Roger Köppel und Tim Guldimann im Streitgespräch
Das Duell der Zürcher Querköpfe

Zwei Männer auf dem Sprung nach Bern. Der frisch pensionierte Botschafter Tim Guldimann steigt für die Sozialdemokraten ins Rennen. Journalist Roger Köppel will die SVP künftig nicht nur mit der Feder, sondern auch im Nationalrat vertreten. Im grossen Streitgespräch über die Schweiz und Europa, treten die beiden erstmals gegeneinander an.
Publiziert: 02.08.2015 um 15:51 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:25 Uhr
Köppel vs. Guldimann: Wer schaffts in den Nationalrat?
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:Köppel vs. Guldimann: Wer schaffts in den Nationalrat?
Interview: Marcel Odermatt und Simon Marti

Sie sind zwei der schillerndsten Figuren dieses Wahlkampfs: Roger Köppel (50), Chefredaktor und Herausgeber der «Weltwoche» und Ex-Spitzendiplomat Tim Guldimann (64). Im SonntagsBlick kreuzen die Quereinsteiger, die beide für den Kanton Zürich in den Nationalrat gewählt werden wollen, die Klingen. Zur Debatte steht die grösste politische Herausforderung des Landes: die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union. Guldimann träumt nach wie vor vom Beitritt – Köppel pocht auf einer buchstabengetreuen Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative

Welcher Beruf bereitet besser auf ein politisches Amt vor: Diplomat oder Journalist?
Tim Guldimann: Beide sind gut vorbereitet. Für mich war Diplomatie immer politisch. Journalisten haben gelernt, sich an strenge Termine zu halten. Das täte der Verwaltung auch gut.

Roger Köppel: Entscheidend sind nicht die Voraussetzungen, sondern die Motivation. Mich bewegen konkrete Missstände: Die Unabhängigkeit gegenüber der EU wird aufgeweicht, die direkte Demokratie nicht mehr ernst genommen, die bewaffnete Neutralität preisgegeben. Das treibt mich in die Politik. Ich stehe für die Schweiz.

Herr Köppel steht für die Schweiz, wie er sagt. Sie nicht, Herr Guldimann?
Guldimann: Ich auch, aber von einem ganz anderen Standpunkt aus. Wir stehen vor grossen Entscheidungen. Wir müssen unser Verhältnis zu Europa regeln. Werden wir die Personenfreizügigkeit wirklich aufkündigen? Unsere Partnerstaaten können sich nicht mehr auf die Schweiz verlassen und die Wirtschaft weiss nicht, welche Rahmenbedingungen in Zukunft gelten. Diese Verunsicherung ist sehr gefährlich.

Herr Guldimann spricht die Masseneinwanderungs-Initiative an, für die Sie sich stark eingesetzt haben, Herr Köppel.
Köppel: Diese Vorlage ist gegen den Widerstand des Bundesrats, der Verbände, der Medien angenommen worden. Die Schweizer wollen zu einer selbstbestimmten Migration zurückkehren. Doch der Bundesrat unternimmt alles, um diesen Volksentscheid nicht umzusetzen. Das ist ein Skandal.

Guldimann: Ich stelle den Volksentscheid nicht in Frage. Die Politik hat die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst genommen. Und bis heute hat der Bundesrat nichts getan, um das Vertrauen wieder herzustellen und die Zuwanderung zu beschränken. Das inländische Arbeitskräftepotenzial muss besser genutzt und das Verhältnis zu Brüssel geregelt werden.

Köppel: Es geht noch weiter. Tim Guldimanns Bundesrätin Simonetta Sommaruga erklärte kürzlich: «Wir müssen schauen, was wir in den Verhandlungen mit Brüssel bekommen werden.» Bern unterwirft sich Brüssel! Das Grundproblem ist: Der Bundesrat will die Schweiz europäischem Recht und EU-Richtern generell unterstellen. Dabei ist unsere Unabhängigkeit der wesentliche Grund, dass es der Schweiz so gut geht.

Guldimann: Nein, der Bundesrat sagt nicht klar, was er will, ausser über die Personenfreizügigkeit zu verhandeln. Das will die EU nicht. Damit ist alles unklar, vor allem für die Wirtschaft: Wenn heute jemand in der Schweiz investiert, dann weiss er nicht, ob wir in fünf Jahren noch zum europäischen Binnenmarkt gehören oder nicht.

Köppel: Wir sind nicht Teil des Binnenmarkts. Wir brauchen Marktzugang, das darf aber nicht bedeuten, dass wir die Gesetze der EU übernehmen.

