Linke nehmen nach BLICK-Bericht über Familiennachzug neuen Anlauf
Schluss mit der Diskriminierung von Schweizern!

Die Schweiz benachteiligt ihre eigenen Bürger seit Jahren, geht es um das Recht auf Familiennachzug. SP und Grüne wollen nun erneut für eine Abschaffung dieser Inländer-Diskriminierung kämpfen. Doch es gibt Widerstand.
Publiziert: 30.05.2019 um 12:41 Uhr
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Aktualisiert: 27.02.2021 um 09:20 Uhr
Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli will die Inländer-Diskriminierung endlich abschaffen.
Foto: Thomas Meier
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Lea Hartmann

Dass Schweizer im eigenen Land gegenüber Ausländern benachteiligt werden, darf eigentlich nicht sein. Trotzdem ist die Inländerdiskriminierung beim Familiennachzug seit über zehn Jahren Tatsache. Das zeigt der Fall von Olga Pfunt (44) und ihrer Familie, den BLICK publik machte.

Die Schweizerin, vor fünf Jahren eingebürgert, darf ihre in Georgien lebende Mutter nicht zu sich holen. Das hat das Bundesgericht in letzter Instanz bestätigt. Als EU-Bürgerin aber hätte sie dieses Recht. Nun hat Pfunt wegen der Ungleichbehandlung beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof Klage gegen die Schweiz eingereicht.

SP und Grüne handeln

«Der Fall zeigt, wie absurd die gesetzliche Lage heute ist», sagt SP-Nationalrat Angelo Barrile (42). «Gut, dass Frau Pfunt den Fall nach Strassburg weiterzieht!»

Die SP hat schon vor Jahren versucht, die Inländerdiskriminierung abzuschaffen. Ohne Erfolg. 2010 schickte der Nationalrat einen Vorstoss bachab, der auch Schweizerinnen und Schweizern das Recht geben wollte, Familienmitglieder aus Drittstaaten nachzuziehen – und nicht nur aus EU/Efta-Staaten, wie das heute der Fall ist. So würden wieder gleich lange Spiesse für Schweizer und EU-Ausländer gelten.

Nun wollen es die Genossen noch einmal versuchen. «Wir überlegen uns derzeit, wie wir genau vorgehen werden. Dass die SP-Fraktion etwas tun wird, ist klar», sagt SP-Parlamentarier Barrile. «Wir können nur hoffen, dass sich bei den Wahlen im Herbst die Mehrheiten zu unseren Gunsten verschieben und die Abschaffung dieser absurden Diskriminierung von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern endlich möglich wird.»

Auch die Grünen, die schon 2010 gegen die Ungleichbehandlung kämpften, wollen einen neuen Anlauf nehmen. Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (47) wird in der Sommersession, die kommende Woche beginnt, eine parlamentarische Initiative zum Thema einreichen. «Wir sind gegen die Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern – und ebenso konsequent gegen eine Diskriminierung von Inländerinnen und Inländern. Das Recht auf Familienleben muss für alle Menschen gelten», sagt Glättli.

Lösung der Linken kommt für SVP nicht in Frage

Bei den Bürgerlichen werden SP und Grüne es mit ihrer Forderung aber auch dieses Mal sehr schwer haben. Die SVP ist zwar ebenfalls gegen die Inländerdiskriminierung – aber auch gegen die einfache Lösung der Linken.

Auch Schweizern den Familiennachzug aus Drittstaaten pauschal zu erlauben, komme nicht in Frage, sagt Fraktionschef Thomas Aeschi (40). Seine Vorstellung, wie die Ungleichbehandlung abgeschafft werden könnte, geht gerade in die umgekehrte Richtung: Statt Schweizern mehr Rechte zu geben, will die SVP EU-Bürgern ihre Vorrechte nehmen. Dafür müsste man das Personenfreizügigkeitsabkommen neu verhandeln oder kündigen. Letzteres fordert die SVP in ihrer Begrenzungs-Initiative, die nächstes Jahr an die Urne kommt.

FDP will abwarten

Etwas offener gegenüber einer Lösung per Gesetzesänderung zeigt sich die FDP. Man werde nun den Entscheid des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs abwarten. «Danach werden wir die Situation neu bewerten», kündigt FDP-Nationalrat Matthias Jauslin (57) an.

Er sagt aber auch: «Ich finde es richtig, beim Familiennachzug strenge Massstäbe anzuwenden, denn nur so kann die Einwanderung in die Sozialsysteme unterbunden werden.» Die Schweizer Bevölkerung habe sich 2014 mit Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative klar für eine strenge Zuwanderungspraxis ausgesprochen. «Dem gilt es Rechnung zu tragen.»

Wo der Menschenrechts-Gerichtshof schon Schweizern half

Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot und das Recht auf Familienleben: Das wirft Olga Pfunt aus Schwerzenbach ZH der Schweiz in ihrer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor. Die Richter in Strassburg haben nun zu entscheiden, ob die Inländerdiskriminierung in der Schweiz gegen die Menschenrechte verstösst oder nicht. Sollten sie einst zum Schluss kommen, dass sie das tut, steht die Schweiz umso mehr unter Druck, das Gesetz endlich zu ändern.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Strassburg Schweizern im eigenen Land zum Recht verhilft. So war es beispielsweise einem Urteil des EGMR zu verdanken, dass die Schweiz die Verjährungsfristen bei sogenannten Personenschäden verlängerte. Das ermöglichte Asbestopfern und ihre Angehörigen gegen Spätschäden zu klagen. Auch in anderen Fällen führten Urteile in Strassburg zu mehr Verfahrensrechten in der Schweiz.

Ein weiteres Beispiel betrifft Steuersünder beziehungsweise deren Erben. Nach mehreren Verurteilungen stoppte die Schweiz die Praxis, Erben von Steuerhinterziehern nicht nur zur Nachzahlung der hinterzogenen Steuern zu verpflichten, sondern ihnen zusätzlich noch eine Strafsteuer aufzubrummen.

Auch die Diskriminierung der Frauen im Namensrecht hat der EGMR mehrfach gerügt – bis 2013 schliesslich Gleichberechtigung bei der Namenswahl eingeführt wurde.

Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot und das Recht auf Familienleben: Das wirft Olga Pfunt aus Schwerzenbach ZH der Schweiz in ihrer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor. Die Richter in Strassburg haben nun zu entscheiden, ob die Inländerdiskriminierung in der Schweiz gegen die Menschenrechte verstösst oder nicht. Sollten sie einst zum Schluss kommen, dass sie das tut, steht die Schweiz umso mehr unter Druck, das Gesetz endlich zu ändern.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Strassburg Schweizern im eigenen Land zum Recht verhilft. So war es beispielsweise einem Urteil des EGMR zu verdanken, dass die Schweiz die Verjährungsfristen bei sogenannten Personenschäden verlängerte. Das ermöglichte Asbestopfern und ihre Angehörigen gegen Spätschäden zu klagen. Auch in anderen Fällen führten Urteile in Strassburg zu mehr Verfahrensrechten in der Schweiz.

Ein weiteres Beispiel betrifft Steuersünder beziehungsweise deren Erben. Nach mehreren Verurteilungen stoppte die Schweiz die Praxis, Erben von Steuerhinterziehern nicht nur zur Nachzahlung der hinterzogenen Steuern zu verpflichten, sondern ihnen zusätzlich noch eine Strafsteuer aufzubrummen.

Auch die Diskriminierung der Frauen im Namensrecht hat der EGMR mehrfach gerügt – bis 2013 schliesslich Gleichberechtigung bei der Namenswahl eingeführt wurde.

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