die Bevölkerung daran zu hindern, nach draussen zu gehen. Bei uns hat der Bundesrat die Menschen ­lediglich gebeten, zu Hause zu ­bleiben – und sie haben sich daran gehalten. Gleichzeitig haben die Massnahmen der Schweiz erlaubt, 70 Prozent der Wirtschaftsleistung zu sichern. Der Staat hat alle Mittel mobilisiert, und die Menschen ­haben sich umeinander gekümmert.

Noch ist das Virus nicht besiegt. Wie geht es aus Ihrer Sicht jetzt weiter?
Ich hoffe, die Krise lehrt uns, auch in Zukunft achtsamer miteinander umzugehen. Das ist die Lehre aus der Vergangenheit, aber es ist auch die Lösung für die Zukunft. Um die sozialen und wirtschaftlichen ­Herausforderungen zu meistern, braucht es Solidarität.

SP-Chef Christian Levrat ist überzeugt: «Wir haben das Virus dank der Solidarität unserer Gesellschaft – vorläufig – besiegt.»
Foto: STEFAN BOHRER
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Mit anderen Worten: Sie wollen die Krise für einen sozialistischen Umbau nutzen.
Es geht nicht um einen Umbau, sondern um Gerechtigkeit. Menschen, die in systemrelevanten Branchen wie Gesundheit, Kinderbetreuung oder im Detailhandel arbeiten, verdienen endlich mehr Respekt, mehr Lohn und ­bessere Arbeitsbedingungen. Das ist auch eine wirtschaftspolitische Frage. Der Export ist drastisch eingebrochen und wird in nächster Zeit keine Stütze für die Wirtschaft sein. Bleiben uns zwei weitere ­Hebel: Kaufkraft und Investi­tionen. Die Aufwertung der tiefen Löhne stärkt die Kaufkraft.

Höhere Löhne für das Pflege­personal bedeuten höhere Kosten für den Steuerzahler. Ist das angesichts der Milliardenschulden wirklich angemessen?
Die Tieflöhne der Pflegerinnen sind nicht der Grund für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Es gibt kaum einen anderen Beruf, wo der Lohn angesichts der Aus­bildung und hohen Verantwortung so tief ist wie bei den Pflegern.

Sie haben als zweiten Hebel die Investitionen erwähnt. Was schwebt Ihnen vor?
Bei den Investitionen geht es nun darum, bereits geplante Projekte vorzuziehen. Zusätzlich braucht es Investitionen in die Digitalisierung und in eine grüne Wirtschaft.

Und wie wollen Sie die Milliarden­schulden, die der Bund zur Bewältigung der Corona-­Krise aufgenommen hat, finanzieren?
Die Frage ist, ob wir die Schulden über die nächsten 20 Jahre überhaupt zurückzahlen müssen. Mit den Negativzinsen verdient der Bund derzeit sogar Geld, wenn er Schulden macht. Klar ist, dass die Finanzierung der Krise gerecht sein muss. Sie darf nicht zulasten des Mittelstands und der Bevölkerungsschichten mit weniger Geld erfolgen.

Solidarität heisst für Sie also, dass die Reichen für alles aufkommen müssen.
Wenn jene, denen es während der Krise etwas besser gegangen ist, für die Schulden aufkommen, fände ich das nicht skandalös.

Darüber hinaus schlagen Sie eine Abgabe von fünf Prozent für all jene Unternehmen vor, die Gewinne erzielen. Damit würgen Sie die Wirtschaft erst recht ab.
Nein. Wer in der Krise enorme Unternehmensgewinne gemacht hat, soll und kann einen grösseren Beitrag leisten.

Sie wollen also jene bestrafen, die trotz schwierigsten Bedingungen gut wirtschaften.
Keinesfalls. Wenn es zusätzliche Mittel braucht, um die Krise zu ­bewältigen, dann ist es nur logisch, dass jene, die Gewinne machen, ­ihren Teil beitragen.

Ihren Aufruf zu mehr Solidarität hat die SP auch auf Flaggen gedruckt, die ab Montag an 10'000 Haushalte verschickt werden sollen. Ist jetzt wirklich die Zeit für Wahlkampf?
Nein, im Gegenteil. Wir wollen den Boden legen für eine gesellschaft­liche Debatte: Wir können nicht einfach weitermachen wie vorher. Die Bedeutung der systemrelevanten Berufe muss zunehmen.

Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
In den 1930er-Jahren, als die Schweiz in einer ähnlichen wirtschaftlichen Krise war, startete die Linke eine Solidaritäts-Initiative. Sie wurde zwar hochkant ab­gelehnt, aber ­hatte einen grossen Einfluss auf die politische Debatte. Eine Initiative könnte auch heute ein Mittel sein, um die Diskussion zu lancieren.

Was könnte in einer solchen Initiative denn drinstehen?
Dafür ist es noch zu früh; eine ­Initiative ist eine Möglichkeit von vielen. Im Moment müssen wir auf der ganzen Klaviatur spielen, um die Solidarität aus der Krise in den Alltag hinüberzuretten.

Die Corona-Pandemie hat den Klima­wandel in letzter Zeit aus dem Fokus der Öffentlichkeit verdrängt. Es müsste Ihnen gefallen, wenn die grüne Kon­kurrenz etwas in den Hintergrund rückt.
Es ist nicht die Zeit der Partei­politik.

Das sagten Sie, stimmt aber nicht. Jede Partei präsentiert derzeit Rezepte zur Bewältigung der Krise, auch die SP.
Die Parteien kämpfen für ihre Vorstellungen von der Gesellschaft. Die SP geht gestärkt aus dieser Krise, weil unsere Werte – die Solidarität, die Kraft des Staates und des ­Service public – gestärkt wurden.

Viele Parlamentarier üben derzeit Selbstkritik: Sie sind der Meinung, das Parlament habe sich vorschnell aus dem Spiel genommen und den Bundesrat durchregieren lassen.
Ja, das hat mich auch gestört. Selten habe ich so getobt, wie in dem ­Moment, als man der Wirtschaftskommission des Ständerats verboten hat zu tagen. Mitten in der ­Krise, als der Bund Milliarde um ­Milliarde sprach. Dies, obwohl weltweit die meisten Parlamente weiterhin getagt haben!

Was muss die Schweiz für den nächsten Krisenfall demnach anpassen?
Das Parlament braucht Pläne, um weiter­­zu­arbeiten – sei es im Falle einer Pandemie oder einer anderen Krise. ­National- und Ständerat hatten sich während der Corona-Krise selber in einen Tiefschlaf versetzt. Es brauchte immense Anstrengungen, um das Parlament wieder aufzuwecken.

Persönlich

Christian Levrat (49) ist seit 2008 Präsident der Schweizer Sozialdemokraten. Von 2003 bis 2012 sass der Jurist im Nationalrat, 2012 wählten ihn die Freiburgerinnen und Freiburger in den Ständerat. Derzeit präsidiert er die Wirtschaftskommission (WAK) des Ständerats. In diesem Frühling hätte die SP seine Nachfolger küren wollen. Aufgrund der Pandemie findet die Wahl wohl im Herbst statt. Levrat ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Christian Levrat (49) ist seit 2008 Präsident der Schweizer Sozialdemokraten. Von 2003 bis 2012 sass der Jurist im Nationalrat, 2012 wählten ihn die Freiburgerinnen und Freiburger in den Ständerat. Derzeit präsidiert er die Wirtschaftskommission (WAK) des Ständerats. In diesem Frühling hätte die SP seine Nachfolger küren wollen. Aufgrund der Pandemie findet die Wahl wohl im Herbst statt. Levrat ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

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