Krisenstimmung im Bundesrat
Warum sie es versieben

Das Europa-Dossier bringt das Konkordanz-System an seine Grenzen. Der Bundesrat präsentiert sich aber nicht nur darum in einer schlechten Verfassung.
Publiziert: 23.09.2018 um 11:36 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2018 um 13:55 Uhr
Simon Marti und Marcel Odermatt
Seit 2012 im Bundesrat, dieses Jahr der Chef des Gremiums: Innenminister Alain Berset.
Foto: Keystone

Der Bundespräsident

Bundespräsident Alain Berset (46, SP) ging gehörig lädiert ins Präsidialjahr. Hätte er die Altersvorsorge 2020 vor Jahresfrist an der Urne durchgebracht, hätte ihm ein Sonderplatz in der Bundesratsgeschichte gebührt. Doch der erhoffte Polit-Coup endete mit Schiffbruch. Und Bersets staatstragendes Image bekam eine herbe Delle. Bei den aktuellen Auseinandersetzungen in der Landesregierung kommt er nicht aus der Defensive, vergebens warten Verbündete und Gegner auf ein Machtwort in der Europafrage. Er selbst hatte dieses Dossier zu Beginn seiner Amtszeit zum Kerngeschäft erklärt. Nun aber driftet die Regierung unter der Ägide des Freiburgers auseinander und ist blockiert wie seit Jahren nicht mehr. Die Gehässigkeiten im Bundesrat erreichen fast schon das Level jener Zeiten, als sich dort die Alphatiere Christoph Blocher und Pascal Couchepin fetzten. Bundespräsident zu sein, war schon mal einfacher – und glamouröser.

Wurde 2009 gewählt. Zuerst VBS-Chef, jetzt Leiter des Finanzdepartements: Ueli Maurer.
Foto: Keystone

Der Säckelmeister

Ueli Maurer (67) ziert die jüngste Ausgabe der «Weltwoche»: in der Rolle des besiegten Feldherrn Napoleon. Dass die von SVP-Nationalrat Roger Köppel (53) geführte Redaktion ihn gar als «halben SVP-Bundesrat» betitelt, weckt Erinnerungen an die giftigen Streitereien zwischen dem damaligen SVP-Bundesrat Samuel Schmid und der Volkspartei. An deren Spitze stand damals – welche Ironie! – Ueli Maurer. Entbrannt ist der aktuelle Konflikt an der Steuerreform: Der Finanzminister unterstützt ihre Koppelung mit einer Finanzspritze an die AHV, gegen welche die SVP Sturm läuft, auch zum Preis der offenen Konfrontation mit dem eigenen Bundesrat. Dabei hat Maurer nach dem gescheiterten Gripen-Kauf und dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III ein immenses Interesse, endlich mit einem grossen Wurf zu reüssieren. Sein Image wird heute vor allem von seinem Spruch von 2015 geprägt: «Kä Luscht.»

Seit 2010 in der Landesregierung: Bundesrätin Simonetta Sommaruga.
Foto: Philippe Rossier

Die Justizministerin

SP-Justiz- und Migrationsministerin Simonetta Sommaruga (58) hat sich in den letzten Monaten ungleich öfter über ihre Bundesratskollegen geärgert als früher. Grund ist ein Personalwechsel: Statt des linksliberalen Didier Burkhalter (58) sitzt jetzt Ignazio Cassis in der Runde – ein Aussenminister, der von der SVP gewählt ist. Cassis stört regelmässig Sommarugas Kreise. Zum Beispiel mit seinen Aussagen zur Entwicklungshilfe, die Cassis stärker mit der Migrationspolitik verknüpfen will. Oder wenn der Aussenminister völlig überraschend den Migrationspakt der Uno in Frage stellt. Sommarugas Stimmung bleibt auch darum düster, weil sie in den nächsten Wochen wieder einmal gegen die SVP selber ins Feld ziehen muss. Ob Ausschaffungs-Initiative, Volksbegehren gegen Masseneinwanderung oder nun das Selbstbestimmungs-Anliegen – immer ist es die Bernerin, die dagegenhalten muss.

