Seehofers Grenzpläne kommen in der Schweiz nicht gut an
«Das ist reine Symbolpolitik»

Nach dem Mord in Frankfurt fordert der deutsche Innenminister Horst Seehofer verstärkte Grenzkontrollen – auch zur Schweiz. Hiesige Politiker reden von Symbolpolitik ohne Wirkung und einer Verdrehung der Realität.
Publiziert: 02.08.2019 um 23:24 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
Sermîn Faki, Pascal Tischhauser, Johannes Hillig

Der Tod des Buben (†8), der letzten Montag im Frankfurter Hauptbahnhof ums Leben kam, bewegt Deutschland. Dass der Täter, Habte A.* (40), aus der Schweiz kommt, ruft nun auch den deutschen Innenminister Horst Seehofer (70) auf den Plan. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» kündigt der CSU-Politiker an, die Grenzkontrollen zur Schweiz zu verstärken. «Ich werde alles in die Wege leiten, um intelligente Kontrollen an der Grenze vorzunehmen», so Seehofer.

Ein konkretes Konzept will Seehofer im September vorstellen. Klar ist nur, dass er den unkontrollierten Einreisen – 2018 waren es in ganz Deutschland 43'000 – einen Riegel schieben will. Als konkrete Massnahmen schlägt der deutsche Innenminister «eine erweiterte Schleierfahndung und anlassbezogene, zeitlich befristete Kontrollen auch unmittelbar an der Grenze» vor – «auch an der Grenze zur Schweiz».

«Seehofer verdreht die Realität»

In der Schweiz reagiert man empört. «Wenn die Schweiz jetzt verantwortlich sein soll für die innerdeutsche Sicherheit, verdreht Herr Seehofer die Realität», sagt etwa SVP-Migrationspolitiker Heinz Brand (63).

Deutschlands Innenminister will die Grenzkontrollen zur Schweiz verstärken.
Foto: Keystone
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Das, obwohl die SVP seit Jahren selbst strengere Grenzkontrollen fordert. Brand erinnert in diesem Zusammenhang an Anis Amri (28), den Weihnachtsmarkt-Attentäter von Berlin, der vor seiner Bluttat 2016 durch halb Europa gereist war. «Im Fall Habte A. aber hätten strengere Grenzkontrollen wohl nichts genützt», so der Bündner Nationalrat.

Der Eritreer besitzt eine Niederlassungsbewilligung – und kann sich frei im gesamten Schengen-Raum bewegen. Seehofer zündelt also einmal mehr und nutzt den tragischen Tod für einen politischen Wunschtraum, den er schon lange hegt: mehr Grenzsicherung. Im Wissen, dass es wohl wenig bringen würde.

Symbolpolitik ohne echte Änderungen

«Das ist reine Symbolpolitik von Herrn Seehofer», sagt auch Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (55, CVP). In die gleiche Kerbe haut FDP-Nationalrat Kurt Fluri (63). «Das ist eher ein innenpolitisches Signal – ohne tatsächliche Auswirkungen», so der Solothurner Freisinnige.

Auch SP-Nationalrat Martin Naef (48) weist darauf hin, dass Seehofers Pläne keine Änderung der Grenzsicherung bringen würden. So gehöre die Schleierfahndung schon heute zum Alltag – in der Schweiz wie in Deutschland, und zwar genau zum Zweck, grenzüberschreitende Kriminalität zu verhindern. Dennoch sagt er: «Ich habe Verständnis dafür, dass Horst Seehofer als Reaktion auf diese schlimme Tat die Schleierfahndung verbessern will.»

Zusammenarbeit funktioniert gut

Noch weiter geht der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni (39): Er begrüsst, dass Seehofer «die deutschen Ressourcen für den Grenzschutz effizienter einsetzen will». Der FDP-Politiker dreht den Spiess sogar um: «Ich freue mich über jede Festnahme eines Verbrechers. Das erhöht auch die Sicherheit in der Schweiz.»

