Kontrolle über Moscheen, Vereine und Wirtschaftsverbände
Erdogans Netz in der Schweiz

Die rund 70’000 Türken in der Schweiz werden von der Regierungspartei Erdogans zunehmend bespitzelt und bedroht. Politiker fordern nun Massnahmen gegen die türkische Einflussnahme.
Publiziert: 13.03.2017 um 11:35 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:24 Uhr
Cyrill Pinto

Über 70’000 türkische Staatsbürger leben in der Schweiz. Die Türkei kümmert sich intensiv um sie. Doch seit dem Putschversuch vom letzten Sommer ist die Fürsorge in Bespitzelung und Kontrolle umgeschlagen. Selbst türkische Oppositionspolitiker in der Schweiz, etwa von der kemalistischen CHP, trauen sich nicht mehr, ihre Meinung öffentlich zu äussern – aus Furcht vor den Konsequenzen für sich und ihre Familie in der Türkei. «Bei jeder Reise in die Türkei droht uns eine Verhaftung», erklärt ein Schweizer CHP-Parteikader dem BLICK.

Seit türkische Militärs im letzten Juli versuchten, Präsident Recep Tayyip Erdogan (63) aus dem Amt zu putschen, ziehen die Behörden die Schrauben der Kontrolle und Repression an – auch in der Schweiz. Über staatliche Behörden nimmt die Regierungspartei AKP Einfluss auf ihre politische Gegner.

So nimmt Erdogan Einfluss in der Schweiz

Dabei setzen Erdogans Agenten gleich mehrere Gruppen zur politischen Einflussnahme ein. Die Wichtigste: die Union der Europäisch-Türkischen Demokraten (UETD). Der Verband ist der verlängerte Arm der Regierungspartei AKP. Die UETD organisiert regelmässig Vorträge und Reden von türkischen Politikern in der Schweiz – zuletzt den Auftritt des AKP-Parlamentariers Hursit Yildirim (42) am Freitagabend in Opfikon ZH. Hinter der Organisation steckt Murat Sahin (38). Die Zentrale der Organisation ist in einer Halle im Industriequartier von Spreitenbach AG eingemietet. Hier plante die Union zuerst den Auftritt Yildirims, nachdem die Stadt Zürich dem Anlass ihre Bewilligung wieder entzog.

Über 70'000 türkische Staatsbürger leben in der Schweiz.
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Erdogan übt Druck auf Türken in der Schweiz aus.
Foto: AFP

Zentral ist auch der Einfluss des türkischen Beamtenapparates über den türkischen Moscheeverband Diyanet. Ihm sind über 40 Gebetshäuser in der Schweiz angeschlossen. Deren Imame werden in der Türkei ausgebildet, die Moscheen selbst grosszügig vom türkischen Staat mit Geld unterstützt. Insider wissen: Die beim Diyanet-Verband angeschlossenen Moscheen stellen ihre Imame quasi als Beamte an. Dafür erstellen die Imame auch Berichte über die in der Schweiz lebenden Türken. Insbesondere ob sie der Gülen-Bewegung angehören, interessiert die Türkei. Der «Tages-Anzeiger» machte gestern öffentlich, dass der Imam der türkischen Moschee in Zürich-Oerlikon einen Spitzelrapport über Gülen-Aktivisten nach Ankara gesandt haben soll.

«Bundesrat muss Massnahmen ergreifen»

Eine wichtige Rolle bei der Einflussnahme der AKP spielt auch der türkische Unternehmerverband Müsiad in der Schweiz. Der islamisch-konservative Verband war es auch, der kurzfristig seine Räume für den Auftritt Yildirims zur Verfügung stellte. Der Verband war in den Anfangsjahren radikal islamistisch. In letzter Zeit machte er vor allem durch seine antisemitischen Äusserungen von sich reden. Auch Müsiad erhält Beiträge aus der Türkei.

Nationalrat Balthasar Glättli (45) von den Grünen kennt die Situation in der Türkei und viele Türken in der Schweiz. Er sagt: «Wir müssen uns gegen Spionage und Einschüchterung wehren.» Wenn eine ausländische Regierung in der Schweiz über Mittelsmänner ihre Bürger bespitzele oder sogar bedrohe, dann müsse der Bundesrat Massnahmen dagegen ergreifen. Ein Auftrittsverbot für türkische Politiker in der Schweiz sei aber die falsche Antwort. «Letztendlich», so Glättli, «hilft ein Redeverbot nur Erdogan und seinen Leuten.»

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