Ein Gremium, aber kein Team – der Bundesrat besteht aus sieben Einzelkämpfern.
Foto: Keystone
Kam 2010 mit Sommaruga in den Bundesrat: Johann Schneider-Ammann.
Foto: Keystone

Der Wirtschafts-Vorsteher

Bundesrat Johann Schneider-Ammann (66) ging als Retter in den Sommer – und zieht als tragische Figur in den Herbst. Eine Reihe von Zeitungsartikeln stellt Fragen nach der Gesundheit des Berners, und Parlamentarier tuscheln, dass er häufig während Sitzungen einnicke. Dabei schien Schneider-Ammann das Hin und Her im Europadossier Gelegenheit zu geben, in die Offensive zu gehen. Er legte sein ganzes Prestige in die Waagschale, um einen Ausgleich zwischen den Sozialpartnern zu erzielen – und scheiterte. Kritiker monieren, dass seine Beamten nicht die nötige Vorarbeit geleistet hätten. Der zweite Fehlschlag in diesem Jahr, nachdem sein Departement bereits mit den Bauern aneinandergeraten war. Prompt werden wieder Spekulationen über einen möglichen Rücktritt des Freisinnigen laut. Und Schneider-Ammann fühlt sich genötigt, erneut zu erklären, er mache bis zum Ende der Legislatur weiter.

Demnächst dreijähriges Dienstjubiläum: Verteidigungsminister Guy Parmelin.
Foto: Keystone

Der VBS-Chef

Viele im Bundeshaus sind bis heute verwundert, dass es Guy Parmelin (58) in die Landesregierung geschafft hat. Der SVP-Verteidigungsminister ist sicher kein Reisser, aber viel falsch gemacht hat er seit seiner Wahl 2015 nicht. Ein Leader im Bundesrat wird der Waadtländer Weinbauer wohl dennoch nie. Überhaupt stellt sich die Frage, was der VBS-Chef in der Landesregierung eigentlich noch bewirken möchte. Das Beste wäre wohl, wenn es ihm gelänge, dass die Schweizer Bevölkerung ihm zustimmt und sich bereit erklärt, Milliarden für die Luftverteidigung auszugeben. Nach dem Gripen-Flop seines Vorgängers Ueli Maurer wäre das für Parteifreund Parmelin ein Grosserfolg. Doch es gibt auch Stimmen – insbesondere in seiner eigenen Partei –, die es gerne sehen würden, wenn der ehemalige Winzer einen Departementswechsel betreiben würde. Ob das die anderen Mitglieder zulassen werden?

Vor zwölf Monaten wurde er gewählt: EDA-Vorsteher Ignazio Cassis.
Foto: Karl-Heinz Hug

Der Aussenminister

Am 20. September 2017 war es genau ein Jahr her, dass die Vereinigte Bundesversammlung den Tessiner Ignazio Cassis (57) zum Bundesrat gewählt hatte. Der Freisinnige schielte im Rennen um den Sitz in der Landesregierung nach rechts – die Stimmen der SVP brachten ihn denn auch ins Amt. Nicht zuletzt, weil er in Aussicht stellte, die Verhandlungen mit der Europäischen Union über ein Rahmenabkommen zu entkrampfen – oder, wenn nötig, zu beenden. Von Klarheit aber kann in dieser Frage nicht mehr gesprochen werden. Hinzu kommt: Mit Cassis ist der Bundesrat stark nach rechts gerutscht. Sei es bei Waffenexporten in Bürgerkriegsländer, der Unterstützung für das Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge oder eben in der Europafrage. Vor allem ist es seine offene – Kritiker sagen: unbeholfene – Art, mit der Cassis seine Absichten kommuniziert, die manchem Kollegen im Bundesrat sauer aufstösst.

Dienstälteste Magistratin: Uvek-Vorsteherin Doris Leuthard.
Foto: Keystone

Die Uvek-Chefin

Doris Leuthard (55) hat dafür gesorgt, dass die Schweiz aus der Atomenergie aussteigen wird. Das bleibt ihre historische Leistung. Überhaupt hat die ewige CVP-Magistratin den Bundesrat in den zwölf Jahren ihrer Amtszeit geprägt. Seit die Aargauerin aber vor einem Jahr ohne Not ihren Rücktritt ankündigte, steht sie am Rande der Landesregierung. Leuthard ist im Polit-Jargon eine «Lame Duck», eine lahme Ente. Seit Monaten wird nur noch darüber spekuliert, wann die Chefin des Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartements endlich geht. Alle reden darüber, niemand weiss es, und Leuthard reagiert säuerlich darauf. Auch jeder ihrer Entscheide wird aus dieser Optik kommentiert. Versucht die Post – wie diese Woche – ihren Postauto-Subventions-Bschiss mit viel Geld wiedergutzumachen, heisst es sofort, Leuthard tue das, um den Skandal vor ihrem Abgang zu regeln. Regieren geht anders.

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