Politik und Wirtschaft fordern
Schweiz soll Lieferkettengesetz übernehmen

Die EU führt definitiv ihre Konzernverantwortungs-Initiative ein. Die Schweiz soll nachziehen, fordern die Politik und Unternehmen. So, wie es der Bundesrat im Abstimmungskampf versprochen hatte.
Publiziert: 24.04.2024 um 19:02 Uhr
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Gegen Kinder- und Zwangsarbeit, für das Klima: Das Europäische Parlament hat am Mittwoch in Strassburg das EU-Lieferkettengesetz abgesegnet.

Ziel des Vorhabens: Unternehmen sollen künftig vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverstössen in ihren Lieferketten profitieren. Wenn etwa grosse Modeunternehmen ihre Pullis und Hosen von Kindern in Asien nähen lassen, sollen die Opfer solcher Ausbeutung nach dem neuen Gesetz künftig Schadenersatz verlangen können.

Anfangs noch nicht streng

Das Lieferkettengesetz gilt für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz. In den ersten Geltungsjahren sind die Grenzen, ab wann ein Unternehmen unter die Regeln fällt, sogar noch höher.

Mit dem EU-Lieferkettengesetz, das am Mittwoch gebilligt wurde, sollen grosse Unternehmen stärker verpflichtet werden. Das betrifft auch Schweizer Unternehmen.
Foto: PIUS KOLLER
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Die betroffenen Unternehmen müssten sich bei einer Überwachungsbehörde eines EU-Staates melden, in der Regel im EU-Staat, in welchem das Unternehmen am meisten Umsatz generiert, heisst es im Gesetzestext. Die Schweizer Koalition für Konzernverantwortung begrüsst das EU-Gesetz grundsätzlich, wie sie mitteilte.

Allerdings könnten ausländische Aufsichtsbehörden Schweizer Unternehmen für die Nichteinhaltung der Richtlinie nicht büssen. Auch zivilrechtlich haften die Unternehmen dort, wo sie ihren Sitz haben.

Einziges Land ohne Verantwortung

Die Schweiz droht damit zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortungs-Gesetzgebung zu werden – obwohl die Konzernverantwortungs-Initiative 2020 das Volksmehr erreichte. Es scheiterte aber am Ständemehr. Der Bundesrat versprach im Abstimmungskampf «international abgestimmt» vorgehen zu wollen. Hinzu kommt, dass Monat für Monat neue Fälle von problematischen Geschäften an die Öffentlichkeit gelangen.

Damit auch Schweizer Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen geradestehen müssen, kündigte die Koalition für Konzernverantwortung im vergangenen November eine mögliche Initiative für einheitliche Regeln wie in der EU an. Sie will Druck auf den Bundesrat machen und sicherstellen, dass das Thema nicht auf die lange Bank geschoben wird.

Auswirkungen auf die Schweiz

Und auch Politik und Wirtschaft sind der Meinung, dass der Bundesrat diesbezüglich vorwärtsmachen müsse – damit die Schweiz nicht zum einzigen Land in Europa ohne Konzernverantwortung werde.

Der Entscheid werde auch Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft haben, befürchtet der Aargauer GLP-Nationalrat Beat Flach (59). «Der EU-Entscheid wird auch Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft haben. Es ist darum etwas bedauerlich, dass sich die hiesigen Unternehmen nun schon wieder anpassen müssen, damit sie keinen Nachteil haben.»

Kein «Swiss-Finish»

Das bestätigt die IG Detailhandel Schweiz, sie bringt die gemeinsamen Interessen der Schweizer Unternehmen Coop, Denner und Migros in den politischen Meinungsbildungsprozess ein. «Unsere Mitgliedsfirmen werden von der geplanten EU-Lieferkettenrichtlinie direkt betroffen sein, da sie, respektive ihre Tochterunternehmen, in der EU einen Umsatz von mehr als 450 Millionen Euro erwirtschaften (Drittstaatenregelung). Es ist daher in unserem Interesse, dass eine Regelung in der Schweiz möglichst jener der EU (ohne «Swiss-Finish») entspricht, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden und eine konsistente Gesetzgebung und somit Rechtssicherheit zu gewährleisten.»

Der Bundesrat will im Sommer ein Update der EU-Berichterstattung in die Vernehmlassung schicken. Danach wolle er – nach einer vertieften Analyse und unter Beobachtung, wie die Mitgliedstaaten der EU die Richtlinie umsetzen – über das weitere Vorgehen entscheiden, heisst es beim zuständigen Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) auf Anfrage.

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