«Das darf man dem Volk nicht zumuten»
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Hohe Kosten befürchtet:«Das darf man dem Volk nicht zumuten»

Johann Schneider-Ammann warnt vor Konzern-Initiative
«Das ist das sichere Rezept für den Abstieg!»

Ex-Wirtschaftsminister Schneider-Ammann warnt vor Krisensteuer und Konzern-­Initiative. Und nimmt erstmals Stellung zu seiner umstrittenen Position in der Europapolitik.
Publiziert: 22.11.2020 um 11:10 Uhr
Christian Dorer und Simon Marti

Der alt Bundesrat bewohnt ein Haus auf dem Areal der Ammann Group in Langenthal BE, der familieneigenen Firma, die er bis zur Wahl in den Bundesrat 2010 ­leitete. Fürs Gespräch treffen wir uns in der menschenleeren Kantine – «der schönsten von Langenthal», wie er stolz sagt. Es ist das erste grosse Interview seit seinem Rücktritt Ende 2018.

Herr Schneider-Ammann, seit Ihrem Rücktritt aus dem Bundesrat Ende 2018 haben Sie sich kaum zu Wort gemeldet. Halten Sie es ohne Politik aus?
Johann Schneider-Ammann: Ich bin pensionierter Unternehmer. Im Auftrag meiner Kinder betreue ich einen Produktionszweig, der mir immer eine Herzensangelegenheit war. Sie haben übernommen, wir sind trotz Krise gut ­unterwegs, und ich bin stolz auf ihre Leistung. Und ich begleite Unternehmer strategisch, bei Nachfolge­regelungen. Ja, und ganz selten, wenn es besonders wichtig ist, äussere ich mich auch noch zur Politik.

Sie können also doch nicht loslassen.
Doch, sehr gut sogar. Das liegt auch daran, dass mich das Amt des Bundesrats nie komplett vereinnahmt hat. Ich hatte immer ein ­Privatleben daneben. Aber jetzt komme ich sogar ­endlich zum Golfspielen (lacht). So habe ich ein ­Programm, das knapp dem entspricht, was ich meiner Frau vor zwei Jahren versprach.

Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann hat eine dezidierte Meinung zur Konzernverantwortungs-Initiative. Er warnt: «Manch ein Unternehmer wird gewisse Investitionen im Ausland künftig nicht mehr tätigen.»
Foto: STEFAN BOHRER
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Sind Sie froh, dass Sie derzeit nicht Teil der ­Regierung sind, die das Land durch die Pandemie steuern muss?
Der Bundesrat macht seine Sache sehr gut, da braucht es keine Noten eines Ehemaligen. Mir ist ganz wohl in meiner jetzigen Rolle. Auch wenn es sicher reizvoll wäre, diese Herausforderung zu meistern. Denn das Schwierigste kommt noch, angesichts der Mil­liarden, die der Staat nun ausgibt oder garantiert.

Haben Sie Angst, dass sich das Land finanziell übernimmt?
Diese Ausgaben dienen der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen. Die Schulden werden uns noch Jahre beschäftigen. Ausgerechnet in dieser schweren Krise stimmen wir auch noch über zwei Vorlagen ab, deren Annahme für unsere Wirtschaft ganz schlecht wäre. Lassen Sie mich mit Blick auf die Konzernverantwortungs-Initiative sagen: Alles vertragen dieses Land und seine Industrie nicht! Die Initiative ist eine Gefahr für unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze.

Wer im Ausland seriös geschäftet, hat nichts zu befürchten.
Das scheint nur auf den ­ersten Blick so. Ich fürchte mich vor der Bürokratie für die Firmen, weil sie sich ­wegen der Haftungsrisiken alle juristisch absichern und komplizierte Liefer­ketten dauerhaft über­wachen müssen. Manch ein Schweizer Unternehmer wird gewisse Investi­tionen im Ausland künftig nicht mehr tätigen. Wenn aber wir Geschäfte nicht mehr machen, ja, dann macht sie jemand anderes. So ver­lieren wir schleichend im harten interna­tionalen Wettbewerb.

Wenn sich Schweizer Unternehmen bereits korrekt verhalten, dann wäre ein Ja kein Problem. Und wenn sie es nicht tun, dann muss man die Initiative annehmen. Wo liegt die Schwierigkeit?
Wir schwächen uns in einer Zeit, in welcher der Bund gerade einen grossen Teil der Wirtschaft mit Steuergeld stützen muss. Da erträgt es kein Experiment, das alle Unternehmer ­einem Verdacht aussetzt. Auch Zehntausende KMU müssten bei einem Ja ihre Überprüfung von Tochterfirmen und Lieferanten nachweisen.

