Nach Bundesratswahlen
Stadt, Land, Frust

Die Wirtschaftszentrenhaben keinen Vertreter mehr im Bundesrat. Der Städte-Chef fordert, Politiker aus dem urbanen Raum ins Parlament zu wählen.
Publiziert: 11.12.2022 um 01:28 Uhr

Elisabeth Schneider-Schneiter (58) marschiert durch die Wandelhalle – sie ist ausser sich: Am Tag zuvor hat die Bundesversammlung die SP-Ständerätin und Beinahe-Namensvetterin Elisabeth Baume-Schneider (58) in den Bundesrat gewählt. Die Jurassierin stammt aus Les Breuleux, Einwohnerzahl: 1500. Das Nachsehen hatte Ständerätin Eva Herzog (60) aus Basel, Einwohnerzahl: 170'000.

Auch, als die Mitte-Nationalrätin Schneider-Schneiter auf das Wahlresultat zu sprechen kommt, ist ihr Zorn noch immer nicht verraucht. Es sei «bedenklich», dass mit der Wahl von Baume-Schneider und Albert Rösti (55) die Städte im Bundesrat nicht mehr vertreten seien. Denn auch der SVP-Bundesrat wohnt auf dem Land: in Uetendorf, Einwohnerzahl: 6000. Ja, die Baselbieterin Schneider-Schneiter sieht durch den Ausschluss der grossen Städte nicht weniger als den Zusammenhalt des Landes gefährdet.

Keller-Sutter kommt aus der grössten Gemeinde

Tatsächlich kommen nun alle sieben Bundesräte aus Dörfern oder Kleinstädten. Die grösste Stadt, die durch einen Bewohner im Bundesrat vertreten ist, heisst Wil SG, ist der Wohnort von Karin Keller-Sutter (FDP, 58) und zählt 24 '000 Bürger. Politikerinnen aus Zürich, Genf, Basel, Bern oder Luzern in der Landesregierung? Fehlanzeige.

Elisabeth Baume-Schneider ist die neue Justizministerin.
Foto: Keystone
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Auch deswegen hat man in den Städten den Eindruck, dass die Wirtschaftsmotoren in der Bundespolitik zu wenig Gehör finden. Bundesbern fehle schlicht das Bewusstsein für die zentrale Rolle der Städte im Land, moniert der baselstädtische Regierungspräsident Beat Jans (58). Als Beispiel nennt er die Europapolitik: «Da sitzen die Kantone mit am Tisch. Die Städte hingegen fehlen – trotz ihrer internationalen Vernetzung. Die Städte müssen sich ihren Platz immer wieder neu erkämpfen.»

Kein Wunder, wenn sie kaum Vertreter in Bundesbern haben. «Als Städterin gehöre ich zu einer raren Spezies im Parlament», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (61). Die Benachteiligung der Städte habe System. «Am markantesten fällt das bei den Steuern ins Gewicht. So reissen die regelmässigen Senkungen der Unternehmenssteuern riesige Löcher vor allem in die Stadtkassen.»

Wirtschaftsmotor

Die urbanen Zentren müssten im Parlament präsenter werden, findet GLP-Präsident Jürg Grossen (53), der aus dem ländlichen Frutigen BE stammt. «Sie müssen zeigen, wie wichtig sie als Wirtschaftsmotor für den Wohlstand der Schweiz sind.» Nur: Hat der Kanton Basel-Stadt das nicht gerade erst getan, als er vor der Bundesratswahl massiv für Eva Herzog (60) Werbung machte? «Eine ständige Präsenz ist wohl Erfolg versprechender als ein kurzfristiges Power-Lobbying, wie das der Kanton Basel-Stadt in den letzten Wochen für Eva Herzog aufgezogen hat», urteilt Grossen.

Allerdings dürfte mehr Lobbying allein kaum reichen. Im Kern handle es sich um ein institutionelles Problem, sagt Jacqueline Badran: «Die Städte haben nicht nur gegenüber dem Bund eine schwache Position, sondern auch gegenüber den starken Kantonen.» Als Zürcher Gemeinderätin habe sie das ein ums andere Mal erleben müssen. Verstärkt werde dieser bedauerliche Umstand durch die strukturelle Übervertretung der Landkantone im Ständerat.

Was also tun? «Appenzell Innerrhoden hat 16'000 Einwohnende», sagt Badran. «Das ist so viel wie das kleinste Quartier von Zürich. Man sollte Städten eine Standesstimme zusprechen – oder grosse Städte könnten eigene Kantone bilden. Das würde die ländliche Übermacht im Ständerat mildern.» Ausserdem sei es an der Zeit, endlich systematisch das Verfassungsgebot durchzusetzen, nach dem die besondere Situation der Städte berücksichtigt werden muss. «Das wird es nämlich bis heute nicht.»

Anders Stokholm (56), Stadtpräsident von Frauenfeld TG, ist Präsident des Städteverbands. Sein Ansatz: «Die Parteien sollten bei der Zusammenstellung der Wahllisten darauf achten, dass auch Vertreter von Städten auf den vorderen Plätzen sind.» Denn: «Es braucht mehr Städter im Parlament.» Stokholm bringt noch eine andere Idee ein: «Wenn es neben dem National- und Ständerat eine Städtekammer gäbe, würde dies den Städten ebenfalls helfen, sich genügend Gehör zu verschaffen.» Das sei aber eher ein Denkanstoss, betont Stokholm, und keine Forderung.

Hätte er einen Wunsch frei, dann wäre es dieser: «Dass der nächste Bundesrat aus einer Grossstadt kommt.»

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