Mister Digital fordert Geschäftssinn
«Wir erfinden es, andere machen das grosse Geld»

Die Schweiz ist stark in digitalen Innovationen. In Franken und Rappen zahlt sich das aber zu wenig aus, kritisiert Philipp Metzger, der die Umsetzung der Strategie «Digitale Schweiz» leitet. Mehr Wertschöpfung ist daher eines seiner obersten Ziele.
Publiziert: 25.10.2018 um 01:53 Uhr
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Aktualisiert: 25.10.2018 um 19:27 Uhr
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Andrea Willimann

BLICK: Herr Metzger, haben Sie beim Megathema Digitalisierung noch den Durchblick oder brauchen Sie dafür eine neu zu erfindende E-Brille?
Philipp Metzger: Noch schaffe ich das ohne! Was die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich relevanten Bereiche betrifft, weiss ich dank der Strategie «Digitale Schweiz», was aktuell läuft. Das darf die Bevölkerung auch vom Staat erwarten. Sie will sich orientieren können.

Philipp Metzger, Direktor des Bundesamtes für Kommunikation, leitet als Mister Digitalisierung eine sehr breite Organisation, die sämtliche Departemente beim Bund, die Wirtschaft, aber auch Bildungsstätten mit einbezieht.
Foto: Peter Gerber
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Sie präsidieren als Mister Digitalisierung eine sehr breite Organisation, die sämtliche Departemente beim Bund, die Wirtschaft und Bildungsstätten mit einbezieht. Weisungsbefugnisse haben Sie keine. Wie setzen Sie sich durch?
Wir sind überzeugt, dass ein dezentraler, aber koordinierter Ansatz der richtige ist. Die Schweiz hat dank des Föderalismus lange und gute Erfahrungen damit. Auf Staatsebene bestimmt bei uns nie nur einer. Gerade das Thema Digitalisierung, das alle Lebensbereiche beschlägt, lässt sich nicht von einer einzigen Stelle aus lösen. Zudem ist der dezentrale Weg auch günstiger: Wir arbeiten mit bestehenden Ressourcen, dies aber besser vernetzt.

Trotzdem: Der Tätschmeister fehlt. Braucht es nicht doch ein Bundesamt für Digitalisierung oder gar einen Digi-Bundesrat?
Nein. Alle Departemente sind betroffen – jedes muss in seinem Bereich auch ein Digitaldepartement sein. Aber natürlich müssen alle zusammenarbeiten, damit sie eine Gesamtsicht haben, sich gemeinsam ausrichten können, die Ressourcen optimal einsetzen und Synergien schaffen. Klar definiert ist zudem die oberste Verantwortung für die gemeinsame Strategie «Digitale Schweiz»: Sie liegt beim Bundesrat und kann nicht einfach aufgeteilt oder wegdelegiert werden.

Mit den Bundesräten Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann verlassen zwei die Regierung, die sich sehr stark für die Digitalisierung eingesetzt haben. Wünschen Sie sich bei den Bundesratswahlen einen «digital native», also jemanden, der in der digitalen Welt aufgewachsen ist?
«Digital natives» habe ich im Kandidatenfeld keine ausgemacht. Bundespräsident Berset vertritt eine Generation, die bereits verschiedene digitale Kanäle aktiv nutzt. Aber entscheidend ist nicht, ob ein Bundesrat twittert, sondern das Engagement für die Digitalisierung. Die Strategie «Digitale Schweiz» tragen alle sieben gemeinsam. Bundesrätin Leuthard und Bundesrat Schneider-Ammann haben hier in der Tat sehr viel Pionierarbeit geleistet.

Die «Digitale Schweiz» fasst alle möglichen Projekte zusammen. Besteht da nicht die Gefahr, dass jede IT-Entwicklung zur Digitalstrategie aufgebauscht wird?
Sie haben recht, die Strategie umfasst ganz verschiedene Projekte. Aber da geht es bei weitem nicht nur um IT-Innovationen, sondern auch um Bildung, um politische Grundlagen, um Rechtsetzung. Die Strategie «Digitale Schweiz» hilft uns zudem, die verschiedenen Vorhaben einzuordnen, zu koordinieren, zu priorisieren. Es ist eine Dachstrategie, und die muss möglichst breit sein.

Wie beurteilen Sie den Digitalisierungsstand der Schweiz: top – Mittelmass – schwach?
Insgesamt sind wir auf gutem Weg. Top sind wir vor allem, wenn es um Innovation geht, was eine super Ausgangslage für die digitale Entwicklung ist. In anderen Bereichen sind wir weniger weit. Was zum Beispiel die Digitalisierung der Verwaltung betrifft, das E-Government, sind wir Mittelmass – nicht schlecht, aber für die Schweiz nicht gut genug. Wir orientieren uns an den Besten.

