«Krieg zeigt, wie verwundbar Abhängigkeiten machen»
Sommaruga setzt auf Flüssiggas aus Holland

Wegen des Angriffs auf die Ukraine verschmäht die westliche Welt russisches Gas. Es kommt zu einem Ansturm auf Flüssiggas. Energieministerin Simonetta Sommaruga versucht bei einem Treffen mit ihrem holländischen Amtskollegen den Kauf via die Niederlande zu ermöglichen.
Publiziert: 23.03.2022 um 07:40 Uhr
Pascal Tischhauser

Energieministerin Simonetta Sommarua (61) hat am Dienstag in Den Haag den niederländischen Energieminister Rob Jetten (34) getroffen. Wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine stand das Energiethema im Zentrum der Gespräche.

Holland wie die Schweiz wollten die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren, sagte die SP-Bundesrätin anschliessend zu Blick. «Die Niederlande planen jetzt, ihre Kapazitäten für Flüssiggas im Hafen von Rotterdam rasch auszubauen. Sie haben ihre Bereitschaft für eine Zusammenarbeit mit der Schweiz bekundet.» So soll auch unser Land Flüssiggas über Rotterdam beziehen können.

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Finanzielle Probleme ...

Verantwortlich für die Gas-Beschaffung ist, anders als in anderen Ländern, nicht der Schweizer Staat, sondern die Gasbranche selbst. Der Bundesrat hat Anfang März die Weichen gestellt, dass die Branche das gemeinsam tun kann, ohne dass es zu Konflikten mit dem Wettbewerbsrecht kommt. So soll gewährleistet werden, dass die Schweiz schon kommenden Winter über genügend Gas verfügt.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat in Den Haag den holländischen Energieminister Rob Jetten (rechts) getroffen.
Foto: zVg
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Auch die EU-Staaten bereiten sich auf den nächsten Winter vor. Sie wollen künftig Gas, Flüssiggas und Wasserstoff gemeinsam einkaufen und europäische Speicher damit füllen. Die Staats- und Regierungschefs der EU dürften sich Ende Woche auf diesen Schritt einigen. Auch aus purer Notwendigkeit: Die hohen Energiepreise haben in verschiedenen europäischen Ländern bereits zu finanziellen Problemen für die Bevölkerung geführt.

... in der Bevölkerung

Selbst in den Niederlanden stellte die Regierung fest, dass diesen Winter – also schon vor dem Angriff auf die Ukraine – Privathaushalte merklich weniger Gas verbrauchten. Und zwar nicht nur, weil der Winter vergleichsweise mild war, sondern auch, weil sich viele Familien die hohen Energiepreise kaum mehr leisten können.

Die EU-Staaten reagieren mit unterschiedlichen Massnahmen darauf, um die hohen Preise für die Bevölkerung abzumildern. In der Schweiz ist die Regierung weniger unter Zugzwang, weil die Energiekosten einen viel geringeren Anteil am Haushaltsbudget ausmachen als in anderen europäischen Ländern.

Maurer in Katar

Bundesrätin Sommaruga ist derzeit nicht das einzige Regierungsmitglied, das die Abhängigkeit der Schweiz von russischem Gas verringern will. Auch Finanzminister Ueli Maurer (71) hat am Dienstagmorgen Gespräche zur Lieferung von Flüssiggas geführt – in Katar. Nun sollen die jeweils zuständigen Stellen die Gespräche vertiefen.

Das Treffen des SVP-Bundesrats in Katar war wie Sommarugas Gespräch in Den Haag bereits länger geplant – beide haben aber durch den Krieg in der Ukraine an Wichtigkeit gewonnen. «Energieminister Jetten und ich waren uns einig, dass man mit Blick auf Russland und die Ukraine die erneuerbaren Energien jetzt umso schneller vorwärtsbringen muss», erklärt die Bundesrätin.

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Von Fossilen wegkommen

Sommaruga will nun Druck in der Schweiz machen: «Wir müssen mit den erneuerbaren Energien einen Zacken zulegen. Wir sind bei Gas, Öl und Uran zu 100 Prozent vom Ausland abhängig – der Krieg zeigt noch viel stärker, wie verwundbar uns solche Abhängigkeiten machen.»

«Die Bevölkerung will die Erneuerbaren», ist Sommaruga überzeugt. Sie hätte in den letzten zwei Jahren so viel Solar zugebaut wie noch nie. «Und seit dem Krieg in der Ukraine ist das Interesse der Bevölkerung nochmals gewachsen, von den fossilen Energien wegzukommen», betont sie.

«Gescheiter investieren»

«Allein für Öl und Gas fliessen jedes Jahr acht Milliarden Franken ins Ausland. Das ist Geld, das man in der Schweiz gescheiter investieren könnte.» Häufig verhinderten Einsprachen aber, dass der Zubau vorankommt: «Wir haben viele Bedenkenträger in unserem Land.» Mit Massnahmen wie dem runden Tisch zur Wasserkraft, den Sommaruga einberufen hatte, könne man gemeinsame Lösungen finden: «Umweltorganisationen, Produzenten und Kantone haben sich auf 15 Projekte verständigt, mit denen wir unsere Energieversorgung stärken können.»

Sommaruga will auch die Verfahren beschleunigen: «Wir können keine 20 Jahre mehr warten, bis eine Staumauer erhöht wird. Es müssen jetzt alle einen Schritt aufeinander zugehen.»

Schweiz gehört zu Europa

Doch Sommaruga betonte im Gespräch mit Blick auch, dass der Krieg in der Ukraine nicht einfach energiepolitische Veränderungen beschleunigt, sondern vor allem das grosse Leid bewegt: «Der Krieg geht uns allen sehr, sehr nahe. Innert weniger Tage haben über 11'000 Menschen Schutz bei uns gesucht, weil ihr Land in Trümmern liegt.»

Sommaruga zeigte sich dankbar, «dass sich unsere Bevölkerung so solidarisch zeigt und sich dafür engagiert, diesen Menschen rasch ein Zuhause zu geben. Wir sehen in der Schweiz wie auch europaweit eine bewundernswerte Solidarität – gerade in Polen und den anderen Nachbarländern der Ukraine». Diese Länder müsse die Schweiz ebenfalls unterstützen.

Die Magistratin unterstreicht: «Wir sehen ein Europa, das zusammensteht und gemeinsame Werte teilt. Die Verbundenheit, die ich hier mit Holland, mit ganz Europa, erfahre, beweist, wie wichtig es ist, dass auch wir mitmachen – gerade bei den Sanktionen.»

Und der Energiebereich mache deutlich, wie «verflochten wir sind und dass kein Land völlig autark funktioniert». Es sei wichtig, sich auf gute Nachbarn verlassen zu können. «Dazu müssen aber auch wir Unterstützung bieten, wenn diese benötigt wird. Wir zeigen jetzt, dass wir gute Nachbarn sind. Das ist wichtig, denn die Schweiz gehört zu Europa.»

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