«Ich hatte Angst, dass sich der Richter dagegen entscheidet»
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Fabienne liess Namen ändern:«Ich hatte Angst, dass sich der Richter dagegen entscheidet»

Polymechanikerin (37) musste sich Änderung ihres amtlichen Geschlechts erkämpfen
Ein Richter machte Fabian zu Fabienne

Fabienne Lipski war bis vor kurzem offiziell ein Mann. Um das amtliche Geschlecht zu ändern, musste sie vor Gericht ziehen. Damit ist nun Schluss.
Publiziert: 28.12.2021 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 29.12.2021 um 09:26 Uhr
Lea Hartmann (Text) und Thomas Meier (Fotos)

Das Urteil, das Fabian zu Fabienne gemacht hat, hängt leicht zerknittert an der Schranktür neben dem Wohnungseingang. Anderthalb Jahre ist es her, seit der Einzelrichter am Bezirksgericht Winterthur das Gesuch um Geschlechtsänderung gutgeheissen hat. Seither ist Fabienne Lipski (37) ganz offiziell eine Frau.

«Als der Richter das Urteil verkündete, war ich extrem erleichtert», sagt die Polymechanikerin aus Neftenbach ZH, die in ihrer Freizeit Babyschwimmkurse anbietet. «Ich hatte Angst, dass das Gericht Nein sagt.» Zwar weiss Fabienne Lipski seit dem Kindergartenalter, dass das Geschlecht, das man ihr bei der Geburt gab, nicht dem Geschlecht entspricht, mit dem sie sich identifiziert. Lipski ist inter – hat also männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Doch vor Gericht tut die eigene Einschätzung nichts zur Sache: «Nicht du selbst, sondern der Richter entscheidet, ob du Frau oder Mann bist. Ich musste hoffen, dass er mich für genügend weiblich hält.»

Richter stellte intimste Fragen

Um das beurteilen zu können, musste Fabienne Lipski dem Richter eine gute Viertelstunde teilweise intimste Fragen beantworten. Hatten Sie schon eine geschlechtsangleichende Operation? Welche sexuelle Orientierung haben Sie? Möchten Sie einmal heiraten? «Es war ein seelischer Striptease», sagt Lipski rückblickend. Viele der Fragen dürfte das Gericht eigentlich gar nicht stellen, weil sie nicht relevant sind. Eine Operation beispielsweise ist längst keine Voraussetzung mehr, damit man den Geschlechtseintrag ändern kann. Lipski wusste das. «Doch ich habe es über mich ergehen lassen. Ich hatte befürchtet, dass sie das Gesuch sonst ablehnen.»

Fabienne Lipski hiess bei der Geburt noch Fabian. 2020 liess sie Geschlecht und Namen offiziell ändern.
Foto: Thomas Meier
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Hierzulande lassen jedes Jahr schätzungsweise mehr als 200 Menschen den Geschlechtseintrag – und damit meistens auch den Namen – ändern. Künftig bleibt ihnen der Gang vor Gericht und das Einholen eines psychiatrischen Gutachtens erspart: Ab 1. Januar wird es viel einfacher, das offizielle Geschlecht zu wechseln. Laut dem neuen Gesetz kann jede Person, die «innerlich fest davon überzeugt ist, nicht dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht zuzugehören», beim Zivilstandsamt eine Änderung des offiziellen Geschlechts fordern. Der Bund vergleicht das neue Verfahren mit dem Prozedere bei einer Namensänderung nach einer Scheidung.

Verfahren wird einfacher und günstiger

Das Transgender Netzwerk Schweiz (TGNS) begrüsst den Grundsatz der Änderung sehr. Der Gang vor Gericht sei für viele Betroffene sehr belastend, sagt Alecs Recher (46), Leiter der TGNS-Rechtsberatung. Auch wenn nicht alle Richterinnen und Richter eine mündliche Anhörung durchführten wie im Fall von Fabienne Lipski. Zudem sinken die Kosten massiv. Je nach Gericht kostet die Änderung des Geschlechtseintrags heute bis zu 1000 Franken. Neu sind es je nach Fall noch 75 oder 105 Franken.

Fabienne Lipski sagt, sie kenne mehrere andere Transpersonen, die auf die Gesetzesänderung gewartet hätten. «Mir sind Personen bekannt, die psychisch nicht in der Lage wären, ein Gerichtsverfahren durchzustehen. Als klar geworden ist, dass die Vereinfachung kommt, haben sich einige gleich einen Termin gesichert.»

Rückschritt für Minderjährige

Doch das neue Gesetz sorgt auch für Kritik. Wenn Minderjährige das amtliche Geschlecht ändern wollten, brauchte es bisher die Zustimmung der Eltern nicht, sofern sie selbst urteilsfähig sind. Neu müssen bei unter 16-Jährigen die Eltern der Änderung zustimmen. «Das ist ein massiver Rückschritt», sagt Recher von TGNS. Diese Alterslimite stehe quer in der Landschaft der Kinderrechte.

Ausserdem kämpft die Trans-Organisation dafür, dass sich nicht binäre Menschen nicht mehr zwangsweise als weiblich oder männlich registrieren lassen müssen – sondern auch in der Schweiz neue Möglichkeiten eingeführt werden, beispielsweise ein drittes Geschlecht.

Auch Fabienne Lipski fände das richtig, auch wenn sie selbst sich heute klar als Frau identifiziert. Nach einer Hormontherapie, die wegen ihres sowieso schon hohen Östrogenspiegels allerdings kaum zu sichtbaren Veränderungen führte, soll in wenigen Wochen nun auch die geschlechtsangleichende Operation folgen. Es ist das letzte Kapitel auf dem Weg von Fabian zu Fabienne.

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