SNB-Präsident Jordan kritisiert die Vollgeld-Initiative
«Das Geld der Bürger würde an Wert verlieren»

Er ist der Hüter unseres Geldes: Nationalbank-Präsident Thomas Jordan. Der sonst sehr zurückhaltende und schweigsame Ökonom redet im BLICK-Interview zur Vollgeld-Initiative Klartext: «Die Inflation würde steigen und das Geld der Bürger an Wert verlieren.»
Publiziert: 19.05.2018 um 05:58 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2022 um 15:25 Uhr
«Wir lehnen die Initiative ab»
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BLICK-Interview mit dem Nationalbank-Präsident:«Wir lehnen die Initiative ab»
Interview: Christian Dorer und Nico Menzato; Fotos: Thomas Meier

Die Nationalbank (SNB) segelt derzeit auf ruhiger See. Der Euro-Franken-Kurs kratzt an der magischen 1.20-Fr.-Grenze. Die Arbeitslosigkeit ist tief, ebenso die Inflation. Die Wirtschaft brummt.

Entsprechend gut gelaunt empfängt SNB-Präsident Thomas Jordan (55) BLICK am altehrwürdigen Nationalbanksitz in Zürich. Nur ein Dossier bereitet ihm Sorgen: die Vollgeld-Initiative, über die am 10. Juni abgestimmt wird. Jordan, der sonst nie Abstimmungskampf betreibt, nimmt das Volksbegehren überaus ernst. Schliesslich wäre seine SNB ganz direkt davon betroffen.

Jordan will partout nicht über den schwächeren Franken sprechen. Und auch nicht über die globalen Krisenherde wie Israel oder Nordkorea, die zu einem erneuten Ansturm auf den sicheren Franken führen könnten. Im einstündigen Gespräch will er sich ganz der Vollgeld-Initiative widmen. Seine Begründung: «Wir müssen jetzt den Bürgern die gefährlichen Folgen dieser komplexen Initiative aufzeigen.»

«Die Inflation würde steigen und das Geld der Bürger an Wert verlieren»: Der Präsident der Nationalbank, Thomas Jordan, geht mit den Vollgeld-Initianten hart ins Gericht.
Foto: Thomas Meier
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Herr Jordan, die Vollgeld-Initiative ist äusserst kompliziert. Wie erklären Sie Ihren beiden Söhnen in einfachen Worten, worum es geht?Thomas Jordan: Es gibt zwei zentrale Elemente: Die Banken wissen aus Erfahrung, dass nicht alle ihre Kunden ihr Geld auf ihrem Kontokorrentkonto gleichzeitig abheben wollen. Deshalb können sie einen Teil dieser Gelder für Kredite verwenden. Die Vollgeld-Initiative will diese Möglichkeit kappen. Banken dürften die Gelder auf den Kontokorrentkonten, das heisst zum Beispiel auf den Lohnkonten, nicht mehr für die Finanzierung von Krediten verwenden.

Was ist das zweite Element?
Die Nationalbank müsste laut Initiativtext neues Geld sogenannt schuldfrei in Umlauf bringen, sprich: sie müsste es verschenken. An Bund, Kantone oder Bürger. Heute kaufen wir Devisen oder Wertpapiere, um neue Franken in Umlauf zu bringen. Wir erhalten dafür also einen Gegenwert.

«Das wäre ein radikaler Systemwechsel.»

Na und? Diese beiden Änderungen tönen nicht dramatisch.
Doch, sie sind sehr einschneidend. Es wäre ein radikaler Systemwechsel. Das kurzfristig abrufbare Geld der Bürger bei den Banken könnte in der Wirtschaft nicht mehr «arbeiten». Mit der Konsequenz, dass die Kunden keine Zinsen mehr erhalten. Weil das Geld der Kunden von der Bank nicht produktiv eingesetzt werden dürfte, würden auch die Gebühren für Bankdienstleistungen steigen. Zudem würde die Kreditvergabe der Banken mit der Initiative erschwert, was wiederum zu höheren Kosten für die Kunden führt. Etwa durch höhere Zinsen für Hypotheken.

