«Wir werden den Konzernen auf die Finger schauen»
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Nach Abstimmungs-Nein:«Wir werden den Konzernen auf die Finger schauen»

Konzern-Initiative – Befürworter und Gegner ausser Rand und Band
Ein Abstimmungskampf zum Schämen

Im Kampf um die Konzernverantwortungs-Initiative gerieten Gegner wie Befürworter ausser Rand und Band. So könne es nicht weitergehen, findet SP-Chef Cédric Wermuth. Und liefert einen Vorschlag, um künftige Abstimmungskämpfe zu mässigen.
Publiziert: 30.11.2020 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2020 um 10:34 Uhr
Der Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungs-Initiative artete zur Schlammschlacht aus.
Foto: STEFAN BOHRER
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Lea Hartmann und Pascal Tischhauser

Trotz hauchdünnem Ja ist die Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi) gescheitert: Das Ständemehr brachte sie zu Fall. Damit wird der schwächere Gegenvorschlag in Kraft treten – obwohl er nach Ansicht der Mehrheit der Stimmbevölkerung zu wenig weit geht.

Das Nein an der Urne setzt einer Kampagne ein Ende, wie sie die Schweiz kaum je gesehen hat – auch was die finanzielle Schlagkraft anging. Schweizweit flatterten 80'000 orange Ja-Fahnen, die die Grossunternehmen das Fürchten lehrten. Seit der Lancierung der Unterschriftensammlung vor fünf Jahren befanden sich die Initianten im Dauerabstimmungskampf. Es gab über 450 Lokalkomitees, Kovi-Schoggi und sogar einen eigens produzierten Dokfilm.

Aus dem Kampf wurde eine Schlacht

Je näher der Abstimmungstermin rückte, desto mehr artete der Kampf zur Schlacht aus. Waren die Gegner anfangs zurückhaltend, wurden sie mit wachsender Nervosität lauter, ihre Behauptungen immer gewagter – so dass auch das Ja-Lager sich zu schmerzhafteren Angriffen verstieg. Von Woche zu Woche schaukelten sich Gegner und Befürworter immer höher – und übertraten nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks.

«In den letzten Wochen haben beide Seiten rücksichtslos geschossen», fasste Politologe Claude Longchamp (63) die Eskalation auf Blick TV zusammen. Und der Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart (45) stellte fest: «Das war der aggressivste Abstimmungskampf, den ich erlebt habe.»

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Befürworter sprechen von Fake News

Selbst nach der Abstimmung dreschen die Widersacher aufeinander ein. Die Befürworter werfen dem Nein-Lager vor, dank Falschinformationen den Sieg geholt zu haben. «Ich habe noch nie einen Abstimmungskampf erlebt, in dem so viel gelogen wurde», sagt SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (34). Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse habe schlichtweg Fake News verbreitet und den kleinen und mittelgrossen Unternehmen Angst gemacht, obwohl diese nicht betroffen gewesen wären.

Besonders brisant: Auch Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) unterstellen Befürworter, es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau genommen zu haben. «Sie hat eine Linie überschritten», umschreibt es Grünen-Präsident Balthasar Glättli (48). Und Wermuth kritisiert, die Bundesrätin habe Aussagen der Nein-Kampagne «zu meinem Erstaunen weiterverbreitet, ohne mit der Wimper zu zucken».

«Das war unter jeder Sau»

FDP-Chefin Petra Gössi (44) kritisiert die andere Seite: «Wie die Initianten gegen eine Bundesrätin geschossen haben, war unter jeder Sau.» Und selbst SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (52) nimmt Keller-Sutter in Schutz: Wie mit ihr umgegangen worden sei, «war nicht in Ordnung».

Doch auch den Befürwortern wird vorgeworfen, mit unlauteren Mitteln gekämpft zu haben. So ging das Initiativkomitee mit einer Fotomontage auf Stimmenfang. Die Organisation Operation Libero beschimpfte die Gegner der Initiative gar als «Halunken» – wofür sie sich am Sonntag entschuldigte. Und der Rohstoffkonzern Glencore, dessen Geschäftsgebaren mit ein Auslöser für die Initiative war, wollte den Initianten per Gerichtsbeschluss einen Maulkorb verpassen.

Zahlreiche Personen haben in diesem harten Kampf ihren Gegnern Verletzungen zugefügt. Justizministerin Keller-Sutter sorgte mit ihrem Engagement für den Gegenvorschlag gar für Zwist im Bundesrat.

Eine Kommission soll auf die Finger schauen

An der Bundesrätin ist es nun auch, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen. Sie wird sich eingestehen müssen, dass ihr die Hälfte der Bevölkerung nicht gefolgt ist.

Hilfe – wie zumindest bei kommenden Abstimmungskämpfen vermieden werden könnte, dass sie erneut zu Schlachten ausarten – kommt just von einem Gegner im Kovi-Kampf: SP-Chef Wermuth regt die Schaffung einer Lauterkeitskommission an, bestehend aus Parlamentarierinnen und Parlamentariern. «Nach einem Abstimmungswochenende soll diese einen Bericht verfassen, der zeigt, wo die Grenzen überschritten wurden», sagt er.

Mit der Zeit würden die Berichte aus seiner Sicht zu Abstimmungskämpfen führen, in denen «wieder respektvoller miteinander umgegangen und in denen der Wahrheit mehr Gehör geschenkt wird».

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