Allerdings: Seehofer kann all die angekündigten Massnahmen schon jetzt ohne grosse Gesetzesanpassungen einleiten. Und an der schweizerisch-deutschen Grenze sind sie bereits Realität. «Wir führen täglich gemeinsame Kontrollen und grenzüberschreitende Einsätze durch, haben zwei gemeinsame operative Dienststellen in Basel und Konstanz/Kreuzlingen», sagt David Marquis von der Eidgenössischen Zollverwaltung zur Zusammenarbeit der Schweizer Grenzwächter und der deutschen Bundespolizei. Die noch vagen Kontrollideen von Seehofer will Marquis nicht kommentieren.

Wird der Ton jetzt harscher?

Bleibt die Frage der Umgangsformen. Seehofers Angriff ist nicht der erste Affront gegen die Schweiz. Schon vor ihm arbeiteten sich deutsche Politiker an der Eidgenossenschaft ab. Die Reaktionen sind jeweils geharnischt (siehe Box). Die Seehofer-Verbalattacke aber kommt zu einem heiklen Zeitpunkt – Deutschland ist mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (60) tonangebend bei den harzenden Verhandlungen über das Rahmenabkommen.

Werden sich die bilateralen Beziehungen wegen Seehofer nun verschlechtern? Nein, meint Schneider-Schneiter, die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission. «Auf die Verhandlungen rund um ein Rahmenabkommen mit der EU hat diese Äusserung keine Auswirkungen.»

*Name bekannt

Als Peitschen-Peer mit der Kavallerie drohte

Zehn Jahre ist her, dass ein Deutscher das Schweizer Blut zum Kochen brachte: Nachdem die Schweiz ihr Bankgeheimnis aufgegeben hatte, spottete der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück (heute 72) 2009 ganz unverhohlen: «Man muss die Kavallerie nicht immer ausreiten lassen. Die Indianer müssen nur wissen, dass es die Kavallerie gibt.» Er spielte darauf an, dass man der Eidgenossenschaft mit einer schwarzen Liste der Steueroasen gedroht hatte – und die Schweiz daraufhin eingeknickt war.

Am hässlichen Steuerstreit, der das Verhältnis der Nachbarn schwer belastete, war Steinbrück selbst nicht ganz unschuldig: Als Finanzminister des grössten deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen hatte er in den Jahren 2006 und 2007 gestohlene Bankdaten aus der Schweiz aufkaufen lassen. Und machte auch mit diesen Druck auf die Eidgenossenschaft.

Sogar Bundesrat schritt ein

Für seine Verbalattacke erntete Steinbrück einen Aufschrei der Empörung und löste heftige antideutsche Gefühle aus. Wie einige Monate zuvor, als er der Schweiz im gleichen Konflikt um deutsche Schwarzgelder auf Schweizer Banken «Zuckerbrot und Peitsche» angekündigte.

Das hatte gar diplomatische Konsequenzen: Die damalige Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (74) bestellte den deutschen Botschafter ein und verbarg ihre Wut keine Sekunde lang hinter diplomatischen Floskeln: Sie sei «überrascht, befremdet und vor allem enttäuscht über diesen Tonfall». Sermîn Faki

Zehn Jahre ist her, dass ein Deutscher das Schweizer Blut zum Kochen brachte: Nachdem die Schweiz ihr Bankgeheimnis aufgegeben hatte, spottete der damalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück (heute 72) 2009 ganz unverhohlen: «Man muss die Kavallerie nicht immer ausreiten lassen. Die Indianer müssen nur wissen, dass es die Kavallerie gibt.» Er spielte darauf an, dass man der Eidgenossenschaft mit einer schwarzen Liste der Steueroasen gedroht hatte – und die Schweiz daraufhin eingeknickt war.

Am hässlichen Steuerstreit, der das Verhältnis der Nachbarn schwer belastete, war Steinbrück selbst nicht ganz unschuldig: Als Finanzminister des grössten deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen hatte er in den Jahren 2006 und 2007 gestohlene Bankdaten aus der Schweiz aufkaufen lassen. Und machte auch mit diesen Druck auf die Eidgenossenschaft.

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Das hatte gar diplomatische Konsequenzen: Die damalige Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (74) bestellte den deutschen Botschafter ein und verbarg ihre Wut keine Sekunde lang hinter diplomatischen Floskeln: Sie sei «überrascht, befremdet und vor allem enttäuscht über diesen Tonfall». Sermîn Faki

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