Milliarden-Einnahmen durch winzige Abgabe
Kann diese Wunder-Steuer das Rentenloch stopfen?

Das Ja zur 13. AHV hat einer alten, ursprünglich linken Idee neuen Auftrieb gegeben: die Einführung einer Steuer auf sämtliche Transaktionen auf dem Finanzmarkt. Blick nimmt das angebliche Steuerwunder unter die Lupe.
Publiziert: 19.03.2024 um 17:10 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2024 um 19:37 Uhr
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Eine winzige Steuer – mit Rieseneffekt: Die Idee, mit der die Mitte die 13. AHV-Rente finanzieren will, klingt fast zu schön, um realistisch zu sein. Bei jedem Aktienkauf und allen anderen Transaktionen an der Börse soll künftig ein Batzen an den Staat gehen.

Der Vorschlag stösst in der Bevölkerung auf breiten Zuspruch, wie eine Umfrage zeigt. Keine andere Massnahme ist populärer. Doch wie würde eine solche Steuer konkret funktionieren? Und wo liegen die Risiken?

Worum es geht

Die Idee einer Finanzmarkt-Transaktionssteuer geistert schon seit Jahrzehnten durch Politik und Wirtschaftswelt. Das Prinzip: Auf jede Bewegung auf dem Finanzmarkt – etwa den Kauf einer Aktie oder den Verkauf einer Anleihe – wird eine kleine Steuer von beispielsweise 0,1 oder 0,2 Prozent erhoben. Angesichts der riesigen Zahl an Transaktionen, die jeden Tag stattfinden, summieren sich die Mini-Abgaben zu Milliarden-Einnahmen für den Staat.

Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy setzt auf eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer, um das Finanzloch bei der AHV zu stopfen.
Foto: keystone-sda.ch
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Davon abzugrenzen ist die Idee einer Mikrosteuer auf sämtliche Finanztransaktionen – also zum Beispiel auch auf Lohnzahlungen oder wenn man der Freundin seinen Anteil fürs gemeinsame Abendessen twintet. Eine Volksinitiative forderte dies vor einigen Jahren – bei gleichzeitiger Abschaffung zum Beispiel der Mehrwertsteuer. Sie scheiterte, weil nicht genügend Unterschriften gesammelt werden konnten.

Eine solche Steuer auf alle Geld-Bewegungen geht der Mitte, die die Forderung nach einer Transaktionssteuer derzeit vorantreibt, allerdings zu weit. «Für uns ist klar, dass wir primär die grossen Finanztransaktionen im Blick haben», sagt Mitte-Fraktionschef Philipp Bregy (45).

Was dafür spricht

Das schlagkräftigste Argument der Befürworter einer Mikrosteuer sind die Zahlen: Über das Schweizer Zahlungssystem Swiss Interbank Clearing, das die Mehrheit der Transaktionen in der Schweiz abdeckt, wechselten 2022 über 50'000 Milliarden Franken den Besitzer. Schon nur eine Steuer im Promillebereich würde so Milliarden bringen.

Mit der Umsatzabgabe, einer Stempelsteuer, gibt es heute schon eine Transaktionssteuer in der Schweiz. 1,5 Milliarden Franken hat der Bund damit 2020 eingenommen. Eine allgemeine Finanzmarkt-Transaktionssteuer würde viel weiter gehen.

Einige wenige Länder haben eine solche Steuer eingeführt. In Frankreich fliessen beim Kauf von Aktien französischer Unternehmen mit einem Börsenwert von über 1 Milliarde Euro 0,3 Prozent an den Staat. Beim Hochfrequenzhandel sind es 0,01 Prozent. Auch Italien und Grossbritannien kennen Finanzmarkt-Transaktionssteuern.

Eine Mikrosteuer auf den gesamten elektronischen Zahlungsverkehr gibt es hingegen bisher nirgends. «Sie könnte uns erlauben, nicht nur die 13. AHV zu finanzieren, sondern auch die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel abzuschaffen», sagt Marc Chesney (64). Der Professor für Finanzmathematik an der Uni Zürich war einer der Köpfe hinter der Mikrosteuer-Initiative – und ist nach wie vor Feuer und Flamme für die Idee. Schon heute fielen für alle möglichen Transaktionen Gebühren an. «Darüber spricht man nicht viel.»

Was dagegen spricht

Der Bundesrat hingegen befürchtet, die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes würde geschwächt. Auch Ökonom Aymo Brunetti (61) von der Uni Bern und Jan-Egbert Sturm (54), Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH, äussern grosse Bedenken. «Da Kapital sehr mobil ist, besteht die Gefahr, dass sich ein Grossteil der Transaktionen ins Ausland verlagern würde», sagt Sturm. «Der Schuss könnte nach hinten losgehen.»

Auch Brunetti warnt: «Wenn nicht alle Länder gleichzeitig diese Steuer einführen, wird die gesamte Aktivität mit einem Mausklick ins Ausland verlegt und es gibt keine Steuereinnahmen.» Dies sei der Grund, weshalb die wenigen existierenden Finanzmarkt-Transaktionssteuern «extrem viele Ausnahmen haben und wenig ergiebig sind».

Und nun?

Der Ständerat hat der Regierung bereits 2022 den Auftrag erteilt, zu prüfen, wie eine Finanzmarkt-Transaktionssteuer aussehen und was sie bringen könnte. Während sich die SP seit längerem für eine Mikrosteuer auf Finanzmarkt-Transaktionen starkmacht, um Spekulanten zu bremsen, ist der Widerstand im bürgerlichen Lager gross. «Eine Schweiz-isolierte Einführung ist in Bezug auf den Nutzen sehr fraglich», sagt FDP-Vizepräsident Andri Silberschmidt (30). Man warte jetzt das Fazit des Bundesrats ab. Doch er stellt klar: «Für eine einseitige Steuererhöhung egal welcher Art bieten wir keine Hand.»

Der Bericht der Regierung soll bis im Sommer vorliegen. Dann soll klarer sein, ob das Steuerwunder tatsächlich eine mögliche Lösung sein könnte – oder ein Traum bleibt.

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