Neuer Antisemitismusbericht zeigt
Übergriffe auf Juden in der Schweiz haben sich verzehnfacht!

Seit den Hamas-Angriffen vom Oktober sei die Zahl in der Schweiz registrierter antisemitischer Vorfälle «dramatisch in die Höhe geschnellt». Das zeigt der eben veröffentlichte Antisemitismusbericht 2023. Dieser nimmt auch den Bund in die Pflicht.
Publiziert: 12.03.2024 um 01:02 Uhr
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Aktualisiert: 12.03.2024 um 08:19 Uhr
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Daniel BallmerRedaktor Politik

Nur dank dem beherzten Eingreifen dreier Passanten konnte noch Schlimmeres verhindert werden. Am 2. März stach ein islamistisch radikalisierter Jugendlicher (15) in Zürich mit einem Messer auf einen orthodoxen Juden (50) ein. Er verletzte diesen lebensgefährlich. Zuvor hatte der Schweizer Jugendliche mit tunesischen Wurzeln seine Tat im Internet angekündigt und sich dort zum Islamischen Staat IS bekannt. Sein Ziel: Er will Juden töten. Dem Nachrichtendienst aber sei er nicht bekannt gewesen, wie der Bundesrat am Montag mittelte.

Die Attacke «stellt das schwerwiegendste antisemitische Hassverbrechen in der Schweiz seit zwei Jahrzehnten dar», schreiben der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) in ihrem eben veröffentlichten Antisemitismusbericht 2023. Auch europaweit sei die Tat ein Ausnahmeereignis.

Mehr Vorfälle in allen Bereichen

Und doch: Die Zürcher Messerattacke ist nur der Tiefpunkt einer «erschreckenden» Welle antisemitischer Vorfälle. Das zeigt die Erhebung der beiden Organisationen. Laut dieser sind in der Deutschschweiz und in der italienischen Schweiz insgesamt 1130 antisemitische Vorfälle registriert worden. Im Vorjahr waren es noch 910. In der Romandie nahmen die antisemitischen Vorfälle gleich um 68 Prozent zu.

Seit den Terroranschlägen der Hamas vom Oktober und dem neu entflammten Gaza-Krieg kommt es in der Schweiz zu deutlich mehr antisemitischen Vorfällen.
Foto: keystone-sda.ch
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Als Auslöser machen der SIG und die GRA eindeutig die Terroranschläge der Hamas vom vergangenen Oktober sowie den Krieg in Gaza aus.

Die Anschläge hätten latent vorhandenen Antisemitismus an die Oberfläche gespült und wirkten gleichzeitig verstärkend. Seither ist die Zahl der registrierten antisemitischen Vorfälle «dramatisch in die Höhe geschnellt».

Gerade in der realen Welt muss eine «noch nie dagewesene Intensität in der Wortwahl und sogar bei physischen Übergriffen festgestellt» werden. In konkreten Zahlen: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl antisemitischer Vorfälle im Land von 57 auf 155 Fälle emporgeschnellt. Fast eine Verdreifachung! Allein in den knapp drei Monaten seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober bis zum Jahresende wurden 114 Vorfälle registriert.

«Dich sollte man vergasen!»

So wurde ein streng religiöses Geschwisterpaar am Bahnhof Zürich Flughafen von einem Mann mit Faustschlägen traktiert. In Saas-Fee VS wurde ein jüdischer Tourist von einem Einheimischen beschimpft. Dieser sei danach in sein Auto eingestiegen und habe versucht, den Touristen zu überfahren, ist dem Bericht zu entnehmen. Oder: Ein Schüler einer Aargauer Bezirksschule wurde beschimpft (Hitlergruss, «Dich sollte man vergasen!»), geschubst und geschlagen. Auch seien ihm die Hosen heruntergezogen worden.

Das unternimmt der Bund gegen Antisemitismus

Ein starkes Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus sei aktueller denn je, erklärte SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) am Montag im Nationalrat. 2019 habe der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit von Minderheiten mit besonderem Schutzbedarf verabschiedet. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) unterstütze derzeit insgesamt 34, vorab jüdische, Organisationen mit Schutzmassnahmen im Wert von rund 4,7 Millionen Franken.

Gleichzeitig unterstütze der Bund die Einrichtung von Stellen zur Meldung antisemitischer Vorfälle sowie das Netzwerk der Beratungsstellen für Rassismusopfer. Auch an Schulen würden gezielte Sensibilisierungsprojekte durchgeführt. Und schliesslich unterstütze der Bundesrat die Forderung nach einem Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus.

Ein starkes Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus sei aktueller denn je, erklärte SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (60) am Montag im Nationalrat. 2019 habe der Bundesrat die Verordnung über Massnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit von Minderheiten mit besonderem Schutzbedarf verabschiedet. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) unterstütze derzeit insgesamt 34, vorab jüdische, Organisationen mit Schutzmassnahmen im Wert von rund 4,7 Millionen Franken.

Gleichzeitig unterstütze der Bund die Einrichtung von Stellen zur Meldung antisemitischer Vorfälle sowie das Netzwerk der Beratungsstellen für Rassismusopfer. Auch an Schulen würden gezielte Sensibilisierungsprojekte durchgeführt. Und schliesslich unterstütze der Bundesrat die Forderung nach einem Aktionsplan gegen Rassismus und Antisemitismus.

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Insgesamt 10 Tätlichkeiten wurden 2023 registriert, davon 6 allein im Oktober. Im gesamten Vorjahr war es noch eine gewesen. Eine Verzehnfachung! Ähnlich bei Schmierereien, Auftritten oder Plakaten. Eine solche Häufung von Tätlichkeiten, Schmierereien, Beschimpfungen und Vorfällen an Demonstrationen innert so kurzer Zeit sei beispiellos, klagen die Berichterstatter.

«Auch der Inhalt der Schmierereien und Zuschriften hat mit Todesdrohungen und Shoah-Vernichtungsfantasien eine in der Schweiz noch nicht gekannte Heftigkeit erreicht.» Unter den Juden ist die Unsicherheit stark gestiegen. Gesellschaftspolitisch sei das inakzeptabel.

Im Internet wiederum sei die Zahl antisemitischer Vorfälle im Vergleich zu 2022 von 853 auf 975 Fälle angestiegen.

Politik soll endlich handeln

Mit deutlichen Worten fordern der SIG und die GRA die Politik zum Handeln auf: Mehr staatliches Engagement bei der Überwachung von Antisemitismus und Rassismus sei dringend nötig. Es brauche endlich rechtliche Handhabe gegen Hassrede sowie den Willen, auf Social-Media-Plattformen einzuwirken, damit diese die Verbreitung von Hass unterbinden. Und es brauche ein deutliches Zeichen gegen vermehrt auftretende Nazi-Symbole. Die Politik aber ringt nach wie vor mit einer Lösung. 

Uferlose Debatten seien zu beenden, nehmen die Schweizer Juden die Politik in die Pflicht. Es könne nicht mehr abgewartet werden. Den Worten müssten endlich Taten folgen.

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