Karin Keller-Sutter will mit Rahmenabkommen zuwarten
Achtung Brüssel, eine eiserne Lady!

Karin Keller-Sutter kritisiert den Bundesrat dafür, dass er der EU beim Rahmenabkommen zu sehr entgegenkommt. Sie selbst plädiert dafür, mit dem Abschluss zu warten.
Publiziert: 20.11.2018 um 10:06 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2018 um 18:01 Uhr
Karin Keller-Sutter geht gegenüber Brüssel auf Konfrontationskurs. Ein Einknicken beim Rahmenabkommen kommt für die FDP-Bundesratskandidatin nicht in Frage.
Foto: Keystone
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Lange wurde sie als politische Eunuchin kritisiert, die mit ihrer Meinung hinter dem Berg halte, um nur nicht anzuecken. Nun wagt sich FDP-Bundesratskandidatin Karin Keller-Sutter (54) aus der Deckung und bezieht deutlich Position.

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Bemerkenswert ist ihre Haltung zu einem der umstrittensten Themen der letzten Jahre – dem Rahmenabkommen mit der EU. Ihr kommt der Bundesrat Brüssel zu sehr entgegen – sei es beim Lohnschutz, bei der Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürgern in der Schweiz Anspruch auf Sozialhilfe geben würde und den Staatsbeihilfen.

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

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Keller-Sutter kritisiert Cassis

«Ich bin erstaunt, dass etwas, was als rote Linie definiert wurde, jetzt plötzlich Verhandlungsmasse ist», so Keller-Sutter in einem Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».

Damit kritisiert ihren möglichen künftigen Amtskollegen, FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (57), scharf. Dieser soll in den letzten Wochen – etwa kürzlich bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen zwischen Bundesrat und Parteispitzen – die vom Bundesrat einst festgelegten roten Linien als verhandelbar bezeichnet haben.

Keller-Sutter ärgert das: «Man kann die flankierenden Massnahmen ordnungspolitisch infragestellen, aber sie waren der Preis für die Bilateralen I. Man kann sie jetzt nicht einfach auf dem kleinen Dienstweg wieder aushebeln», sagt sie im Interview.

Rahmenabkommen auf die lange Bank schieben

Von einem schnellen Abschluss des Rahmenabkommens hält Keller-Sutter nichts. Sie warnt vor innenpolitischem Widerstand: «Besser wäre, man wartet zunächst die Abstimmungen ab über die Selbstbestimmungsinitiative und über die Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit. Dann wäre die Ausgangslage geklärt», so die St. Galler Ständeratspräsidentin.

Rahmenabkommen und Unionsbürgerrichtlinie

Der Gedanke einer gemeinsamen Unionsbürgerschaft geht auf den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 zurück. Er sieht vor, dass jeder EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten als gleich behandelt werden muss. Auf Gemeinde­ebene besitzen alle EU-Bürger das aktive und passive Wahlrecht. Diese politischen Rechte standen bei den Verhandlungen mit der Schweiz nie zur Debatte – anders als die Richtlinie über die Freizügigkeit, die Brüssel mit dem sogenannten Rahmenabkommen auf die Schweiz ausdehnen will. Namentlich bei der Sozialhilfe hätte dies Konsequenzen: Innerhalb der EU sind Zuwanderer nach fünf Jahren Aufenthalt grundsätzlich Inländern gleichgestellt, dürfen also im Bedarfsfall die gleichen Ansprüche anmelden. In der Schweiz gilt diese faktische Gleichberechtigung erst nach 15 Jahren. Wird ein EU-Bürger nach fünf Jahren in der Schweiz Sozialhilfeempfänger, wäre es künftig nach Brüsseler Lesart nicht mehr zulässig, ihm die Aufenthalts­bewilligung zu verweigern. Heute gilt der Bezug von Sozialhilfe als Grund, die Niederlassungsbewil­ligung zu widerrufen.

Der Gedanke einer gemeinsamen Unionsbürgerschaft geht auf den Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1992 zurück. Er sieht vor, dass jeder EU-Bürger in allen Mitgliedstaaten als gleich behandelt werden muss. Auf Gemeinde­ebene besitzen alle EU-Bürger das aktive und passive Wahlrecht. Diese politischen Rechte standen bei den Verhandlungen mit der Schweiz nie zur Debatte – anders als die Richtlinie über die Freizügigkeit, die Brüssel mit dem sogenannten Rahmenabkommen auf die Schweiz ausdehnen will. Namentlich bei der Sozialhilfe hätte dies Konsequenzen: Innerhalb der EU sind Zuwanderer nach fünf Jahren Aufenthalt grundsätzlich Inländern gleichgestellt, dürfen also im Bedarfsfall die gleichen Ansprüche anmelden. In der Schweiz gilt diese faktische Gleichberechtigung erst nach 15 Jahren. Wird ein EU-Bürger nach fünf Jahren in der Schweiz Sozialhilfeempfänger, wäre es künftig nach Brüsseler Lesart nicht mehr zulässig, ihm die Aufenthalts­bewilligung zu verweigern. Heute gilt der Bezug von Sozialhilfe als Grund, die Niederlassungsbewil­ligung zu widerrufen.

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«Was wir jetzt machen: Wir bauen ein Dach über den bilateralen Weg, ohne zu wissen, ob die Mauern es in ein paar Jahren überhaupt noch tragen werden.»

«Schikanen aushalten»

Allerdings: Bis die Schweizerinnen und Schweizer über die im August eingereichte Kündigungs-Initiative der SVP abstimmen, werden Jahre vergehen. Keller-Sutter plädiert dafür, bis dahin weiterhin mit Brüssel im Gespräch zu bleiben.

Auch mit der Gefahr, dass die EU die Schweiz piesacken wird – etwa, indem sie die Gleichwertigkeit der Schweizer Börsenregulierung nicht anerkennt. «Vielleicht», so Keller-Sutter, «müssen wir die Schikanen einfach aushalten.» (sf)

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