Wie hoch wären diese zusätzlichen Kosten?
Das kann nicht genau quantifiziert werden.

Eine Studie kommt zum Schluss: Vollgeld kostet 0,8 Prozent des BIP, also etwa fünf Milliarden Franken pro Jahr. Rechnen auch Sie mit dieser Grössenordnung?
Ich will keine Schätzung machen. Die Kosten hängen stark von Zinsniveau und Konjunktur ab. Wichtig ist der Grundsatz: Das Geld könnte nicht mehr arbeiten, weshalb die Kosten für die Bürger steigen und die Kreditvergabe verteuert und kompliziert würde.

Was ist gegen das Konzept einzuwenden, wonach Geldzirkulation und Kreditwesen voneinander getrennt werden sollen?
Das Bild der Initianten von unserem Bankensystem ist verzerrt. Banken können heute nicht einfach Geld aus dem Nichts schaffen. Eine Bank braucht für ihre Aktivitäten Geld, das ihr von Kunden zur Verfügung gestellt wird. Sie kann nur Geld ausleihen, wenn sie auch Einlagen hat. Und: Kredite sind nicht grundsätzlich etwas Negatives. Im Gegenteil: Nur mit Krediten kann die Wirtschaft funktionieren und wachsen. Kredite sind in einer modernen Volkswirtschaft zentral. Ohne Hypothekarkredite könnten sich doch nur die allerwenigsten Bürgerinnen oder Bürger eine Wohnung oder ein Haus kaufen.

«Das Bild der Initianten über das Bankensystem ist verzerrt.»
Foto: Thomas Meier

Also würgt die Initiative den Wirtschaftsmotor ab?
Sie würde sicherlich wirken wie Sand im Getriebe. Grossfirmen haben mehr Möglichkeiten, Liquidität auf dem internationalen Kapitalmarkt zu beschaffen. Stark betroffen wären aber die KMU. Sie sind auf Kredite von hiesigen Banken angewiesen. Ebenso Private: Die allermeisten finanzieren ihr Eigenheim via Bankhypothek.

Welche Konsequenzen hätte ein Ja am 10. Juni für Ihre Arbeit als Nationalbank-Präsident?
Unsere Arbeit würde erschwert. Wir könnten die Geldmenge nur noch erhöhen, aber kaum mehr reduzieren. Auch könnten wir keine Devisenmarktinterventionen durchführen, die in den letzten Jahren zum Kampf gegen den Aufwertungsdruck des Frankens ja enorm wichtig waren. Wieso? Weil wir das Geld laut Initiativtext schuldfrei in Umlauf bringen müssten. Wir müssten das Geld verschenken. Doch das wäre ein trügerisches Geschenk, weil die Geldpolitik dadurch leiden würde. Die Inflation würde steigen und das Geld der Bürger an Wert verlieren.

Die Nationalbank hat die Geldmenge in den letzten Jahrzehnten noch gar nie reduziert!
Weil die Geldnachfrage enorm gestiegen ist. Die Wirtschafts- und Währungslage verlangte, dass die Nationalbank die Geldmenge stark ausdehnte. Wir hatten vor der Finanzkrise eine Bilanzsumme von weniger als 100 Milliarden, heute sind es 800 Milliarden. Wenn wir dieses Geld langfristig im System belassen würden, steigt die Inflationsgefahr. Irgendwann müssen wir also wieder Geld aus dem Kreislauf nehmen. Mit unseren Devisenmarktinterventionen haben wir Franken gegeben und dafür ausländische Währungen erhalten, die wir auch wieder veräussern können, wenn die Zeit da ist. Wenn wir die Franken aber einfach verschenkt hätten, wie es die Vollgeld-Initiative verlangt, wären wir kaum mehr in der Lage, die Geldmenge wieder zu reduzieren. Wie sollten wir denn das Geld von Bürgern oder Staat zurückholen? Mit schuldfrei ausgegebenem Vollgeld verliert die Nationalbank die Kontrolle über die Geldpolitik.

