«Ich als Mutter mache mir grosse Sorgen»
1:43
Oberste Lehrerin Dagmar Rösler:«Ich als Mutter mache mir grosse Sorgen»

Schwere Vorwürfe von Politikern, die selber Schule geben
Der Lehrermangel ist hausgemacht!

Der Lehrerverband beklagt den Mangel an ausgebildeten Lehrpersonen. Doch er sei auch selbst schuld, sagt der Urner Nationalrat Simon Stadler, selbst Lehrer. Seine Kollegin Florence Brenzikofer nimmt derweil die Kantone in die Pflicht.
Publiziert: 11.08.2022 um 00:53 Uhr
|
Aktualisiert: 11.08.2022 um 06:42 Uhr
Sermîn Faki

«Alle haben den Lehrermangel kommen sehen.» Das sagt eine, die es wissen muss. Florence Brenzikofer (47) ist grüne Nationalrätin – und Sekundarlehrerin. Neben ihrem Mandat im Bundeshaus gibt die Baselbieterin noch immer Schule, aktuell in einem 25-Prozent-Pensum. Viele Lehrpersonen in ihrer Schule seien zwischen 60 und 65 Jahre alt und stünden kurz vor der Pension.

So viele Probleme, alle Stellen zu besetzen, habe sie schon lange nicht mehr erlebt. «Und in der Schule ist es eben anders als bei Lokführern oder beim Flugpersonal. Man kann Flüge streichen, aber nicht den Schulanfang verschieben oder Klassen schliessen!»

Föderalismus in der Kritik

Auch der Urner Mitte-Nationalrat Simon Stadler (34) ist im Klassenzimmer aktiv. Und der Primarlehrer stimmt seiner Parlamentskollegin zu: «So prekär war es noch nie.» Denn derzeit träfen die Pensionierungswelle der Babyboomer und steigende Schülerzahlen aufeinander.

Am Montag beklagte der Lehrerverband LCH unter Präsidentin Dagmar Rösler einen eklatanten Lehrermangel.
Foto: keystone-sda.ch
1/5

Und dennoch hätten die Kantone, die für die Volksschule zuständig sind, nicht genügend rasch und vorausschauend reagiert, so Brenzikofer. Der Föderalismus stosse offenbar an seine Grenzen, wie man das auch schon in der Pandemie beobachten konnte. «Deshalb müssen wir nun auf Bundesebene tätig werden.»

Zu viel Schutz für Lehrer

Und Brenzikofer weiss, was es braucht. Zum Beispiel mehr Entlastung für Klassenlehrerinnen und -lehrer. «Der Job hat sich in den letzten 20 Jahren extrem verändert», sagt sie. «Elternarbeit, Administration und die Zusammenarbeit mit Heilpädagogen und anderen sind heute viel fordernder.»

Simon Stadler setzt früher an. Er stört sich an den immer höher werdenden Hürden für den Lehrerberuf. «Wieso muss ein Primarlehrer, der in der 1. und 2. Primarklasse unterrichtet, fortgeschrittenes Englisch vorweisen?», fragt er, der selbst die Berufsmatur abgelegt hat und wegen der Aufnahmekurse ein ganzes Jahr verloren hat. «Warum müssen Berufsmaturanden vor dem Studium in Aufnahmekurse und eine Extra-Prüfung ablegen – während Gymi-Maturanden direkt zugelassen werden?»

Jetzt agiert man aus der Not heraus

Stadler ist in dieser Sache auch schon politisch tätig geworden. Er fordert den Bundesrat auf, das Gesetz so zu ändern, dass Absolventinnen und Absolventen einer Berufsmatura prüfungsfrei zur Primarlehrerausbildung an den Pädagogischen Hochschulen zugelassen werden.

Der Lehrermangel hat aus seiner Sicht auch damit zu tun, dass Lehrerverbände und Erziehungsdirektorenkonferenz die Hürden immer weiter erhöhen, um den Beruf abschirmen zu wollen. Er findet: «Das ist falscher Stolz am falschen Ort.» Und der Preis dafür sei, dass man jetzt aus der Not heraus völlig unausgebildete Leute vor die Schülerinnen und Schüler stellen müsse. «Das schadet dem Lehrerberuf sicher am meisten.»

Mehr Unterstützung für Quereinsteiger

Auch Brenzikofer findet, dass eine Schnellbleiche nicht ausreiche, um Kinder zu erziehen. «Es braucht eine fundierte Ausbildung – sowohl fachlich als auch pädagogisch. Darum unterstütze sie die Quereinsteiger-Studiengänge, die zwei Jahre oder mehr dauern.

Diese seien nicht zu lang, findet sie. Aber auch ihr ist klar, dass über 30-Jährige, die noch mal die Schulbank drücken müssen, vor Herausforderungen stehen. «Wichtig ist darum, dass jene, die Familie haben, bei der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ausbildung entlastet werden, auch finanziell.»


Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?