Sie sorgen dafür, dass nicht alles zusammenbricht
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Kampf gegen Omikron-Welle
Sie sorgen dafür, dass nicht alles zusammenbricht

Wegen den hohen Infektionszahlen ächzen viele Unternehmen unter Ausfällen von Arbeitnehmenden. Damit unser Land auch während der bisher grössten Infektionswelle funktioniert, schieben viele Schweizerinnen und Schweizer gerade Extraschichten.
Publiziert: 16.01.2022 um 13:57 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2022 um 14:09 Uhr
Dana Liechti und Tobias Marti

Wegen hoher Ausfälle durch Corona-Infektionen schieben viele Schweizerinnen und Schweizer gerade Extraschichten.

Der Omikron-Sturm fegt über die Schweiz hinweg. Laut offiziellen Zahlen vom Bundesamt für Gesundheit stecken derzeit wegen Isolation und Quarantäne über 210 000 Menschen zu Hause fest. Wie viele es jedoch genau sind, ist unklar – nach der Änderung der Quarantäneregelung herrscht bei Bund und Kantonen ein Zahlenchaos (siehe Infobox).

Folgen im öffentlichen Verkehr bemerkbar

Zwar ist laut dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung der Nachschub lebensnotwendiger Güter und Dienstleistungen nach wie vor sichergestellt. Trotzdem haben die zahlreichen Ausfälle wegen Omikron Folgen. Etwa im öffentlichen Verkehr, wo erste Tram- und Buslinien nur noch eingeschränkt fahren oder vorübergehend stillgelegt wurden.

Einige Strecken der SBB werden derzeit nicht befahren – auch wegen Corona-Ausfällen.
Foto: Keystone
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Auch die Bundesbahnen sind betroffen. In der Deutschschweiz stehe noch genügend Personal bereit, um alle Züge fahren zu lassen, so die SBB. In der Westschweiz und im Tessin hingegen fallen aktuell bis zu 15 Prozent der Belegschaft aus. Einige Strecken werden nicht bedient, auf anderen sitzen Kaderleute oder Ausbildner in den Loks.

Goldgrube für Temporärbüros

Die zunehmenden Ausfälle von Arbeitskräften spielen den Temporärbüros in die Hände. Die Nachfrage habe seit Beginn des Jahres rasant zugenommen, sagt Marius Osterfeld, Ökonom bei Swissstaffing, dem Verband der Personaldienstleister. Coople, die grösste digitale Plattform für Personalverleih, verzeichnete in den ersten Kalenderwochen dreimal mehr Jobangebote als zur selben Zeit im Vorjahr.

«Gefragt sind kurzfristige Stellvertretungslösungen überall dort, wo Arbeitnehmende physisch anwesend sein müssen, um ihren Beruf auszuüben, etwa in der Logistik, in Industrieunternehmen, der Gastronomie, aber auch in Test- und Impfzentren», sagt Osterfeld. «Dort brauchen die Unternehmen schnell und einfach Ersatz. Die Temporärkräfte helfen mit, damit nicht alles zusammenbricht.»

Einer dieser Helfer ist Benjamin Alder. Der 21-Jährige arbeitet im Impfzentrum des Spitals Affoltern im Kanton Zürich temporär als stellvertretender Projektleiter und bietet seinerseits via Coople täglich temporäre Arbeitskräfte auf, um das Impfzentrum am Laufen zu halten. «In den letzten zwei Wochen hatten wir täglich zwei bis vier Absagen. Dann müssen wir jeweils sehr spontan Personal aufbieten.» Dank temporärer Arbeitskräfte funktioniere das gut, man sei sehr flexibel, vor allem was Mitarbeitende der Verwaltung angehe, sagt Alder. «Beim medizinischen Personal hingegen kommen wir auch mal an unsere Grenzen.»

Sieben Tage Quarantäne in Bern

Am Mittwoch hat der Bundesrat die Quarantänedauer auf fünf Tage verkürzt, seit Donnerstag ist die neue Weisung in Kraft. Nichtsdestrotz schickte der Kanton Bern noch am Freitagabend Personen für sieben Tage in Quarantäne. SonntagsBlick weiss von mehreren Fällen. Wer sich bei den Behörden meldete und nachfragte, bekam dann den Bescheid: «Die Isolations- oder Quarantäneanordnung, welche Sie erhalten oder erhalten haben, entspricht derzeit nicht den neuen Vorgaben des Bundesrats. Sie können von der angeordneten Quarantänedauer zwei ganze Tage abziehen.» Die Berner Gesundheitsdirektion versichert gestern auf Anfrage von SonntagsBlick, die entsprechenden «Anpassung aller digitalen Prozesse» seien im Gange.