Guldimann: Aber genau dieser Marktzugang ist in Frage gestellt und das gefährdet den Produktionsstandort Schweiz.

Köppel: Wenn wir die Initiative umsetzen, macht die Schweiz, was alle souveränen Staaten machen: Sie regelt die Zuwanderung selber. Das teuflische Bedrohungsszenario der Linken und der Wirtschaftsverbände, unser Absatzmarkt würde wegbrechen, ist Angstmacherei. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind grösstenteils über die WTO gesichert. Ausserdem haben beide ein starkes gegenseitiges Interesse an guten Beziehungen.

Guldimann: Nein, wenn wir das einfach umsetzen, blockieren wir unser Verhältnis mit Brüssel. Die Extrawurst in Sachen Personenfreizügigkeit ist in Berlin und Brüssel nicht im Angebot.

Köppel: Das ist doch das Problem von Brüssel. Wir müssen der EU nur sagen: «Freunde, wir haben eine direkte Demokratie, wollt ihr uns dafür bestrafen?» Du bist mir da viel zu defensiv.

Guldimann: Der Bundesrat hat verkündet, wir verhandeln. Schön! Nur, wir verhandeln gar nicht. Die EU hat gar kein Mandat dazu erteilt. Was soll das also heissen, wir verhandeln schlecht? Das ist doch dummes Zeug.

Was ist denn Ihre Lösung, Herr Guldimann? Glauben Sie ernsthaft, man könnte eine neue Abstimmung gewinnen?
Guldimann: Ein Entscheid des Souveräns ist zu respektieren. Wenn man ihn ändern will, muss das Volk erneut abstimmen. Ich hoffe, dass die Rasa-Initiative zustande kommt (diese sieht vor, das Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative rückgängig zu machen, Anm. der Redaktion), aber ich bin gegen die Initiative. Der Bundesrat muss einen Gegenvorschlag formulieren. Damit soll der «Masseneinwanderungsartikel» durch einen Absichtsartikel mit dem Ziel ersetzt werden, mit der EU eine umfassende bilaterale Vereinbarung zu suchen. Darüber ist Brüssel bereit zu verhandeln.

Dieser Gegenvorschlag würde das gesamte Verhältnis der Schweiz zur EU regeln?
Guldimann: Ja. Da muss sich der Bundesrat jetzt engagieren.

Köppel: So ein «Rahmenvertrag» würde die Schweiz schleichend in die EU führen. Es wäre das Ende des Schweizer Erfolgsmodells. Das Volk hat einen klaren Auftrag erteilt. Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Punkt.

Aber eine neue Initiative wäre doch legitim?
Köppel: Wir müssen nicht von neuen Abstimmungen reden, sondern den Volksentscheid gegen die Masseneinwanderung umsetzen.

Guldimann: Wenn wir nichts machen und die Initiative einfach umsetzten, landen wir in einer grossen Verunsicherung und die EU wird die Zusammenarbeit blockieren.

Köppel: Wir müssen jetzt endlich selbstbewusst die Interessen der Schweiz vertreten. Was erlauben sich denn die EU-Mitgliedstaaten? Da werden laufend «eherne» Prinzipien mit Füssen getreten. Manchmal denke ich im Scherz, die Schweiz müsste der EU beitreten, damit sie sich an nichts mehr halten muss, was in der EU gilt.

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweiz? Wird die Souveränität, auf die sich Herr Köppel beruft, auch noch in zwanzig Jahren Bestand haben?
Köppel: Die Schweiz ist ein wunderbares, aber verwundbares Land. Wir haben keine Kolonien, keine Bodenschätze. Darum müssen wir weltoffen sein, nicht europahörig. Was Tim Guldimann nicht versteht: Unsere Unabhängigkeit ist die Voraussetzung dieser Weltoffenheit. Eine institutionelle Bindung an die Fehlkonstruktion EU können wir uns gar nicht leisten. Eine institutionelle Bindung an die Fehlkonstruktion EU können wir uns gar nicht leisten.

Guldimann: Ja, wahrlich, wir sind verwundbar. Aber ich idealisiere die EU überhaupt nicht.

Köppel: Du hältst immer noch an einem Beitritt fest, obwohl du die Misere besser kennst als ich.

Guldimann: Der Beitritt steht heute nicht zur Diskussion. Und klar, der Euro ist eine Fehlkonstruktion.

Köppel: Aber dein langfristiges Ziel ist die Vollmitgliedschaft.

