Mitte und FDP wollen Einkommenssteuern umkrempeln
Es gewinnen die Reichen – oder verlieren die Armen

Sie wollen beide die sogenannte Heiratsstrafe abschaffen: Initiativen von Mitte und FDP-Frauen. Die Wege zum Ziel sind aber sehr unterschiedlich – und haben beide Vor- und Nachteile.
Publiziert: 19.10.2022 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2022 um 09:05 Uhr
Daniel Ballmer

Die Mitte-Partei will es nochmals wissen. Gleich zwei Initiativen hat sie am Dienstag lanciert, mit denen sie der Heiratsstrafe abermals den Kampf ansagt. «Niemand soll aufgrund seines gewählten Lebensmodells diskriminiert werden», betonte Parteipräsident Gerhard Pfister (60) vor den Medien. 2016 war die Mitte damit vor dem Volk noch gescheitert – auch, weil der Bundesrat die Stimmbürger falsch informiert hatte.

Nun folgt der nächste Anlauf: Die Mitte will die Heiratsstrafe bei der direkten Bundessteuer (wegen der Progression zahlen Ehepaare in einigen Fällen mehr als Konkubinatspaare) und bei der AHV-Rente (Ehepaare bekommen nur 1,5 AHV-Renten) endgültig abschaffen.

Wegweisender Steuerstreit bahnt sich an

Doch das ist noch nicht alles. Parallel zur Mitte fordern die FDP-Frauen mit einer eigenen Initiative den Systemwechsel zur Individualbesteuerung. Künftig soll jede Person, egal ob verheiratet oder nicht, eine eigene Steuererklärung ausfüllen.

Mit den Zwillings-Initiativen will die Mitte die Benachteiligung von Ehepaaren bei den Steuern und bei der AHV bekämpfen.
Foto: keystone-sda.ch
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Damit bahnt sich in Bundesbern ein Steuerstreit an. Und der hat es in sich: Nicht nur, weil jede und jeder im Land betroffen ist. Beide Reformen hätten auch Gewinner und Verlierer. Unter dem Strich geht es um eine ganz grundlegende Frage: Welches Lebensmodell soll der Staat steuerlich fördern?

Hohe Kosten – zugunsten einer Minderheit

Die Idee der Mitte ist einfach erklärt: Der Staat soll für Ehepaare zwei Steuerberechnungen machen – eine nach dem Ehepaar-Modell und eine, als wären die beiden nicht verheiratet. Schuldig wäre das Paar dann den jeweils tieferen Betrag.

Die Sache hat allerdings einen gewaltigen Haken: Für die Steuerbehörden bedeutet das Modell nicht nur doppelten Aufwand. Die Initiative wird den Staat auch sehr viel Geld kosten. Die Mitte selber geht von rund zwei Milliarden Franken im Jahr aus. Und das zugunsten einer Minderheit.

Von der Heiratsstrafe sind nämlich einzig Ehepaare mit hohen Einkommen betroffen – ab 15'000 Franken im Monat. Zwei Drittel der berufstätigen Ehepaare hingegen profitieren von einem Heiratsbonus: Sie berappen weniger Bundessteuern als Konkubinatspaare mit dem gleichen Einkommen. Das hat der liberale Thinktank Avenir Suisse vorgerechnet. Für diesen ist das Fazit klar: Unter dem Strich subventioniert das Schweizer Steuersystem die Ehe sogar.

Klassisches Familienmodell würde verlieren ...

Anders die Individualbesteuerung: Sie würde die Steuerlast auf das Zweiteinkommen verringern – und so Erwerbsanreize gerade für Frauen schaffen. Die Initiative würde mithelfen, den derzeitigen Fachkräftemangel zu beheben. Gemäss Avenir Suisse könnte die Individualbesteuerung rund 50'000 Vollzeitstellen schaffen oder die Erwerbsquote von 300'000 Frauen um 20 Prozent erhöhen. Und: Sie würde kein solches Loch in die Staatskasse reissen.

Dafür hat sie andere Nachteile: Ökonom Beat Hintermann von der Uni Basel warnt davor, dass ein grosser Bevölkerungsteil zu den Verlierern gehören könnte. Je nach Umsetzung der Initiative würde diesen sogar eine Steuererhöhung von mehreren Einkommensprozenten blühen – zumal die Initiative der FDP-Frauen keine Abfederung vorsieht.

... genauso wie tiefe Einkommen

Und die Individualbesteuerung brächte noch weitere Nachteile mit sich. Steuerexperte Hintermann verweist dabei auf eine von ihm betreute Bachelorarbeit. In aller Kürze: Zu den Verlierern würde einerseits das klassische Familienmodell mit Einverdienerpaaren und gerade auch Paare mit geringem Einkommen zählen. Überproportional profitieren würden hingegen hohe Einkommen sowie Paare, die in etwa gleich viel verdienen: «Somit würde die Einführung einer Individualbesteuerung die Ungleichheit der Einkommen verstärken.»

Die Mitte erkennt denn bei der Konkurrenz-Initiative bereits neue Diskriminierungen, die sie am Dienstag vor den Medien anprangerte. Das Ringen um die Reformen ist bereits in vollem Gang.

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