Ein unbestrittener Vorteil der Initiative: Sie senkt das Risiko eines Bank-Runs – dass also Kunden in der Krise alle ihr Geld abheben wollen und die Bank deshalb pleite geht. Einverstanden?
Die Kontokorrentkonti werden sicherer, ja. Aber das ganze System wird dadurch nicht sicherer. Hingegen sind die Banken im letzten Jahrzehnt durch andere Massnahmen viel sicherer aufgestellt: durch höhere Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften sowie eine intensive Überwachung der Banken durch die Finanzmarktaufsicht Finma und durch bessere eigene Risikokontrolle. All dies macht das Bankensystem robust. Die Finanzindustrie ist heute der am stärksten reglementierte Sektor der Schweiz.

«Vollgeld hätte die Finanzkrise nicht verhindert.»

Bank-Runs bleiben aber die Achillesferse des Systems.
Finanzkrisen haben meist andere Ursachen. Die letzte Finanzkrise etwa wurde durch riskante Wertpapiere ausgelöst. Vollgeld hätte das nicht verhindert.

Die Initianten wollen das Geld der Bürger sicherer machen. Und dafür sorgen, dass sie bei Banken-Crashs kein Geld verlieren. Ist die heutige Garantie von 100‘000 Franken pro Kunde wirklich ausreichend?
Die Garantie ist dazu da, dass bei einem Konkurs jedem Kunden seine Einlagen bis zu einem Maximum von 100'000 Franken rasch ausbezahlt werden, sodass er seine laufenden Zahlungen weiterhin erledigen kann. Beim Konkurs einer Bank müssen dann in erster Linie das Eigenkapital und die nachrangigen Anleihen die Verluste tragen. Weil die Eigenkapitalvorschriften stark erhöht wurden, sind die Banken auch viel sicherer geworden und die Risiken für die Kontoinhaber haben sich reduziert. Wir haben aus der Finanzkrise 2008 gelernt. Die Banken haben grosse Fortschritte erzielt.

Dennoch: Wenn es hart auf hart kommt, steht der Staat für die Risiken der Geschäftsbanken gerade – das haben wir 2008 bei der UBS erlebt. Halten Sie das nicht für ein fragwürdiges Privileg der Finanzindustrie im Vergleich mit allen anderen Branchen, in denen eine Firma halt pleite geht?
Diese Darstellung entspricht nicht der heutigen Realität. Zahlreiche seit der Finanzkrise eingeführten Regelungen zielen darauf ab, dass nicht der Staat oder Steuerzahler für die Fehler einer Bank geradestehen müssten, sondern der Eigentümer der Bank, also der Aktionär.

Mit Vollgeld hätte die Nationalbank viel mehr Einfluss und Macht, weil nur noch sie Geld in Umlauf bringen dürfte. Warum wollen Sie das nicht?
Es ist Macht, die wir nicht wollen, die wir nicht brauchen und die schädlich wäre. Weil die Initiative dazu führt, dass unsere bestehenden Instrumente der Geldpolitik beschädigt werden. Beispielsweise dürften wir keine Devisenkäufe mehr tätigen. Zudem ist es nicht Aufgabe der Nationalbank, darüber zu bestimmen, wohin Kredite fliessen sollen. Vereinfacht ausgedrückt: Wir haben nicht die Kenntnis, um zu bestimmen, dass Sie, Herr Dorer, kreditwürdig sind und deshalb eine hohe Hypothek bekommen sollen. Sie, Herr Menzato, aber nur eine tiefere.

Jordan im Gespräch mit Christian Dorer, Chefredaktor der BLICK-Gruppe und Bundeshausredaktor Nico Menzato (M.).

Diese Einschätzung trifft aber sehr genau zu!
(Lacht). Nein, im Ernst: Nur Geschäftsbanken, die nahe an den Kunden und der Wirtschaft sind, können dies seriös beurteilen.

