Solidarität mit Ukrainern
73 Prozent der Schweizer wollen Flüchtlinge aufnehmen

Die Anteilnahme am ukrainischen Schicksal scheint gross zu sein. Wie viele Menschen in der Schweiz Asyl beantragen werden, ist aber kaum abzuschätzen.
Publiziert: 27.02.2022 um 01:34 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2022 um 09:26 Uhr
Laut Medienmitteilung demonstrierten 20'000 Personen in Bern
Foto: SDA
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Thomas Schlittler, Camilla Alabor und Simon Marti

Justizministerin Karin Keller-Sutter (58) galt viele Jahre als Hardlinerin in Asylfragen. Der Grund: Als Präsidentin der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz engagierte sich die St. Gallerin für eine Verschärfung der Ausländergesetze.

Am Freitag an der Bundesrats-Medienkonferenz wirkte die «eiserne Lady» aber alles andere als kalt. «Wir sind diese Woche in der sicheren Schweiz erwacht, während die Menschen in der Ukraine im Krieg erwacht sind», sagte sie sichtlich bewegt. Mit deutlichen Worten verurteilte sie den russischen «Angriff auf demokratische Werte» und betonte, man werde die Menschen in der Ukraine nicht im Stich lassen. «Wir sind solidarisch mit den Ukrainern!», so Keller-Sutter mehrmals.

Schweizerinnen und Schweizer sind sich einig

Die Haltung der Bundesrätin wird von grossen Teilen der Bevölkerung getragen, wie eine repräsentative Umfrage im Auftrag von SonntagsBlick zeigt. Das Link-Institut hat 1027 Menschen in der Schweiz gefragt, was sie von folgender Aussage halten: «Ich finde, dass die Schweiz Schutzsuchende aufnehmen sollte.» Das Ergebnis: Rund 73 Prozent stimmen dieser Aussage «eher» oder «voll und ganz» zu. Bei keiner anderen Frage im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt sind sich die Schweizerinnen und Schweizer derart einig. Lediglich knapp 14 Prozent sprechen sich gegen eine Aufnahme von Flüchtlingen aus.

Dass die Schweizer Bevölkerung Anteil nimmt am Schicksal der ukrainischen Bevölkerung, zeigte sich gestern auch an einer Friedensdemonstration in Bern. Zwischen 10'000 und 20'000 Menschen machten an der Kundgebung mit, die unter dem Motto «Frieden für die Ukraine und ganz Europa» stand.

Geprägt war das Bild von «Peace»- und Ukraine-Fahnen. Applaus gab es für jene Rednerinnen und Redner, die «Nein zum Krieg von Putin, nein zu allen Kriegen» riefen. Pfiffe gab es an die Adresse des Bundesrats – nicht für dessen Versprechen, Flüchtlinge aufzunehmen, sondern für die Weigerung, die EU-Sanktionen mitzutragen.

«Grosse Solidarität vorhanden»

Das Bedürfnis, den Menschen in der Ukraine zu helfen, spürt auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe. «Wir sehen, dass in der Schweiz eine grosse Solidarität vorhanden ist», sagt Sprecherin Eliane Engeler. Es habe bereits erste Anfragen gegeben von Personen, die gerne etwas spenden oder eine ukrainische Familie aufnehmen würden. Engeler weist aber darauf hin, dass man zuerst einmal abwarten müsse, wie sich die Fluchtbewegungen entwickeln würden.

Ähnlich klingt es beim Bund. «Die Lage ist im Moment noch sehr unübersichtlich», sagte Keller-Sutter am Freitag. Man wisse nicht, wie viele Menschen am Ende in die Schweiz kommen würden. Das liegt auch daran, dass ukrainische Staatsbürger im Schengen-Raum während 90 Tagen ohne Visum herumreisen dürfen. Es dürfte also keine Flüchtlingstrecks geben, die Menschen können sich legal durch Europa bewegen und ein Asylgesuch stellen, wo sie möchten.

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Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erwartet, dass sich die ukrainischen Flüchtlinge vorerst vor allem in die EU-Länder Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien begeben, zu denen direkte Landesgrenzen bestehen. Danach dürften vor allem jene Staaten im Fokus stehen, in denen es schon heute eine grosse ukrainische Bevölkerung gibt.

In der Schweiz leben rund 7000 Ukrainerinnen und Ukrainer. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das wenig. Allein in Italien soll die ukrainische Diaspora 230'000 Menschen umfassen.

Das SEM schätzt deshalb, dass ein paar Hundert oder ein- bis zweitausend Menschen in der Schweiz Zuflucht suchen könnten, je nach Dauer und Intensität des Konflikts. Ob und in welchem Ausmass die Solidaritätsbekundungen der Schweiz auf die Probe gestellt werden, ist also noch völlig unklar.

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