Kinderarzt Christian Kahlert zu neuer Antikörper-Studie
«Jedes dritte Kind hatte inzwischen Covid»

Ein Grossteil der Erwachsenen verfügt mittlerweile über Covid-Antikörper – insbesondere dank der Impfung. Bei Kindern sind es erst gut 30 Prozent, wie eine neue Studie zeigt. Infektiologe Christian Kahlert erklärt im Blick-Interview, was das für die Kinder bedeutet.
Publiziert: 24.08.2021 um 11:29 Uhr
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Aktualisiert: 24.08.2021 um 15:09 Uhr
Ruedi Studer

Die Corona-Fallzahlen steigen. Wer sich schützen will, kann sich impfen lassen. Für 12- bis 15-Jährige sollen schon bald die Impfempfehlungen ausgeweitet werden. Für Kinder unter 12 hingegen ist in der Schweiz noch kein Impfstoff zugelassen. Wie gross das Risiko nun für die Jüngsten ist, erklärt Infektiologe und Kinderarzt Christian Kahlert (48) vom Kinderspital Ostschweiz in St. Gallen im Blick-Interview. Er ist an den Studien von Corona Immunitas beteiligt und dabei verantwortlich für die Kantone St. Gallen und Graubünden.

Blick: Herr Kahlert, die neue Corona-Immunitas-Studie zeigt bei Erwachsenen zwischen 20 und 64 Jahren je nach Kanton eine Seroprävalenz zwischen 50 und 80 Prozent. St. Gallen weist einen Anteil von 60 Prozent aus, die durch eine Erkrankung oder Impfung Covid-Antikörper aufgebaut haben. Wie sieht dies bei den Kindern aus?
Christian Kahlert: Wir haben in den Kantonen St. Gallen und Graubünden je rund 300 Kinder zwischen 5 und 19 Jahren auf Antikörper getestet. Noch sind nicht alle Daten beisammen, doch die Grössenordnung lässt sich bereits abschätzen. Von den Kindern und Jugendlichen haben nur rund 30 Prozent Antikörper gebildet. Das heisst: Erst jedes dritte Kind hatte inzwischen Covid und ist immun. Zum Vergleich: Bei den Erwachsenen bis 64 sind es gut doppelt so viele. Bei den Senioren schweizweit sogar rund 90 Prozent.

In der letzten Testphase Anfang Jahr hatte nur gut jedes fünfte Kind Antikörper gebildet – in der Regel durch eine Infektion. Im Vergleich zu den Erwachsenen bleibt die Quote mit 30 Prozent tief. Weshalb?
Viele Kinder können sich erst seit kurzem oder noch gar nicht impfen lassen. Seit der letzten Testphase mit Anteilen von 20 Prozent in Graubünden und 17 Prozent in St. Gallen hat der Anteil der Kinder mit Antikörpern um rund 30 Prozent zugenommen. Antikörper entwickeln sich durch Erkrankung oder Impfung. Da mehr Erwachsene inzwischen geimpft sind, finden wir gegenüber den Kindern daher inzwischen auch mehr Antikörper.

Kinderarzt und Infektiologe Christian Kahlert: «Von den Kindern und Jugendlichen haben nur rund 30 Prozent Antikörper gebildet.»
Foto: Zvg
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Inwiefern wirkt sich die Delta-Variante bei den Kindern aus?
Im Moment macht sie mir mit Blick auf die Kinder keine grossen Sorgen. Die Symptome sind weiterhin in der Regel gering. Und im Spital sehen wir bei den Kindern noch keinen Anstieg der Covid-Fälle. Was aber nicht ausschliesst, dass sich das Virus unter den Kindern verbreitet. Sie repräsentieren diesbezüglich die Bevölkerung. Stünde für die Erwachsenen keine Impfung zur Verfügung, wären wohl auch erst etwa 30 Prozent von ihnen geschützt.

Die Hospitalisierungen bei den Erwachsenen steigen. Sehen Sie auch bei Kindern schwere Fälle?
Bei uns im Spital St. Gallen bisher nicht. Wir hatten zwar ebenfalls Fälle des Entzündungssyndroms (PIMS), doch haben sich erfreulicherweise alle betroffenen Kinder inzwischen wieder gut erholt.

Das heisst: Man könnte das Virus bei den Kindern einfach durchlaufen lassen bis zur Durchseuchung?
Das ist eine ganze schwierige Frage. Es gibt immer wieder Einzelschicksale mit schwerem Verlauf. Und wenn es eine vierte Welle gibt, gibt es auch unter den Kindern mehr Infektionen mit möglicherweise belastenden Verläufen. Es gibt Kinder, die nach an einer Infektion an Kopfschmerzen, andauerndem Husten oder chronischer Müdigkeit leiden, auch wenn es wenige Fälle sind. Ob sich dies wie bei den Erwachsenen auch zu Long Covid entwickeln kann und wie der Verlauf ist, lässt sich aufgrund der aktuellen Datenlage noch nicht sicher sagen. Es braucht hier grössere Vergleichskohorten von betroffenen und nicht betroffenen Kindern. Gerade wegen dieser Unsicherheit wäre es falsch, das Virus bei den Kindern einfach durchlaufen zu lassen.

Für Kinder unter 12 gibt es noch keinen Impfstoff. Muss man sie also speziell schützen?
Entscheidend ist, dass man die Schulsituation laufend überwacht und die Schutzkonzepte in den Schulen nicht einfach an den Nagel hängt, sondern weiterhin befolgt. Bisher scheint es keinen massiven Anstieg zu geben. Insbesondere auf der Sekundarstufe muss die Situation aber genau beobachtet werden. In Innenräumen, die nur schlecht gelüftet werden können, muss dann je nach Verlauf die Maskenpflicht wieder in Betracht gezogen werden.

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Die Eidgenössische Kommission für Impffragen will die Impfempfehlungen für die 12- bis 15-Jährigen noch diese Woche ausweiten und mit Moderna einen zweiten Impfstoff zur Verwendung empfehlen. Hilft das?
Wir müssen vor allem bei den Erwachsenen und älteren Teenagern mit den Impfungen vorwärts machen. Da ist das Risiko einer Erkrankung generell höher als bei den Jüngeren.

Hoffen Sie auch auf einen Impfstoff für die unter 12-Jährigen?
Ich hoffe, dass für alle Kinder bald ein Impfstoff zugelassen wird. Dies wäre insbesondere für jene Kinder wünschenswert, die selber zu einer Risikogruppe gehören oder mit Risikopersonen zusammenleben.

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