Gulidmann: Ziel ist, unsere Beziehungen in einem bilateralen Gesamtvertrag auf eine breite Basis zu stellen. Über den Beitritt können wir irgendwann in der Zukunft sprechen.

Köppel: Darum misstraue ich euch Euro-Turbos. Der «bilaterale Weg» ist der Schleichweg in die EU. Die Schweiz muss gut mit der EU zusammenarbeiten, aber unabhängig bleiben.

Ist in Brüssel überhaupt die Sensibilität für die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Schweiz vorhanden?
Guldimann: Nein.

Köppel: Mich interessiert die Sensibilität in Brüssel nicht so sehr. Der Bundesrat und seine Diplomaten sollten sich an Schweizer Sensibilitäten und Volksentscheiden orientieren.

Die Befürworter eines EUBeitritts der Schweiz sind klar in der Minderheit. Was hat die EU falsch gemacht?
Guldimann: In den 90er-Jahren war die EU ein Aufbruchsprojekt. Die Osterweiterung war sehr erfolgreich. Aber mit Rumänien und Bulgarien wurde gewurstelt, genauso mit Griechenland und dem Euro. Die EU funktioniert nicht gut, aber sie ist die Realität und mit ihr müssen wir uns arrangieren.

Wäre die Schweiz mit ihrem Föderalismus und ihrer direkten Demokratie überhaupt beitrittsfähig?
Guldimann: Da sehe ich kein grundsätzliches Problem. Wenn man sich die Abstimmungen der letzten zwei Jahre anschaut, dann gibt es nur zwei Ausnahmen, die nicht kompatibel waren: Ecopop und Masseneinwanderung. Alle anderen wären genauso durchführbar gewesen, vor allem die kantonalen.

Köppel: Falsch. Unser System ist das Gegenteil der EU. Unser Land funktioniert von unten nach oben und eben nicht von oben nach unten. Aber ich bin ein Optimist, Europa wird auch mit dieser EU fertig werden.

Sie haben aber auch Gemeinsamkeiten. Herr Guldimann, Sie kandidieren für die SP, haben als ehemaliger Spitzendiplomat mit dem Arbeitermilieu aber überhaupt nichts zu tun. Und Herr Köppel, Sie sind ein Journalist, ein Intellektueller und weit weg von der SVP-Basis. Mit welchem Recht kandidieren Sie für Ihre Parteien?
Guldimann: Ich bin kein Arbeiterkind, ich bin privilegiert. Aber die Frage der sozialen Gerechtigkeit war für mich immer zentral. Mit meinen Erfahrungen kann ich einen Beitrag leisten. Der Entscheid der SP-Basis in Zürich hat gezeigt, dass die Partei auch dieser Meinung ist.

Köppel: Ich bin in der SVP, weil sie die mir wichtigen Anliegen am konsequentesten vertritt. Leider ist die SVP heute die einzige Partei, die senkrecht zur Schweiz und zu unseren bürgerlichen Werten steht. Der SVP haben wir es zu verdanken, dass die Schweiz nicht in der EU ist.

Guldimann: In der Politik kann man auf die Schnauze fliegen, im Staatsdienst nicht. Sich einer solcher Wahl zu stellen, finde ich spannend. Vielleicht geht es schief, das entscheiden die Wähler.

Herr Guldimann, warum soll Roger Köppel am 18. Oktober nicht gewählt werden? Und warum Herr Köppel, soll Tim Guldimann nicht in den Nationalrat?
Guldimann: Das Problem ist, dass er als Journalist in die Politik gehen will. Journalismus sollte als vierte Macht im Staat unabhängig sein. Er bleibt aber Herausgeber und Chefredaktor der «Weltwoche» und seine Zeitung würde noch stärker zu einem «Pfarrblättli».

Köppel: Ich schätze Tim Guldimann und diskutiere gerne mit ihm. Aber es wäre ein grotesker Fehler ihn zu wählen: Das Letze, was wir in Bern brauchen, ist ein weiterer SP-Nationalrat.

Tim Guldimann und Roger Köppel diskutieren auch bei der nächsten Ausgabe von BLICK on Tour mit BLICK-Chefredaktor René Lüchinger und Hannes Britschgi. Datum: 1. Oktober. Ort: Halle 1, Züspa, Wallisellenstrasse 49, Zürich. Türöffnung 17.30 Uhr, Beginn 18 Uhr, Znacht 19.30 Uhr. Eintritt frei. Ticket Züspa muss separat erworben werden.

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