Nach der Niederlage gegen den SVP-Asylchef
Das sagen die Glarner-Gegner von Oberwil-Lieli AG

52 Prozent der Stimmberechtigten von Oberwil-Lieli AG folgten gestern ihrem Gemeindeammann: Statt Asylbewerber aufzunehmen, zahlt die Gemeinde lieber jährlich fast 300'000 Franken. Was sagen die restlichen 48 Prozent dazu? BLICK war am Abstimmungssonntag vor Ort.
Publiziert: 02.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 16:32 Uhr
Nico Menzato

Oberwil-Lieli ist eine der reichsten Gemeinden im Aargau. Knapp 300 Millionäre leben im 2200-Seelen-Dorf. Und das «Juwel am Mutschellen», wie sich die Gemeinde an sonniger Südwesthanglage selbst unbescheiden anpreist, bleibt frei von Asylbewerbern.

Das Stimmvolk hat gestern entschieden, dass sie sich auch künftig von der Aufnahmepflicht freizukaufen will. Und dafür die gemäss kantonalem Verteilschlüssel vorgeschriebenen Asylbewerber nicht unterbringen muss. Zehn wären es derzeit. Ein Asylbewerber auf 30 Millionäre also.

Rekordverdächtige Stimmbeteiligung, knapper Entscheid

Doch bereits das ist 52 Prozent der Bewohner von Oberwil-Lieli zu viel. Sie zeigten Flüchtlingen die kalte Schulter. Und stimmten dafür, auch künftig 290'000 Franken als Kompensation an den Kanton zu überweisen. Dieser Ablasshandel dürfte künftig teurer werden – doch dies beeinflusste den Entscheid nicht. Die Stimmbeteiligung war mit 68,9 Prozent rekordverdächtig hoch.

Interessengemeinschaft Solidarität traf sich gestern bei Nieselregen zu Kaffee und Chips beim Gemeindehaus, um die Asylniederlage zu verdauen.
Foto: Joseph Khakshouri

Mit dem Nein stiessen sie das Resultat der turbulenten Gemeindeversammlung von Ende November um. Damals votierte noch eine knappe Mehrheit für die Aufnahme von Asylbewerbern. «Ich bin erfreut über den Entscheid, dass wir von wir von Asylbewerbern verschont bleiben», sagt Gemeindeammann und SVP-Nationalrat Andreas Glarner (BLICK berichtete).

Für Glarner, der in der SVP Schweiz Asyl- und Migrationsverantwortlicher ist, wäre ein Nein eine Blamage gewesen. Der Dorfkönig wäre er von seiner Dorfbevölkerung zurückgepfiffen worden.

Dass dennoch fast die Hälfte seine Asylpolitik nicht mitträgt, nimmt er gelassen: «Ich habe erwartet, dass es knapp wird. Aber wir haben gewonnen. Und in einer Demokratie gibt es oft 49 Prozent Verlierer.»

Die Asyl-Debatte in Oberwil-Lieli, die international für hämische Schlagzeilen sorgt, ist aber nicht ausgestanden. An der Gemeindeversammlung im Juni wird die Diskussion weitergehen.

Initiantin Gündel akzeptiert Niederlage

Johanna Gündel
Foto: ZVG

Die Gegner von SVP-Glarner möchten nicht weiterkämpfen. «Wir akzeptieren den demokratischen Entscheid. Ich bin dagegen, bei der nächsten GV einen neuen Antrag zu stellen», sagt Johanna Gündel, die sich gestern in ihrer zweiten Heimat Basel aufhielt. Die 25-jährige Studentin hat den Protest gegen Glarner im vergangenen Herbst initiiert. «Wir haben alles gegeben und mit Fakten gekämpft. Leider hat die Gegenseite mit ihrer Angstmacherei beim Volk mehr überzeugt.»

Nach den Wahlen 2017 könne man die Diskussion wieder in Gang bringen, falls dann die politische Zusammensetzung im Gemeinderat anders aussehe, so Gündel. Gut möglich, dass Glarner, der im Herbst in den Nationalrat gewählt wurde, dann sein Amt als Ammann zur Verfügung stellt.

Darauf hofft auch die Interessengemeinschaft Solidarität. Das Grüppchen traf sich bei Nieselregen zu Kaffee und Chips beim Gemeindehaus, um die Asylniederlage zu verdauen.

Lisbeth und Peter Litschig
Foto: Joseph Khakshouri

«Wir schämen uns für unser Dorf», sagten Lisbeth und Peter Litschig. «Andere Gmeinden müssen mehr Asylbewerber unterbringen, wenn sich einige freikaufen. Das ist nicht in Ordnung.»

Beatrice Imhof
Foto: Joseph Khakshouri

«Der Abstimmungskampf verlief nicht immer fair», sagt auch Beatrice Imhof aus Oberwil-Lieli. «Doch die Demokratie hat entschieden. So ist es halt – wir akzeptieren den Entscheid.»

Martin Ueberhart
Foto: Joseph Khakshouri

«Glarner muss zur Kenntnis nehmen, dass fast die Hälfte der Bürger gegen seine Asylpolitik sind» sagt auch Martin Ueberhart, Pressesprecher der IG Solidarität. Dies sei im letzten halben Jahr ganz anders gewesen. «Wir wurden wie Aussätzige behandelt – als gehören wir nicht zum Dorf.» Für die Gemeindeversammlung werde die IG aber nicht mehr mobilisieren.

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