Die Initianten entgegnen: Für die Kreditvergabe seien weiterhin die Geschäftsbanken zuständig. Das Geld dafür müsse einfach als Sicherheit bei der Nationalbank hinterlegt sein.
Im Initiativtext steht klar: Die Nationalbank gewährleistet die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten durch die Banken. Wie sollten wir reagieren, wenn ganze Sektoren nach Krediten rufen? Wenn etwa die Tourismusbranche sich beklagt, sie bekäme von den Banken zu wenige Kredite und mit entsprechenden Forderungen protestiert? Der Druck auf die Nationalbank würde steigen, der politische Appetit würde geweckt, gewisse Projekte staatlich zu finanzieren. Das wäre eine sehr gefährliche Entwicklung. Die Wünsche stiegen immer weiter. Und auch die Risiken würden vom Privatsektor zum Staat wandern.

Alle Parteien und Verbände sowie der Bundesrat sind gegen die Initiative. Das müsste eine klare Sache sein. Trotzdem sind gemäss neusten Umfragen fast 40 Prozent dafür. Vertrauen viele Menschen den Banken schlicht nicht mehr?
Ich würde es anders interpretieren. Die Initiative macht sehr verlockende Versprechen. Deshalb ist es wichtig, die Zusammenhänge zu erklären. Damit die Stimmbürger merken, dass die vermeintlichen Geschenke sich nicht wirklich positiv für sie auswirken.

«Wir spielen wegen unserer direkten Demokratie das Versuchskaninchen»: SNB-Präsident Jordan warnt eindringlich vor einem Ja am 10. Juni.

Die Schweiz wäre das weltweit einzige Land mit einem Vollgeld-System. Wären wir Pionierin oder würden wir auf dem Abstellgleis landen?
Wir hätten auf einen Schlag ein völlig anderes System als in allen anderen Ländern. Wir würden ein exotisches Bankensystem einrichten, was international sicher nicht von Vorteil wäre. Die Schweiz wurde von der internationalen Gruppierung der Vollgeld-Befürworter kaum zufällig ausgesucht, wir spielen wegen unserer direkten Demokratie das Versuchskaninchen. Wenn Vollgeld eine solche Bombenidee wäre, hätte dann nicht irgendein Land weltweit das System schon längst eingeführt?

Wie reagieren Ihre ausländischen Nationalbank-Kollegen auf die Initiative?
Die meisten wundern sich, dass diese Diskussion überhaupt stattfindet.

Macht es überhaupt Sinn, über eine Initiative abzustimmen, die derart komplex ist und deren Auswirkungen kaum abzuschätzen sind?
Es ist die Stärke unseres Systems mit der direkten Demokratie, dass wir über alle Themen abstimmen können. Es liegt an den Behörden und den Parteien, dem Stimmbürger die Zusammenhänge zu erklären. Bei komplexen und weniger komplexen Themen.

Wagen Sie eine Prognose für den 10. Juni.
Ich mache keine Prognose, aber unsere Position ist ganz klar. Wir lehnen die Initiative ab.

Zwei Jahrzehnte bei der SNB

Thomas Jordans Aufstieg ist eng mit dem Fall von Philipp Hildebrand (54) verknüpft. Als dieser wegen umstrittener Finanztransaktionen im Januar 2012 vom SNB-Präsidium zurücktreten musste, übernahm Jordan das Ruder. Der in Biel BE aufgewachsene Ökonom begann 1997 als wissenschaftlicher Berater bei der SNB. Zuvor studierte er an der Uni Bern und verfasste seine Habilitation an der Harvard University in den USA. Der Zwei-Meter-Mann und frühere Wasserball-Nationalspieler ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

Thomas Jordans Aufstieg ist eng mit dem Fall von Philipp Hildebrand (54) verknüpft. Als dieser wegen umstrittener Finanztransaktionen im Januar 2012 vom SNB-Präsidium zurücktreten musste, übernahm Jordan das Ruder. Der in Biel BE aufgewachsene Ökonom begann 1997 als wissenschaftlicher Berater bei der SNB. Zuvor studierte er an der Uni Bern und verfasste seine Habilitation an der Harvard University in den USA. Der Zwei-Meter-Mann und frühere Wasserball-Nationalspieler ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.

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Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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