Woran liegt das?
Manches macht unsere föderale Struktur aufwendiger, vor allem aber bleiben wir Schweizer gerne auf der sicheren Seite. Ein weiteres Problem ist, dass wir trotz ausgezeichneten Infrastrukturen zu wenig Wertschöpfung aus der Digitalisierung ziehen. Das ist nicht nur ein Schweizer, sondern ein europäisches Problem: Es gelingt uns noch nicht, all die zahlreichen Innovationen auch zu Geld zu machen. Wir erfinden sie, andere in Amerika oder Asien machen daraus das grosse Geld. Dabei hätten wir grundsätzlich gute Voraussetzungen.

In welchen Nischen könnte sich die Schweiz profilieren?
Das ist schwierig zu sagen, weil in der digitalen Welt niemand weiss, was in fünf Jahren die Honigtöpfe sind. Aber es ist sicher wichtig, dass wir uns bei der künstlichen Intelligenz gut positionieren, denn hier sind gute Bildung, Spitzenforschung und ein verantwortungsvoller Einsatz gefragt. Das alles kann die Schweiz bieten.

Gibt es einen anderen Staat, an dem wir uns orientieren könnten?
Jedes Land hat andere Voraussetzungen. Nehmen Sie Estland: Die Esten kamen praktisch aus dem Nichts und haben alle überholt. Aber als ehemaliges Ostblock-Land haben sie eine andere Geschichte, andere Voraussetzungen und Mentalitäten. Wie Singapur auch. Die Schweiz muss sich deshalb zwar Inputs von aussen holen, letztlich aber einen eigenen, helvetischen digitalen Weg finden.

Könnte es auch passieren, dass die Schweiz abgehängt wird, weil die Digitalisierung alles auf den Kopf stellt?
Das wäre absolut möglich, wenn die Schweiz träge würde, selbstgefällig. Deshalb müssen wir in allen Bereichen wach sein, damit wir keinen Zug verpassen und nicht plötzlich alle an uns vorbeirauschen.

Wo droht das?
Bei den Telekom-Netzen – eine unserer Kernaufgaben im Bundesamt für Kommunikation, dem Bakom – sehen wir die rasante Entwicklung deutlich. Ausgezeichnete digitale Infrastrukturen sind für die Schweiz zentral. Nehmen Sie das Festnetz: Gute Rahmenbedingungen für den Wettbewerb haben über die Jahre zu vielfältigen und leistungsfähigen Hausanschlüssen im ganzen Land geführt. Dies müssen wir auch bei den neuen Glasfasertechnologien sicherstellen können, sonst droht eine fatale Re-Monopolisierung. Mit der laufenden Revision des Fernmeldegesetzes möchte der Bund deshalb massgeschneiderte, fast schon chirurgisch präzise Instrumente einführen, um hier notfalls eingreifen zu können. 

Wird der Bund auch ein 5G-Netz auf dem mobilen Netz durchdrücken?
Der Bund hat 2012 die Mobilfrequenzen neu vergeben. Bei der Einführung von 4G waren wir eines der schnellsten Länder der Welt. Innerhalb von zwei, drei Jahren sorgten drei konkurrierende Anbieter für eine flächendeckende Verbreitung. Anders könnte es nun bei 5G aussehen, da die Strahlen-Grenzwerte einen sehr beschränkten Rahmen vorgeben: In den Städten können bis zu 90 Prozent der heutigen Antennen nicht mehr ausgebaut werden. 5G wird aber für das Internet der Zukunft noch ein viel wichtigerer Schritt sein als 4G.

Und was jetzt?
Ein Stehenbleiben auf 4G kann sich eine digitale Schweiz schlicht nicht leisten. Anfang 2019 wird die Eidgenössische Kommunikationskommission für 5G wichtige neue Frequenzen versteigern. Wir müssen nun auch die Strahlenvorschriften und deren Umsetzung anschauen. Bundesrätin Doris Leuthard hat deshalb vor ein paar Wochen eine Arbeitsgruppe eingesetzt, in der die betroffenen Kreise vertreten sind und gemeinsam Empfehlungen für das weitere Vorgehen abgeben sollen.

