Pensionskasse gibt Fehler zu
Gewerkschaften kämpfen mit falschen Zahlen gegen BVG-Reform

Berechnungen zu den Folgen der Pensionskassen-Reform sorgen für Aufregung: Wie jetzt herauskommt, sind die Gegner mit irreführenden Zahlen auf Stimmenfang gegangen. Die Pensionskasse, von der die Berechnungen stammen, räumt dies erst jetzt ein.
Publiziert: 16.08.2024 um 11:00 Uhr
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Aktualisiert: 16.08.2024 um 15:24 Uhr
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Die Zahlen waren Wasser auf die Mühlen der Gegner. Und haben bei anderen Pensionskassen für Stirnrunzeln gesorgt: Die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG), über die die Schweiz am 22. September abstimmt, führe bei vielen Coiffeusen, Metzgern oder beispielsweise auch Gärtnerinnen zu teilweise happigen Renteneinbussen, berichtete der «Tages-Anzeiger» im Juni.

Die Zeitung stützte sich dabei auf Zahlen der Pensionskasse Proparis, einer grossen Kasse des Gewerbes. Insgesamt müssten demnach 58 Prozent der rund 70'000 Proparis-Versicherten mit einer tieferen Rente rechnen. Bei Coiffeusen, die über 50 Jahre alt sind, sogar bei 79 Prozent. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) nutzt die Berechnungen, um gegen die Reform zu mobilisieren.

Zahlen stimmen nicht

Doch nun zeigt sich: Die Angaben stimmen so nicht. Gegenüber SRF und den Zeitungen von «CH Media» räumt die Vorsorgestiftung ein, dass die ausgewiesenen Werte «nicht korrekt» seien. Wie Nachforschungen zeigen, sagen die Zahlen nicht aus, wie viele Versicherte weniger Rente erhielten – sondern, wie viele gemäss einer Modellrechnung unter dem Strich mehr bezahlen dürften. Wenn man beispielsweise also auch höhere Lohnabgaben oder die solidarische Finanzierung des Rentenzustupfs miteinberechnet.

Über die Hälfte der Versicherten bei der Pensionskasse Proparis müsste bei einem Ja zur BVG-Reform mit tieferen Renten rechnen, hiess es. Zu den Verliererinnen gehörten beispielsweise Coiffeusen.
Foto: Keystone
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Die Zahlen seien falsch interpretiert worden, verteidigte sich der Pensionskassenexperte André Tapernoux, der die Berechnungen für Proparis durchgeführt hatte, zu «CH Media». Doch wie aus seinen Unterlagen zuhanden Kasse hervorgeht, lassen die Unterlagen keinen anderen Schluss zu.

Warum aber sagen die Beteiligten das erst jetzt – und haben den Fehler nicht schon viel eher richtiggestellt? Auch Blick hatte Proparis-Direktor Michael Krähenbühl vor einigen Wochen explizit auf die Berechnung angesprochen. Die Stiftung wollte sich zuerst nicht zu den Zahlen äussern. Auf die Nachfrage, wie sich die erstaunlichen Werte erklären lassen, erwähnte die Pensionskasse mit keinem Wort, dass diese gar nicht korrekt sind.

«Wir wollten nie Wahlkampf machen»

Es sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen, dass die herumgereichten Zahlen zu einer falschen Interpretation führen könnten, sagt Krähenbühl. Die Berechnungen seien im März 2023 durchgeführt und nicht mehr aktualisiert worden. Nachdem verstärkt auch Dritte die besagte Auswertung hinterfragt hatten, habe er sich veranlasst gesehen, mit dem Experten die Zahlen nochmals zu analysieren. Erst dann habe man die Fehlinterpretation dieser Berechnung erkannt. «Das ist unglücklich und wird zeitnah korrigiert», sagt er.

Krähenbühl weist den Vorwurf von sich, dass politisches Kalkül dahintersteckt. «Wir wollten nie Wahlkampf machen.» Die Berechnungen seien stets nur zur internen Verwendung gedacht gewesen.

Coiffeusen bleiben Verliererinnen

Für den Gewerkschaftsbund, der mit den Zahlen Abstimmungskampf machte, ist das Ganze sehr ärgerlich. Der Verband sagt, die Proparis-Zahlen nicht geprüft zu haben. Dazu habe es keine Möglichkeit und keinen Anlass gegeben, da die Berechnungen von Pensionskassenexperten durchgeführt worden waren, sagt Zentralsekretärin Gabriela Medici. «Wir sind davon ausgegangen, dass die in den Unterlagen enthaltenen Zahlenbeispiele und Aussagen korrekt sind.»

Der Arbeitgeberverband fordert, dass die irreführenden Angaben korrigiert und richtigstellt werden. Proparis will in den nächsten Tagen korrekte Berechnungen nachliefern.

Man werde dann die Abstimmungsunterlagen anpassen, sagt der SGB. Er legt wert zu betonen, dass sich an der Grundaussage nichts ändert. Tapernoux, der die Berechnungen gemacht hatte, hat dem Verband gegenüber bestätigt, dass 79 Prozent der bei Proparis versicherten Coiffeusen zwar keine niedrigere Rente zu befürchten haben, die Reform sie aber insgesamt mehr kosten als nützen dürfte.

Trügerische Aussagen auch bei der Post

Proparis ist nicht die einzige Vorsorgestiftung, bei der es zu einem irreführenden Zahlensalat gekommen ist. Als trügerisch stellen sich auch Aussagen von Vertretern der Pensionskasse der Post heraus. Stiftungsrats-Präsident Matteo Antonini hatte im «SonntagsBlick» gewarnt, dass die Reform bei Weitem nicht nur Personen betreffe, die lediglich im gesetzlichen Obligatorium versichert sind – was eine Minderheit ist. «Die Rentenreform würde auch unsere Pensionskasse betreffen und hätte Auswirkungen auf viele unserer Versicherten», sagte Antonini, der auch Präsident der Gewerkschaft Syndicom ist. Die Gewerkschaft setzt sich wie der SGB für ein Nein am 22. September ein.

Viele Versicherte? Was das genau heisst, führte der Gewerkschafter nicht aus. Auf Blick-Anfrage teilte die Post-Pensionskasse mit, dass gerade einmal ein Prozent ihrer Versicherten mit einer Rentenkürzung rechnen müssten. Laut Antonini ist das kein Widerspruch, weil er sich nicht allein auf diese Berechnungen stütze. Oder wie es die Geschäftsführerin formuliert: Es sei «alles nur eine Frage der Perspektive».

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