Kantonsregierungen lassen den SP-Bundesrat hängen
Eklat um Bersets Corona-Krisengipfel

Die Zahl der Ansteckungen steigt, die Disziplin der Bevölkerung sinkt. Müssen die Corona-Massnahmen darum wieder verschärft werden? Darüber diskutieren heute Bund und Gesundheitsdirektoren. Die Kantonsregierungen hingegen schicken keine Vertretung.
Publiziert: 29.06.2020 um 08:38 Uhr
|
Aktualisiert: 29.06.2020 um 15:19 Uhr
Lea Hartmann und Ruedi Studer

Der erste Superspreader-Fall in Zürich, illegaler Techno-Rave in Bern: Hunderte Partygänger scherten sich am vergangenen Wochenende keinen Deut um die Corona-Massnahmen. Dabei steigen die Ansteckungszahlen seit einigen Tagen wieder stetig. Wurden Anfang vergangener Woche noch 18 Corona-Fälle registriert, waren es am Samstag bereits 69 und am Sonntag 62.

Angesichts der beunruhigenden Entwicklung fragt sich: Müssen die Behörden über die Bücher – und die Massnahmen wieder verschärfen? Gesundheitsminister Alain Berset (48) trifft heute Nachmittag Vertreter der Kantone zum Gespräch, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Blick TV überträgt den anschliessenden Point de Presse live ab 18:15 Uhr.

Nach Bern eingeladen sind Vertreter der Konferenz der Kantonsregierungen sowie Gesundheitsdirektoren und Kantonsärzte. Das Treffen sei schon länger geplant gewesen. Doch nach dem vergangenen Wochenende ist es nun umso dringender.

Bundesrat Alain Berset trifft heute Vertreter der Kantone. Grosser Diskussionspunkt wird sein: Braucht es eine Verschärfung der Massnahmen?
Foto: Keystone
1/7

Kleiner Eklat

Der Krisengipfel startet allerdings mit einem kleinen Eklat: Von der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) wird nämlich niemand teilnehmen. Das bestätigt KdK-Generalsekretär Roland Mayer gegenüber BLICK: «Wir haben die Einladung erst am Freitag erhalten und dies ohne weitergehende Unterlagen. So kurzfristig war niemandem eine Teilnahme möglich. Und es bringt auch nichts, wenn man mangels Informationen des Bundes inhaltlich vorher nicht intern diskutieren kann.»

Beim Treffen gehe es vor allem um den künftigen Austausch zwischen Bund und Kantonen, so Mayer. «Nachdem der Kristenstab aufgelöst wurde, muss nun eine Art Nachfolgeorganisation auf die Beine gestellt werden, damit die Lage regelmässig analysiert und koordiniert werden kann» so Mayer. «Für uns ist zudem wichtig, dass der Bund zu vernünftigen und strukturierten Konsultationsprozessen zurückkehrt.»

Niemand will Maskenpflicht verordnen

Doch mittlerweile besteht wegen der feiernden Corona-Ignoranten neuer Diskussions- und Handlungsbedarf. Am Treffen dürfte auch eine Maskentragpflicht im ÖV zu reden geben. Der Basler Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger (CVP), Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, sagt gegenüber dem «Tages-Anzeiger»: «Ich persönlich wünsche mir eine nationale Maskenpflicht für den öffentlichen Verkehr.»

Die Aussage zeigt, dass die Kantone die Verantwortung gern auf den Bund abschieben würden. Doch mit der Aufhebung der ausserordentlichen Lage Mitte Juni können die Kantone selbst Massnahmen beschliessen. Der Bund kann zwar in Absprache mit den Kantonen Anordnungen machen, Bundesrat Berset hat aber klargemacht, dass er bezüglich Maskenpflicht im ÖV die Kantone in der Pflicht sieht.

KdK-Generalsekretär Mayer zeigt sich in dieser Frage zurückhaltend: «In den Kantonen gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten. Es ist aber immer eine Diskussion, ob und wann eine Maskenpflicht nötig wird», so Mayer. «Bei über 1000 Fällen pro Tag gab es keine Maskenpflicht. Da stellt sich die Frage, ob es bei 60 Fällen nötig ist.»

Allgemein hält er zudem fest: «Die Kantone sind wieder stärker in der Verantwortung, doch die Ausgangslage ist überall anders. Unter dem Strich hat man die Situation im Griff.»

Müssen Rückkehrer in Quarantäne?

Auch bei der im Raum stehenden Frage, ob eine erneute Schliessung der Clubs nötig ist, dürften die Städte auf die Kantone und die Kantone auf den Bund schielen. In der Hoffnung, dass der jeweils andere den unpopulären Entscheid trifft oder zumindest eine dringende Empfehlung ausspricht, auf die man sich dann beziehen könnte.

Ein weiteres Thema am heutigen Treffen dürften zudem auch mögliche Einreisebeschränkungen sein für Personen aus Risikogebieten. Laut dem Bund sind bis zu 20 Prozent der Ansteckungen aus dem Ausland importiert. Besonders viele Infizierte sind in den vergangenen Tagen aus Serbien zurückgekehrt. Zur Diskussion stehen nun Massnahmen wie eine Quarantäneempfehlung oder sogar -anordnung für Personen, die aus heiklen Gebieten kommen, oder Fiebermessungen an der Grenze. Ein entsprechender Entscheid ist aber Bundessache.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?