Am Mittwoch hat der Bundesrat die Quarantänedauer auf fünf Tage verkürzt, seit Donnerstag ist die neue Weisung in Kraft. Nichtsdestrotz schickte der Kanton Bern noch am Freitagabend Personen für sieben Tage in Quarantäne. SonntagsBlick weiss von mehreren Fällen. Wer sich bei den Behörden meldete und nachfragte, bekam dann den Bescheid: «Die Isolations- oder Quarantäneanordnung, welche Sie erhalten oder erhalten haben, entspricht derzeit nicht den neuen Vorgaben des Bundesrats. Sie können von der angeordneten Quarantänedauer zwei ganze Tage abziehen.» Die Berner Gesundheitsdirektion versichert gestern auf Anfrage von SonntagsBlick, die entsprechenden «Anpassung aller digitalen Prozesse» seien im Gange.

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Kein Wunder: Temporäre Arbeitskräfte sind im Gesundheitswesen begehrt. Mit ihnen, internen Vertretungen und einer Aufstockung des Personals sei man zuversichtlich, Engpässe auch in den kommenden Tagen und Wochen stemmen zu können, lautet der Tenor aus den Spitälern.

Auch bei der Spitex werden personelle Engpässe durch Verschiebungen, Temporärkräfte und die Einstellung von mehr Personal kompensiert. Und doch: Die Situation sei angespannt, sagt Mediensprecherin Francesca Heiniger.

Kitas drohen Schliessungen

Brenzlig wird es auch in der Kinderbetreuung, wo die Situation bereits vor Pandemie und Monsterwelle prekär war. «In den vergangenen Tagen häuften sich die Rückmeldungen aus der Branche bezüglich Personalmangel und bevorstehenden Schliessungen», sagt Prisca Mattanza, Sprecherin vom Verband Kinderbetreuung (Kibesuisse).

Wie belastend die Situation in den Kitas aktuell ist, weiss Nicole Provini (51), Leiterin der Kita Sputnik in der Stadt Bern. «Allein diese Woche hatten wir schon drei Ausfälle wegen Corona – trotz Booster. Sowieso fehlt seit Beginn der Pandemie im Schnitt jeden Tag jemand. Wir kommen nur über die Runden, weil meine Leute mehr arbeiten, füreinander einspringen und ich teilweise zwölf Stunden im Betrieb bin», sagt Provini. «Wir sind am Anschlag, was wiederum zu krankheitsbedingten Ausfällen führt.»

Die kommenden Tage und Wochen bereiten ihr grosse Sorge, sagt Provini. «Wir hoffen einfach, dass wir die Situation irgendwie stemmen können.» Ihr Team sei zwar erschöpft, aber zum Glück noch immer motiviert – auch weil die Eltern viel Dankbarkeit und Wohlwollen zeigen.

Frustration im Care-Bereich

Das Statement, der Schweizer Weg durch die Krise funktioniere, löst bei Provini allerdings nur noch ein müdes Lächeln aus: «Wir im Care-Bereich sind es unter anderen, die eine grosse Last tragen, damit er funktioniert. Und trotzdem gehen wir immer vergessen.»

Auf Hilfe warte man vergebens, sagt Provini. So habe sie bereits vor einem Jahr bei den Berufsschulen im Kanton Bern angefragt, ob es nicht möglich wäre, in Notfällen Lernende in den Betrieben einzusetzen. «Leider bekamen wir einen negativen Bescheid.» Dabei wäre das eine einfache Möglichkeit, Personalengpässen die Spitze zu brechen.

Studenten als Aushilfslehrer

Andernorts hat sich diese Strategie hingegen schon etabliert. So beschäftigen Schulen immer wieder Studierende als Aushilfen. Auch Nadine Giovanoli (20), die an der PH St. Gallen mitten in ihrer Lehrerinnenausbildung steckt, sprang kürzlich ein, als an einer Thurgauer Schule die Lehrkräfte knapp wurden. Eine Woche, nachdem sie von der Schulleitung angefragt wurde, stand die angehende Pädagogin schon als Klassenlehrerin vor Mittelstufe-Schülern. Manche Schüler hätten schon nachgefragt, wie das denn gehe, noch in Ausbildung zu sein, aber bereits zu unterrichten. Aber: «Die Kinder sind vor allem dankbar, dürfen sie in dieser Zeit überhaupt zur Schule gehen und dort ihre Freunde treffen.» Was sagt sie, wenn heute wieder eine Anfrage für die nächste Stellvertretung kommt? «Warum nicht?», so Giovanoli – obwohl das Studium eigentlich gerade Priorität hätte.

Sie stecken zurück, machen Extraschichten, helfen, wo sie nur können: Menschen wie Nadine Giovanoli, Nicole Provini und Benjamin Alder, die das Land auch in Zeiten von Omikron am Laufen halten.

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