Sollte sich die Schweiz auf gewisse Industrien konzentrieren?
Es gehört nicht zur Schweizer DNA, von oben verordnete Industriepolitik zu betreiben. Eine gewisse Spezialisierung ergibt sich aber von selber, wie auch unsere Wirtschaftsgeschichte zeigt: Die Schweiz war aufgrund ihrer Ressourcen und der kleinen Bevölkerung stark spezialisiert bei der Mechanik, den Uhren, bei der Lebensmittelverarbeitung, der Chemie oder den Banken. Ähnlich ist es heute: Sie spielt eine führende Rolle bei Fintech, Biotech oder Drohnen. Die Entwicklung muss von unten kommen. Unsere Stärke liegt in der Wertschöpfung, nicht in der Masse.

Der Bundesrat hat künstliche Intelligenz zu einem Kernthema erklärt. Können Sie unseren Lesern aufzeigen, wie sie das konkret betrifft?
Wenn Sie eine Suchabfrage auf Google machen, beeinflusst künstliche Intelligenz die Ergebnisse. Das merkt der Nutzer gar nicht. Doch stellen sich die Fragen: Geht das mit rechten Dingen zu? Wird da auch manipuliert? Darüber müssen wir uns Gedanken machen, auch was die Ethik und die Transparenz anbelangt.

Glauben Sie, dass Sie diese Skepsis beseitigen können?
Wir arbeiten daran! Ich möchte nochmals ein Beispiel nennen. Bei der Automatisierung können Roboter immer mehr Arbeitsprozesse übernehmen, insbesondere auch repetitive. Aber die Steuerung der künstlichen Intelligenz, die Kreativität und die sozialen Kompetenzen bleiben beim Menschen. Deshalb wird es neue Berufsbilder geben – und damit wollen wir uns frühzeitig befassen. So nehmen wir Skeptikern auch Ängste, indem wir ihnen die Vorteile aufzeigen. Das gilt übrigens für alle Bereiche der Digitalisierung. Denn eigentlich müsste sie den Schweizerinnen und Schweizern sympathisch sein: Wir haben es ja gerne effizient und praktisch.

Der Schweizer ist nicht gerne ein gläserner Bürger. Deshalb könnte es zum Beispiel Widerstand gegen elektronische Patientendossiers geben.
Der Datenschutz ist sehr wichtig in allen digitalen Prozessen. Gläsern soll niemand sein. Der Bürger will selber bestimmen oder mitbestimmen, was mit ihm und mit seiner digitalen Identität passiert. Dann ist er auch bereit, Gesundheitsdaten auszutauschen. Denn wenn dank diesen die medizinische Behandlung verbessert werden kann, hat der Bürger sehr wohl ein Interesse an elektronischen Patientendossiers.

Wie wichtig sind Standortinitiativen wie «digitalswitzerland» oder der heutige Digitaltag?
Sehr wichtig! Gerade für die Vermittlung zwischen Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern. Schon der erste Digitaltag letztes Jahr hat einen enormen Beitrag zur Bewusstseinsbildung geleistet. Genauso wichtig sind aber auch ganz konkrete Vorhaben von «digitalswitzerland». Etwa der Thymio-Roboter, der schon Kindergärtlern Roboter und ihr Funktionieren näherbringt.

Wie stellen wir sonst sicher, dass zumindest unsere Kinder digital topfit sind und zum Beispiel programmieren lernen?
Bildung ist in der neuen Strategie «Digitale Schweiz» ganz zentral. Das Feld ist aber sehr breit, die Zuständigkeiten sind unterschiedlich geregelt, und die Palette von Wünschen und guten Ratschlägen seitens der Anspruchsgruppen ist bunt. Die Kantone lassen sich nicht gerne in ihre Kompetenzen dreinreden. Es gibt in diesem Bereich Potenzial für einen noch intensiveren Austausch und mehr gemeinsame Ziele. 

Telekom-Spezialist

Philipp Metzger (54) steht seit 2014 dem Bundesamt für Kommunikation vor. Der Anwalt und Telekom-Spezialist stellt als Leiter einer interdepartementalen Koordinationsgruppe die Umsetzung der Strategie «Digitale Schweiz» sicher. Diese soll dafür sorgen, dass die Schweiz die Chancen der Digitalisierung optimal nutzt. Metzger wohnt in Founex VD, ist verheiratet und hat einen Sohn.

Philipp Metzger (54) steht seit 2014 dem Bundesamt für Kommunikation vor. Der Anwalt und Telekom-Spezialist stellt als Leiter einer interdepartementalen Koordinationsgruppe die Umsetzung der Strategie «Digitale Schweiz» sicher. Diese soll dafür sorgen, dass die Schweiz die Chancen der Digitalisierung optimal nutzt. Metzger wohnt in Founex VD, ist verheiratet und hat einen Sohn.

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