Umfragen deuten auf ein Ja hin. Warum hegt ein grosser Teil der Bevöl­kerung Misstrauen gegenüber der Wirtschaft?
Das Nein-Lager wächst, weil sich die Leute mit der Vorlage beschäftigen. Man wird sensibler für das enorme Risiko, das in dieser ­Initiative schlummert. Sie können unendlich viele Vorschriften erlassen, aber ich sage Ihnen: Dann wird dieses Land sein Potenzial nicht mehr ausschöpfen – zum Nachteil von uns allen.

Kommen wir zurück auf Corona: Bislang hat sich die Schweizer Wirtschaft gut gehalten. Sind Sie ­optimistisch, dass es so bleibt?
Dank der staatlichen Hilfen können wir bisher Arbeitsplätze erhalten, aber die Problematik wird uns noch lange beschäftigen. Wir werden noch jahrelang Schulden aus dieser Krise abbauen müssen. Damit kann weniger Geld in ­Bildung und Innovation fliessen.

Was halten Sie von der Idee, jene Unternehmen stärker zu besteuern, die derzeit noch Gewinne erzielen?
Ja, so weit kommt es noch! Wenn Sie zwei Kinder ­haben, ein ordentliches und ein unordentliches, ­bestrafen Sie ja auch nicht das ordentliche.

Die Betriebe sind un­verschuldet in die Krise geraten.
Das ist mir bewusst, ich bin nahe dran an Firmen von Kollegen, die nicht wissen, ob sie überleben. Aber ­erfolgreiche Unternehmen zu bestrafen: Das ist das ­sichere Rezept für den Abstieg – wie die Initiative.

Was sagen Sie zur Swiss, die Managern für das erfolgreiche Jahr 2019 Boni ausbezahlt, aber zugleich staatliche Hilfe in Anspruch nimmt?
Die Swiss war im vergan­genen Jahr enorm ertragreich, das wirkt sich auf die Honorare aus ...

Das versteht niemand.
Lassen Sie mich meinen ­Gedanken zu Ende führen: Es ist eine verdammte ­Sauerei.

Sie warnten kürzlich in einem «NZZ»-­ Gast­beitrag, dass das Rahmen­abkommen mit der EU, so wie es jetzt vorliegt, die Souveränität der Schweiz gefährde. Warum fahren Sie Ihrem Parteikollegen, Bundesrat Ignazio Cassis, derart in die Parade?
Das bestreite ich! Es hilft, wenn die Diskussion an­gefacht wird. Es muss uns gelingen, das Verhältnis mit der EU vernünftig zu regeln. Das Dümmste wäre, wenn das Abkommen am Schluss an der Urne Schiffbruch erleidet. Die Schweiz ist erfolgreich, weil ihre Souveränität sie zu Spitzenleistungen befähigt. Für mich ist seit jeher klar, dass wir uns als unabhängiges Völklein selber verwalten. Den Zugang zum Binnenmarkt soll man auch in­stitutionell absichern. Was man nicht kann, ist unsere Nachbarn bestimmen lassen, was hier zu gelten hat. Wir müssen festlegen, was für uns gut und erfolgreich ist.

Was muss passieren, damit das Abkommen doch noch unterzeichnet wird?Die Unionsbürgerrichtlinie können wir uns nicht leisten, weil zu viele EU-Bürger in der Schweiz Sozialhilfe beziehen würden. Die Einschränkungen der staat­lichen Beihilfen wären zu verdauen. Die Schutzmassnahmen für unseren Arbeitsmarkt machen Sinn. Dann bleibt der Europäische Gerichtshof: Das wird schwierig. Aber gemeinsam haben die Schweiz und die EU auch schon schwieri­gere Probleme gelöst.

Persönlich

Im September 2010 wählte das Parlament Johann Schneider-­Ammann (68) in den Bundesrat, bis zu ­seinem Ausscheiden aus der Landesregierung führte der Freisinnige das Volkswirtschaftsdepartement. Der studierte Elektroingenieur hatte zuvor während 20 Jahren die Ammann Group geleitet, seit 1999 im Nationalrat politisiert und war Präsident des Verbandes der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall­industrie

Im September 2010 wählte das Parlament Johann Schneider-­Ammann (68) in den Bundesrat, bis zu ­seinem Ausscheiden aus der Landesregierung führte der Freisinnige das Volkswirtschaftsdepartement. Der studierte Elektroingenieur hatte zuvor während 20 Jahren die Ammann Group geleitet, seit 1999 im Nationalrat politisiert und war Präsident des Verbandes der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metall­industrie

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