Oberster Sport-Parlamentarier Matthias Aebischer kritisiert WM-Vergabe
«Katar missbraucht den Sport»

Bald schon beginnt die WM. Doch Fussball-Euphorie kommt hierzulande keine auf. Der Unrechtsstaat Katar als Austragungsort drückt auch bei SP-Nationalrat Matthias Aebischer, dem Präsident der parlamentarischen Gruppe Sport, auf die Stimmung.
Publiziert: 01.11.2022 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2022 um 14:20 Uhr
Interview: Ruedi Studer

In knapp drei Wochen beginnt die Fussball-WM in Katar. Eine WM in einem Land, das die Menschenrechte mit Füssen tritt. Mit Spielen mitten im europäischen Winter. Euphorie kommt hierzulande bisher keine auf. SP-Nationalrat Matthias Aebischer (55), oberster Sport-Parlamentarier im Bundeshaus, beobachtet kritisch. Der Berner präsidiert die parlamentarische Gruppe Sport und spielt im FC Nationalrat mit.

Blick: Herr Aebischer, freuen Sie sich als Fussballfan bereits auf den WM-Anpfiff in Katar?
Matthias Aebischer: Eine Fussball-WM ist für mich eigentlich ein Höhepunkt. Doch diesmal hält sich die Vorfreude in Grenzen. Mit Katar suhlt sich ein Land im Glanz der Spiele, das keine Fussballkultur hat, in dem es viel zu heiss ist für Spieler und Publikum und das den Zuschlag auch dank Korruption erhalten hat. Hinzu kommt die unerträgliche Menschenrechtssituation. Das Ganze ist nicht im Sinne des Sports. Ein Fehlentscheid.

Werden Sie die WM boykottieren und den Fernseher ausschalten?
Ich verstehe alle, die auf diese WM verzichten. Das Perfide ist aber, dass mit einem Boykott der Sport und die Spieler bestraft würden. Ich bin Fan unserer Nati und werde ihre Spiele schauen. Ich werde aber – wie viele andere Fans auch – die WM mit angezogener Handbremse verfolgen. Ich verstehe die Städte und Beizen, die auf ein Public Viewing verzichten. Oder wenn man keine Panini-Bilder sammelt. Auf dieses Drumherum, das eine WM normalerweise auch ausmacht, werde ich dieses Mal ebenfalls verzichten.

Die WM in Katar ist für viele Fussballfans ein Ärger. Sie protestieren dagegen immer wieder in den Stadien – hier die Fans des SV Werder Bremen (D).
Foto: imago/foto2press
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Schauen Sie die WM mit schlechtem Gewissen im kleinen Kämmerlein?
Nicht mit schlechtem Gewissen, sondern eher mit einem Ärger gegenüber der Fifa, die dem Sport mit dieser WM-Vergabe einen Bärendienst erweist. Anstelle des Verbindenden des Sports und der Leistungen der Fussballer stehen – zu Recht natürlich – ganz andere Themen im Fokus: fehlende Menschenrechte, miserable Arbeitsbedingungen für Wanderarbeiter, die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen. Wir sprechen darüber, dass in Katar keine Religionsfreiheit herrscht. Ebenso keine Pressefreiheit – was derzeit Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt am eigenen Leib erfahren. Dass nicht der Sport im Vordergrund steht, ist eigentlich schade, aber in diesem Kontext nötig. Die Proteste gegen fehlende Menschenrechte in Katar werden diese WM prägen.

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Selbst auf dem Spielfeld? So wie beispielsweise 1995, als die Schweizer Nati mit einem «Stop it, Chirac»-Banner gegen französische Atombombentests protestierte?
Es wird rund um die Welt Demonstrationen und Protestaktionen geben. Und ich bin mir sicher, auch auf dem Fussballfeld. Es gab ja bereits im Vorfeld mutige Aktionen. Die deutsche Nationalmannschaft beispielsweise zeigte sich mit «Human Rights»-T-Shirts. Auch in der Schweizer Nati gibt es wohl Spieler, die die Situation nicht einfach so akzeptieren und ein Zeichen setzen wollen.

Sind politische Aktionen nicht fehl auf dem Fussballplatz?
Mir wäre eine WM in einem Land lieber, das die Menschenrechte respektiert. Dann wären Protestaktionen unnötig. Ich finde es schlecht, wenn der Sport für politische Aktionen missbraucht wird. Hier ist aber der Veranstalter selbst das Problem: Katar missbraucht den Sport, um für sich PR zu machen.

Katar steht wegen der Menschenrechtslage im Scheinwerferlicht und hat deshalb für Arbeitsmigranten auch gewisse Verbesserungen vorgenommen. Das ist doch positiv.
Zwar hat sich die Situation für Wanderarbeiter in den letzten Jahren etwas verbessert, und die Fifa will den Arbeitsrechten in Zukunft mehr Beachtung schenken. Bloss, wie nachhaltig sind diese Bekenntnisse? Was passiert in Katar nach der WM? Die Arbeitsbedingungen für Wanderarbeiter aus Nepal, Sri Lanka oder Pakistan sind trotz allem miserabel. Und findet in der Fifa, dem Internationalen Olympischen Komitee und anderen grossen Sportverbänden wirklich ein Umdenken statt? Bisher höre ich nur Lippenbekenntnisse, der Tatbeweis bleibt aus. Jüngstes Beispiel ist die Vergabe der Asien-Winterspiele 2029 nach Saudi-Arabien. Ganz abgesehen von der Menschenrechtslage in ein Land, in dem es nicht mal schneit. Das ist ein Witz, ein Skandal. Damit verliert der Sport jede Glaubwürdigkeit.

Wie lässt sich das korrigieren?
Seit Jahrzehnten versprechen Fifa oder IOC, es künftig besser zu machen. Dafür braucht es aber ein transparentes Wahlverfahren für die Vergabe von grossen Sportanlässen. Ebenso müssen sich die Kandidierenden zu Menschenrechten und zum Schutz der Arbeitnehmenden bekennen. Nötig wäre dazu ein Ausschlussprinzip: Wer gewisse Kriterien nicht einhält, darf schon gar nicht kandidieren. Diktaturen und autokratische Regimes wären vorneweg ausgeschlossen. Katar wäre so nie in die Kränze gekommen.

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Zum Schluss doch noch zum Sportlichen: Was trauen Sie der Schweizer Nati zu?
Unsere Nati ist so gut wie noch nie. Sie kann jeden Gegner schlagen. Das hat sie etwa mit Siegen gegen Spanien oder Portugal in der Nations League oder auch dem EM-Sieg gegen Frankreich bewiesen. Ich traue unserer Mannschaft deshalb alles zu und freue mich auf sie.

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