Nach zwölf Jahren ist für Bundesrat Berset Schluss
Seine Zeit zwischen Krisenmanagement und Skandalen

Nach einem Dutzend Jahre als Bundesrat endet die Amtszeit von Alain Berset. Der Freiburger prägte die Schweiz während der Corona-Pandemie, doch politisch blieb es für ihn anspruchsvoll. Bilanz über eine Amtszeit zwischen Popularität und politischen Herausforderungen.
Publiziert: 30.12.2023 um 08:32 Uhr
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Aktualisiert: 30.12.2023 um 14:05 Uhr
Alain Berset nimmt den Hut und tritt Ende 2023 als Bundesrat zurück.
Foto: keystone-sda.ch
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Schlag Mitternacht, mit der ersten Sekunde des neuen Jahrs, endet die Ära von «Monsieur Parfait». Als solcher galt Alain Berset (51), als er 2012 mit viel Vorschusslorbeeren als Bundesrat startete. Der SP-Mann war smart und schnell im Kopf, charmant und staatsmännisch, aber volksnah. Kurzum: der ideale Konsenspolitiker. Alt Bundesrat Pascal Couchepin (81, FDP) prophezeite gar, Berset habe das Zeug, die dominierende Rolle im Bundesrat zu übernehmen.

Eines lässt sich nach zwölf Jahren sagen: Berset war eine der prägenden Figuren des Landes. Sein Name wird verbunden bleiben mit einer der schwersten Krisen in jüngster Zeit – der Covid-19-Pandemie. Der Gesundheitsminister stand zuvorderst, als das Coronavirus das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben beherrschte. Der Bundesrat regierte mit Notrecht, liess Veranstaltungen verbieten, Restaurants schliessen, das Singen untersagen. All das blieb nicht folgenlos, es gab Kritik und Drohungen.

«Mutig» und eitel

Doch fast alle attestieren Berset rückblickend, Augenmass behalten zu haben. Der Waadtländer Ständerat Pierre-Yves Maillard (55), der 2011 die Wahl in den Bundesrat gegen Berset verlor, sagt: «Er war in schwierigen Zeiten sehr mutig.»

Sein grosses Ego mag ihm dabei geholfen haben. Kritik schien an Berset abzuperlen, wie Wasser an Lack. Und wie kaum ein anderer Bundesrat zuvor hat sich Berset inszeniert. Nicht umsonst galt er als Social-Media-König unter den Bundesräten. 2018, als er erstmals Bundespräsident war, liess er sich von einem Fotografen begleiten.

Foto: KEYSTONE

Unvergessen das Bild aus New York: Berset sitzt auf einem Randstein vor dem Uno-Gebäude, studiert Akten und macht sich Notizen. Mit dieser Nonchalance und Weltgewandtheit gelang es ihm regelmässig, die Öffentlichkeit um den Finger zu wickeln. Er schnitt bei Meinungsumfragen immer wieder als beliebtester Bundesrat ab.

Überschaubare politische Bilanz

Dabei bleibt Bersets Leistungsbilanz überschaubar. Als Innenminister war er für Gesundheitspolitik und Altersvorsorge zuständig. Beides ewige Baustellen, bei denen kaum Reformen gelingen. Seine empfindlichste Niederlage fuhr er im September 2017 ein, als er mit «Altersvorsorge 2020» deutlich scheiterte.

Es wäre ein Riesenwurf gewesen, der AHV und Pensionskassen gleichzeitig reformiert hätte. Ein Sieg, der seiner Bundesratskarriere eine andere, glücklichere Richtung hätte geben können. Immerhin: Berset setzte das Frauenrentenalter 65 durch – aus linker Perspektive ein Pyrrhussieg. Die erste Rentenreform seit vielen Jahren.

Doch nach der Niederlage 2017 – und abgesehen von der Corona-Zeit – wandelte sich Berset vom Gestalter zum Verwalter, bewegte kaum mehr etwas in seinen Dossiers. Was durchaus ihm selbst anzulasten ist. Alt Nationalrätin Ruth Humbel (66, Mitte), in den letzten 20 Jahren eine der wichtigsten Gesundheitspolitikerinnen des Landes, erinnert sich an sein dominantes Auftreten. «Er hat seine Dossiers gekannt und für seine Überzeugungen gekämpft.» Habe er bei einem Thema eine Linie verfolgt, sei er nicht davon abzubringen gewesen.

Skandale statt Reformen

Linientreu war er auch beim Personal: Berset wird angelastet, dass er Schlüsselstellen mit Parteifreunden besetzt und so aus seinem Departement einen verlängerten Arm der SP gemacht habe. Er installierte alt Nationalrat Stéphane Rossini (60) als Chef des Bundesamts für Sozialversicherung und machte den ehemaligen SP-Generalsekretär Thomas Christen (48) zum stellvertretenden Direktor des Bundesamts für Gesundheit. Das bringt ihm den Vorwurf ein, an überparteilichen Lösungen gar nicht interessiert gewesen zu sein. Dagegen spricht: Im Bundesrat brachte er seine Geschäfte zumeist durch.

Statt mit Reformen machte Berset vor allem gegen Ende seiner Amtszeit mit Skandalen von sich reden – mit einer ehemaligen Geliebten, mit Indiskretionen, besser bekannt als Corona-Leaks, mit einem Einsatz der französischen Luftwaffe, die Berset im Sommer 2022 als Privatpiloten outete.

Nicht ganz «Monsieur Parfait». Doch wer solchen Erwartungen gerecht werden will, landet schnell auf dem Boden der Realität. Alain Berset weiss das. «Vielleicht mache ich Yoga», sinnierte er darum bei seiner Rücktrittsankündigung im Scherz. Für etwas mehr Erdung keine schlechte Idee. Namaste, Monsieur!

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